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Globalisierung zukunftsfähig gestalten – jetzt!

CETA und TTIP stehen symbolisch für eine Welle von neuen Handels- und Investitionsabkommen mittels derer die internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik weiter dereguliert werden soll. Es geht um die grundsätzliche Fragen, was für eine Art von Globalisierung wir wollen. Im Vorfeld der Demonstration am 17. September erklärt Sven Hilbig die Hintergründe des Protests.

 

Von Sven Hilbig am

CETA und TTIP stehen symbolisch für eine Welle von neuen Handels- und Investitionsabkommen mittels derer die internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik weiter dereguliert werden soll. Sie bilden seit gut drei Jahren Anlass für kontroverse Debatten und zum Teil scharf geführte Auseinandersetzungen, bei denen es um mehr als nur Handelspolitik geht. Es geht um die grundsätzliche Fragen, was für eine Art von Globalisierung wir wollen: Eine Globalisierung, deren oberstes Prinzip rational-ökonomisches Kalkül ist und die sozial- oder umweltpolitische Auflagen als Handelshemmnisse abstempelt und mittels neuer Freihandelsabkommen verbieten will. Oder eine Globalisierung, die sich von Fairness und Solidarität leiten lässt und die Handel als eine Möglichkeit betrachtet, den Wohlstand global zu mehren. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Einbettung des Handels in politische Rahmenbedingungen und Vorgaben.

Protest will Globalisierung mitgestalten

Die Proteste gegen CETA und TTIP bilden die Kristallisationspunkte einer Bewegung, die Globalisierung mitgestalten will und die auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation weltweit setzt, statt auf große Gewinne für den Norden. CETA und TTIP sind nur die Spitze des Eisbergs. Gegenwärtig verhandelt die EU noch zahlreiche weitere bilaterale (Mercosur, Mexiko, Indonesien, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit afrikanischen Staaten, etc.)  und plurilaterale Abkommen (Dienstleistungsabkommen TiSA oder Freihandelsabkommen zu ‚grünen Gütern‘ (Environmental Goods Agreement, EGA).

Alle diese Abkommen haben nur eine Intention: Den Marktzugang für transnationale Unternehmen aus der EU zu vergrößern und die Rechte transnationaler Investoren zu stärken. Dabei kommt das Umweltgüterabkommen EGA im Gewande eines Abkommens, dass den Klimawandel bekämpfen will: Die Befürworter dieses Abkommens, bei dem neben der EU noch 16 weitere Staaten am Verhandlungstisch sitzen, versprechen, dass durch die Handelserleichterungen von High- und Lowtech-Geräten nicht nur die Volkswirtschaften wachsen, sondern obendrein der Strom sauberer und die Luft besser wird. Green Economy als Win-win-Konzept. Sozusagen ein ‘TTIP für Ökos‘.

Bei EGA geht es um Exportförderung

Wer hingegen genauer hinschaut, kann sich dem Eindruck nicht entziehen, dass die verhandelnden Staaten sehr viel mehr versprechen als ein solches Abkommen erfüllen kann. Wie schon bei den TTIP- und CETA-Verhandlungen lohnt es sich auch hier, die Prognosen der Befürworter des Abkommens ein wenig genauer zu lesen. Demnach würde die Energieintensivität der Weltwirtschaft durch das EGA um gerade einmal 0,02 Prozent bis 2030 verringert werden. Und trotz aller Steigerungsraten betrüge der Anteil am Welthandel lediglich ca. 0,15 Prozent.

Zweifel an dem ‚grünen Handelsabkommen‘ kommen aber noch von einer ganz anderen Seite her: Die höchsten Wachstumsraten ereignen sich im Süd-Süd-Handel durch einen Ausbau von Erneuerbaren Energien, um die Energiewende sowie einen Umbau hin zum grünen Wirtschaften hinzubekommen. Die Notwendigkeit,  Millionen von Menschen überhaupt einen Zugang zu Energie zu verschaffen, besteht ebenfalls im globalen Süden. Das ‚Umweltgüterabkommen‘ wird aber (mit Ausnahme von Costa Rica) nicht von Entwicklungsländern ausgehandelt. Am Verhandlungstisch sitzen ausschließlich Industriestaaten und Schwellenländer, die ihre grüne Technik exportieren wollen. Letztendlich bleibt der Eindruck, dass mit dem Label ‚Öko-TTIP‘ Etikettenschwindel betrieben wird, da auch dieses Abkommen nur ein Ziel hat: Die Förderung der europäischen Exportindustrie.

Aufgrund neuer und sich überlappender Handels- und Investitionsabkommen wird der politische Spielraum von Staaten (noch) weiter eingeschränkt. Von diesen Einschränkungen betroffen sind Bereiche, die aus entwicklungspolitischer Perspektive einer politischen Rahmensetzung dringend Bedürfen, wie beispielsweise Ernährungssicherheit und Umweltschutz.

Die fatale Wirkung von parallelen Rechtssystemen

Diese einseitig auf Deregulierung und Marktzugang ausgerichtete Handelspolitik sowie der Umstand, dass sich trotz der daraus folgenden strukturellen Probleme und der sich daran seit langer Zeit entzündenden Kritik nichts ändert, ist vor allem darin begründet, dass sich das Handelsrecht (wie überhaupt das Wirtschaftsvölkerrecht) einerseits, und das internationale Umwelt-, Arbeits- und Sozialrecht sowie die Menschenrechte, andererseits, parallel zueinander entwickelt haben. Diese verschiedenen Rechtssysteme wurden bis heute nie zusammengeführt. Die Gründung der Welthandelsorganisation WTO, 1995, die mit umfassenden Neuregelungen des internationalen Handelsrechts einherging, bot die Möglichkeit einer Zusammenführung, indem Arbeits- und Sozialstandards, Umweltaspekte sowie wirtschaftliche und soziale Menschenrechte Bestandteil des Welthandelsrechts werden. (Diese Zusammenführung wäre nicht zuletzt auch deswegen dringend notwendig gewesen, weil die WTO nicht in die Vereinten Nationen integriert wurde, mit der Folge, dass die zahlreichen UN-Umwelt- und Menschenrechtsabkommen keine verbindliche Rechtskraft für die WTO und ihr Streitschlichtungsorgan entfalten.)

Indien und Kanada: Freihandelsschutz stoppt Solarenergie

Seit WTO-Gründung hat das Streitschlichtungsorgan der Welthandelsorganisation immer wieder zugunsten des Freihandels und gegen Umwelt- oder Menschenrechtsschutz entschieden. Nur ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Als die indische Delegation auf der Weltklimakonferenz Ende 2015 in Paris, ankündigte, ihr Land werde zukünftig Armut weniger mit Kohle als mit Solarenergie bekämpfen, wurde sie bejubelt. Premierminister Modi sagte, er wolle bis 2022 in Indien 100.000 Megawatt Sonnenergie produzieren (mehr als dreimal so viel wie Deutschland). Anfang 2016 verklagte die USA deswegen Indien bei der WTO. Begründung: Die staatlich gestützte Aufbau einer eigenen Solarindustrie widerspräche der Idee des freien Handels, da dies zulasten der Solarindustrie anderer Staaten (in diesem Fall der USA) ginge, da sie dadurch einen Wettbewerbsnachteil erleiden könnten ( indem ihnen Absatzchancen für Solaranlagen in Indien verloren gehen könnten). Der US-Klage wurde von der WTO stattgegeben. Eine ähnliche Klage gegen Kanada hatte 2013 das Aus für die kanadische Solarindustrie bedeutet.

Auf dem Weg zu globalen Unternehmensregeln

Unser Globus wird nicht nur von zwei parallelen Rechtssystemen umspannt, die jeweils sehr unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und in deren Folge das eine Rechtsystem (in der Regel das mit Sanktionsinstrumenten ausgestattete Handelsrecht) das andere soft law (Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechte) oftmals konterkariert. Es gibt auch zwei entgegengesetzte globale Bewegungen, die jeweils über ein globales Netzwerk verfügen. 

Da haben wir auf der einen Seite die Entscheidungsträger in den global operierenden Unternehmen und die sie unterstützenden politischen Akteure, welche die Handels- und Investitionsströme noch weiter beflügeln wollen und dabei alle Warnrufe ignorieren, wonach der Raubbau an Mensch und Natur jedes Jahr immer mehr irreparable Schäden hervorruft. Stellvertretend sei an dieser Stelle an daran erinnert, dass in diesem Jahr der sog. ‚Welterschöpfungstag‘ (Earth Overshoot Day) wieder um ein paar Tage nach vorne gerückt ist, und bereits auf den 8. August 2016 fiel. 

Internationale Debatte über Verantwortung unseres Wirtschaftens läuft

Auf der anderen Seite hat sich in der Vergangenheit eine internationale Debatte über die ökologische, soziale und menschenrechtliche Verantwortung unseres Wirtschaftens entwickelt, die nicht zuletzt auch aufgrund verschiedener Ereignisse und Auseinandersetzungen an Dynamik gewonnen. Angefangen von den Auseinandersetzungen um TTIP, TPP und CETA, über den vor zwei Jahren begonnen Prozesses um die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte bis hin Manipulationen der Abgaswerten durch Volkswagen, die Missachtung grundlegender Arbeits- und Menschenrechtsstandards in den Kleiderproduktionen in Bangladesch ist vielen Menschen mittlerweile bewusst, dass der globale Preis für Wirtschaften ohne Leitplanken und Standards sehr hoch ist.

Diese Bewegung ist sehr vielseitig. Während die einen ihre Proteste gegen Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP auf die Straße tragen und eine Handelspolitik einfordern, die nicht nur ökonomische Intentionen, die nur dem Wohle weniger dienen, beinhaltet, sondern endlich den jahrzehntelangen Versprechungen nachkommt, die Globalisierung sozial und ökologisch nachhaltig, und damit zukunftsfähig, zu gestalten, fordern andere von den Vereinten Nationen ein rechtsverbindliches Instrumentarium um Konzerne für Menschenrechtsvergehen zur Verantwortung zu ziehen. Ein solches Instrumentarium ist dringend notwendig, da Politik und Wirtschaft bislang überwiegend auf freiwillige Initiativen setzen. Auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte blieben bisher unverbindliche und riefen Unternehmen lediglich dazu auf „gebührende Sorgfalt“ walten zu lassen.

UN-Menschenrechtsrat wird durch Zivilgesellschaft beobachtet

Einen ersten wichtigen Schritt zur Schaffung eines rechtlich verbindlichen Instrumentariums tat der UN-Menschenrechtsrat als er am 26. Juni 2014 eine Arbeitsgruppe zur Umsetzung eines solchen Vorhabens einsetzt hat. Um diesen Prozess kritisch zu begleiten und mit Nachdruck die Forderung nach einem Vertrag voranzubringen, mit dem die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen international geregelt werden soll, hat sich weltweite eine zivilgesellschaftliche Allianz herausgebildet: die Treaty Alliance.

Bedauerlicherweise ist die Bundesregierung bislang den Diskussionen in der Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates ferngeblieben. Eine solches Verhalten hat negative Signalwirkung und lässt vor allem Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung  aufkommen, dass sie es ernst damit meint, die Globalisierung sozial gerechter zu gestalten, wie die Bundeskanzlerin und ihr Vize-Kanzler stets behaupten. 

Vom 24. bis 28. Oktober 2016 tagt zum zweiten Mal die zwischenstaatliche Arbeitsgruppe in Genf. Ziel ist es, bis zur 3. Tagung im kommenden Jahr einen ersten Entwurf eines verbindlichen Rechtsinstrumentariums vorzulegen.

Globalisierung – fortschrittlich - gestalten

Auf den sieben Demonstrationen am 17. September 2016 fordern wir entschieden einen fairen Welthandel ein. Diese Forderung hat nichts mit gemein mit jenen gesellschaftlichen Strömungen, die sich für eine Renationalisierung von Wirtschafts- und Handelspolitik einsetzen und einem Nationalchauvinismus das Wort reden.

Brot für die Welt und die anderen Trägerkreisorganisationen der CETA/TTIP-Demonstrationen sind keine Nein-Sager, keine Blockierer der Globalisierung. Seit Jahren und Jahrzehnen fordern wir eine andere Handelspolitik. Eine Handelspolitik, die allen Menschen weltweit, einschließlich zukünftiger Generationen, Wohlstand und ein Leben in Würde ermöglicht. Dafür haben wir klare Forderungen und Prinzipien formuliert, die erfreulicherweise zum Teil Eingang in die EU-Verträge gefunden haben. Als Hilfswerk gehören hierzu insbesondere die entwicklungspolitisch und menschenrechtlich kohärente Ausgestaltung von Handelsabkommen. Eine solche Prüfung wurde weder bei TTIP noch bei CETA vorgenommen. Deswegen gehen wir auf die Straße und fordern einen Stopp der TTIP-Verhandlungen und die Nicht-Ratifizierung von CETA. Erst dann ist der Weg frei für einen Neustart in der (europäischen) Handelspolitik.

 

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