Brot für die Welt beobachtet seit einigen Jahren, dass der Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Akteure in vielen Ländern der Welt zunehmend eingeschränkt wird. Allein in Asien und im Nahen Osten fallen darunter mehr als die Hälfte der Länder, in denen Brot für die Welt Partnerorganisationen fördert. Die internationale Organisation „Civicus“ spricht inzwischen von 96 betroffenen Ländern weltweit. Das Spektrum reicht von Verletzungen des Vereinigungs- und Versammlungsrechts und der Meinungsfreiheit sowie Stigmatisierung über Förder-Verbote, exzessive Kontrollen und Beschlagnahmungen bis hin zu gezielten Angriffen und Verhaftungen.
Seit kurzer Zeit sind zwei neue Länder hinzugekommen, die im ungelösten Dauerkonflikt stehen und enge Beziehungen zu der internationalen Gemeinschaft, den Vereinigten Staaten und Europa haben - Israel und die Palästinensischen Gebiete.
"Transparenzgesetz" nur für öffentlich geförderte Organisationen
In Israel hat Februar 2016 ein Gesetzesentwurf für ein sogenanntes „Transparenzgesetz“ die erste Lesung in der Knesset passiert. Der Entwurf sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen, die ihre Projekte zu mehr als 50 Prozent durch ausländische öffentliche Gelder finanzieren (zum Beispiel aus dem deutschen Entwicklungshilfeetat), besonderen Auflagen hinsichtlich der Veröffentlichung und der Berichterstattung unterliegen. Tritt das Gesetz in Kraft, müssen die Organisationen in jeder Kommunikation mit gewählten Volksvertretern ihre Finanzierung offen legen. Wer die Regel missachtet, dem soll ein Bußgeld von 7000 Euro drohen. Während die israelische Regierung vom Schutz vor Einmischung spricht, äußert sich Oppositionsführer Jitzchak Herzog betroffen und meinte, es sei „ein schwarzer Tag für Israels Demokratie“. Deutsche und europäische Abgeordnete sind alarmiert: Die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe als auch rund 50 Europa-Abgeordnete appellierten unabhängig von einander mit offenen Briefen an die Verantwortlichen, das Gesetz zu stoppen – bislang vergeblich.
Tatsächlich entsteht der Eindruck, es handle sich nicht nur um eine Transparenzmaßnahme (auch weil Offenlegungspflichten längst in Kraft sind), sondern auch um eine politische Sanktionierung mittels öffentlicher Stigmatisierung; denn betroffen sind insbesondere Organisationen, die die Regierung für die Folgen der Besatzungspolitik kritisieren. So gibt es Quellen, die darauf verweisen, dass private Gelder aus dem Ausland in erheblichen Umfang in Wahlkampfhilfe, Medien und Stiftungen fließen, die regierungsnah sind – diese Organisationen sind jedoch, da sie Finanzhilfen von Privatleuten oder privaten Stiftungen und nicht öffentliche Gelder erhalten, vom Transparenzgesetz ausgenommen.
Diskreditierung von Menschenrechtsorganisationen
Gesetzesnovellen wie das Transparenzgesetz aber auch andere Maßnahmen zum Beispiel die Erteilung von weitgehenden Rechten an Polizei, Armee und Justiz sowie eine Erweiterung der Definition von Terrorbekämpfung verändern nach Ansicht der Partnerorganisationen das gesellschaftliche Klima. Organisationen, die über Jahrzehnte eine breite gesellschaftliche Anerkennung für ihre Arbeit geerntet haben, deren Berichte in der Knesset Gehör fanden, die verfassungsrechtliche Grundsatzurteile beeinflusst und die Rechte benachteiligter Gruppen erfolgreich eingefordert haben, berichten nun von einem Klima des Misstrauens bis hin zu einer feindlichen Atmosphäre.
Spät distanzierte sich die Regierung von einer Internetkampagne, die die Leiter von Menschenrechtsorganisationen als Spione darstellt und ihre Arbeit als feindliche Agitation– häufig mit den Begriffen „Delegitimation und Dämonisierung Israels“ betitelt. Friedensinitiativen wie die israelisch-palästinensische Elterninitiative „Parents Circle Families Forum“ (PCFF) erleben ebenfalls neuerdings Erschwernisse, wie zum Beispiel Auflagen in der Bewegungsfreiheit der palästinensischen Mitglieder, was gemeinsame Solidaritätsveranstaltungen zukünftig schwieriger macht. PCFF äußerte sich jüngst in einem Brief gegenüber Brot für die Welt besorgt, dass auch Friedensinitiativen vom israelischen Parlament als illoyal bezeichnet werden. Die Elterninitiative sieht die aktuelle Politik als gezielten Versuch, ausländische Organisationen systematisch von der Förderung von Friedensinitiativen abzuschrecken.
Die Debatte um die Besatzung und die Frage, was dauerhaft Frieden und Stabilität schafft, polarisiert die israelische Gesellschaft und das findet auch seinen Widerhall in Deutschland: Die einen sehen vor allem die Besatzung und ihre Folgen als Kernhindernis für eine neue Roadmap zum Frieden. Andere sehen den Staat Israel angesichts der andauernden Terrorangriffe legitimiert, sich zur Wehr zu setzen. Das schließt die andauernde Besatzung und den Siedlungsbau und seine Folgen mit ein. Die völkerrechtliche Beurteilung der Legitimität der Siedlungen und die damit verbundenen Maßnahmen geht damit deutlich auseinander.
Einschränkungen auch in palästinensischen Gebieten
Auch in den palästinensischen Gebieten gibt es Versuche, die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen politisch zu vereinnahmen - Entwicklungshilfe macht einen großen Teil des palästinensischen Staatshaushalts aus. Vor wenigen Monaten appellierte der Dachverband der palästinensischen Nichtregierungsorganisationen an die Regierung, eine Kampagne zu stoppen, die mit Billigung der Autonomiebehörde nichtstaatliche Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit vor Ort unter Generalverdacht stellt. Zudem sieht eine Gesetzesnovelle vor, die Organisationen stärker zu überwachen und die Genehmigung von Entwicklungsprojekten daran zu knüpfen, ob sie den nationalen Interessen der Regierung dienen. Auch hier sind Menschenrechtsverteidiger nicht gern gesehen. Eine der Organisationen hat sich nach wiederholten anonymen Drohungen und Schmähbriefen an die Öffentlichkeit gewendet. Solidaritätsbekundungen anderer Organisationen folgten umgehend, und es zeigt sich, dass die Reputation etablierter Organisationen sich nicht einfach untergraben lässt.
Terror und Gewalt sind durch nichts zu entschuldigen, sie dürfen nicht verharmlost werden. Im Zuge der Terrorismusbekämpfung oder aufgrund anders definierter nationaler Interessen regierungskritische Organisationen zu bekämpfen, überzeugt wenig - auch wenn es hierfür inzwischen viele andere Länderbeispiele gibt. Menschenrechtsorganisationen oder auch Friedensinitiativen, die nicht bereit sind, in Fragen zu Frieden, Gerechtigkeit und Menschenwürde ihre Unabhängigkeit aufzugeben, sollten in ihrer Arbeit nicht behindert oder diskreditiert werden. Eine lebendige Zivilgesellschaft, in der es auch regierungskritische Stimmen geben darf, spielt nicht nur eine Rolle beim Thema demokratischer Werte und gesellschaftlichen Pluralismus, sondern auch als Gegengewicht für eine zunehmende Radikalisierung von Gesellschaften. In Israel und den palästinensischen Gebieten gibt es dazu sichtbare Tendenzen. Darum kann uns der Handlungsspielraum für Menschen in Israel und den palästinensischen Gebieten, die weiterhin an einer friedlichen Konfliktlösung festhalten und sich für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards einsetzen, nicht egal sein.