Maria Canto (39 Jahre)* glaubt nicht daran, dass der historische Friedensvertrag Auswirkungen auf ihr Leben haben wird. Heute soll es in Havanna zur Unterschrift zwischen der kolumbianischen Regierung und der Rebellengruppe FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) kommen. Ob es zunächst nur ein bilateraler Waffenstillstand oder ein Friedensvertrag wird, liegt noch in der Hand der Verhandelnden. Der Konflikt hat in den letzten 50 Jahren etwa 6,5 Millionen Menschen im Land gewaltsam vertrieben: Kolumbien gehört damit nach Syrien zu den Ländern mit den meisten Binnenvertriebenen.
Jeder hat Gewalt und Vertreibung erlebt
Wir treffen Maria Canto Anfang März in Paloquemao, einer sogenannten illegalen Invasion am Rande der Stadt Florencia im Süden Kolumbiens. Im Stadtteil Paloquemao leben etwa 1300 Familien. Alle vor circa fünf Jahren vertrieben durch den Bürgerkrieg zwischen kolumbianischem Militär und FARC. Hier in der Provinz Caquetá im Süden Kolumbiens tobte der Konflikt heftig. Es ging um Landgewinne, die zum illegalen Anbau von Drogen genutzt wurden. Die ungleiche Verteilung des Landes und starke Konzentration des Besitzes auf einige wenige Großgrundbesitzer ist eine der Ursachen des Konflikts. Die hier wuchernden, tropischen Regenwälder dienten als Schutz für die Guerilla. Marias Mann war Bote der Rebellen. Sie bat ihn, damit aufzuhören: Bei seinem letzten Botengang wurde er erschossen. Maria floh mit ihren Söhnen nach Florencia, zunächst zu Verwandten.
Florencia hat etwa 180.000 Einwohner. Laut Aussage der örtlichen Ombudstelle, die Anzeigen von Opfern des Bürgerkriegs entgegen nimmt, sind rund 60 Prozent der Bevölkerung vom Konflikt betroffen. In den Stadtteilen, die sich wie Paloquemao am Rande der Stadt gebildet haben, leben bis zu 90 Prozent Vertriebene. Maria erinnert sich: „Wir besetzten mit den ersten 300 Familien das Land und rangen für mehrere Monate mit den Besitzern. Jetzt haben wir Bleiberecht.“
Hilfe beim Neuanfang
„Wir fingen bei Null an,“ erzählt Maria. Die Familien standen vor dem Nichts. Die Häuser bestehen aus einfachen Holzlatten oder Plane. Es gibt keine staatliche Unterstützung für die Neuankommenden, sie sind auf Hilfe von Außen angewiesen. Die Diakonie Katastrophenhilfe hat mit Unterstützung des Auswärtigen Amts in Paloquemao und zwei weiteren Stadtteilen deshalb ein Programm für Familien gestartet, die innerhalb der letzten zwei Jahren geflohen sind. Es geht um die Erstausstattung der Familien. Jede Familieerhält einen Wasserfilter mit Wassertank, da das Wasser oft nur für ca. 30-40 Minuten am Tag aus der Leitung kommt. Zudem erhalten die Familien Grundnahrungsmittel und Alltagsgegenstände wie Kochtöpfe, Geschirr und Material zur Verbesserung ihrer Häuser. Gemeinsam mit den Mitarbeitern von Corpomanigua, der Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe, legen die Familien zudem Hausgärten an. „Auf dem geringen Platz, der den Familien vor oder hinter ihren Häusern zur Verfügung steht, können sie in Gemüsebeeten das für den Eigenbedarf notwendige anpflanzen, um ihre Ernährung zu verbessern“, erklärt Sandra Ramirez, die Projektverantwortliche der Partnerorganisation. „Wenn die Ernte gut ist bleibt sogar noch etwas für den Verkauf.“
Maria hat das Programm bereits vor zwei Jahren durchlaufen und baut in ihrem Garten jetzt vor allem Heilkräuter an, die sie verkauft. Die nehmen wenig Platz ein und bringen einen guten Ertrag.
Frauen sind besonders betroffen
Neben dem Verlust von Angehörigen, Heimat und Besitz hat der Konflikt bei den Menschen in Paloquemao vor allem psychische Folgen durch die erlebte seelische und physische Gewalt hinterlassen. „Viele Frauen haben Gewalt erlebt. Kinder waren ab einem Alter von 12-13 Jahren der Gefahr der Zwangsrekrutierung ausgesetzt. Teilweise haben die Rebellen an den Schulen versucht, komplette Jahrgänge zu rekrutieren. Viele Familien sind aus diesem Grund geflohen,“ erklärt Funny Gaviria Henao – sie ist Mitarbeiterin von Corpomanigua und leitet die Selbsthilfegruppe für Frauen. Der Schutz und die Stärkung von Frauen und Kindern ist wichtiger Bestandteil des Programms von Corpomaniga und der Diakonie Katastrophenhilfe. „Es geht unter anderem darum, das Selbstbewusstsein zu stärken und Mechanismen zum Selbstschutz zu vermitteln.
„Durch die Gruppe konnte ich mich mit anderen Frauen vernetzen. dadurch fühlen wir uns stärker“, erklärt Maria. Sie ist heute Gemeindeführerin, anerkannt und geschätzt in Paloquemao. „Am Weltfrauentag haben wir hier einen Marsch mit etwa hundert Frauen durch den Ort organisiert, um für unsere Rechte zu demonstrieren. Das zeigt mehr Wirkung als wenn eine von uns allein auftritt.“
Hoffnung auf Frieden
Glaubt sie an Frieden in Kolumbien? Nein. Nach all den Jahren der Gewalt glaubt sie nicht mehr daran. Würde sie bei einer Volksabstimmung zum Frieden mit „Ja“ stimmen? Ja, natürlich! Es ist die Hoffnung, die sie am Leben hält und nach der sich alle hier sehnen: Endlich Frieden für die Menschen in Kolumbien.
*Name geändert.