Anlässlich der Machtübernahme des Militärs in Argentinien vor 40 Jahren veranstalteten das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Brot für die Welt am 21. April in Berlin eine gemeinsame Paneldiskussion unter dem Titel "Der politische und juristische Kampf gegen die Straflosigkeit der Diktaturverbrechen in Argentinien".
Die Veranstaltung nahm den Prozess der Aufarbeitung der Diktaturverbrechen in den Blick. Die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung der Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur wie das „Verschwindenlassen“, die Folter und die Ermordung von mehr als 30.000 Menschen gilt weltweit als beispielhaft. Die Madres de Plaza de Mayo, die Organisation der Mütter deren Kinder während der Militärdiktatur zwischen 1977 und 1983 unter zunächst unbekannten Ursachen verschwanden, ihre Beharrlichkeit und ihr Mut haben es zur internationalen Berühmtheit gebracht. Ihre weißen Kopftücher wurden weltweit zum Symbol des Widerstandes.
Militärs ließen Tausende verschwinden
Das Verschwindenlassen war eine der perfidesten Methoden der Militärjunta. Nach ihrer Ermordung wurden die Verschleppten an geheimen Orten in anonymen Massengräbern verscharrt oder von Flugzeugen aus in den Rio de la Plata geworfen. Die Madres del Plaza de Mayo forderten nichts weniger als Wahrheit und Gerechtigkeit, "Verdad y Justicia". Sie wollten wissen, wo ihre verschwundenen Kinder sind und forderten die gerichtliche Verurteilung der Verantwortlichen. Die Einspielungen von Dokumentarfilmausschnitten aus jener Zeit zu Beginn der Veranstaltung durch Jeanine Meerapfel, Präsidentin der Berliner Akademie und Filmemacherin, lieferten einen bewegenden Einstieg in die Diskussion.
Seit 2005 wurden fast 600 Täter, darunter Militärs, PolizistInnen und ZivilistInnen verurteilt. Was heute so folgerichtig und selbstverständlich erscheint, war nicht immer so. Dass es ein langwieriger, schwieriger und oft auch gefährlicher Weg war, darüber berichteten die Gäste aus Argentinien, darunter Marianela Galli, Tochter und Enkelin von Verschwundenen, Daniel Rafecas, Bundesrichter aus Buenos Aires, und Rodolfo Yanzón, Rechtsanwalt aus Buenos Aires.
Täter nach wie vor straflos
Es war die Zeit des kalten Krieges aber auch der Beginn sozialer Bewegungen und linker Projekte. Die Gäste berichteten von den verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Prozessen, die angestoßen wurden und zunächst auf heftigen Widerstand trafen. Von der Regierung Raúl Alfonsin wurden 1986/87 Amnestiegesetze erlassen, insbesondere das Schlusspunktgesetz (Ley de Punto Final) und das Gesetz über die Gehorsamspflicht, die die Militärs vor juristischer Verfolgung schützten. Auch die Nachfolgeregierung unter Carlos Menem erließ eine Reihe von Straferlassen für bereits verurteilte Militärs, was das Klima der Straflosigkeit verstärkte.
Doch der gesellschaftliche Widerstand gegen die vorherrschende Straflosigkeit riss nicht ab. Auf vielfältigste Weise setzte sich ein großer Teil der Gesellschaft, darunter AkademikerInnen, KünstlerInnen und AktivistInnen mit der blutigen Staatsgewalt der 1970er Jahre in Literatur, bildender Kunst, Kino und Theater auseinander. In Deutschland gründete sich 1998 die Koalition gegen Straflosigkeit, die sich die Entwicklungen im Völkerstrafrecht zunutze machte, um auch in Deutschland Strafverfahren gegen argentinische Militärs anzustrengen, so berichtete Kuno Hauck von der Koalition gegen Straflosigkeit.
Amnestiegesetz aufgehoben
Danuta Sacher, Abteilungsleiterin für Lateinamerika von Brot für die Welt, hob den wohl prominentesten Fall hervor: Jenen der 1977 ermordeten Elisabeth Käsemann, dessen strafrechtliche Aufarbeitung die Koalition gemeinsam mit den argentinischen Verbündeten durchsetzen konnte und der auch in besonderer Weise die Menschenrechtsarbeit des Diakonischen Werkes und von Brot für die Welt prägte. „Wie auch immer man zu den linksperonistischen Regierungen der letzten Dekade unter Néstor und Cristina Kircher stehen mag: Was die Aufarbeitung dieses Menschheitsverbrechens angeht, haben die argentinische Gesellschaft und der argentinische Staat weltweit Einzigartiges geleistet“, so das Fazit von Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR. Während der Amtszeit von Néstor Kirchner von 2003 bis 2007 wurden die Amnestiegesetze aufgehoben und durch das Verfassungsgericht für verfassungs- und völkerrechtswidrig erklärt.