Tuvalu gehört weltweit zu den vom Klimawandel verletzlichsten Staaten. Besonders der Meeresspiegelanstieg, verbunden mit extrem hohen Wellen und intensiver auftretender Stürme bedrohen den südpazifischen Inselstaat in seiner Existenz. Das Staatsgebiet umfasst nur 26km² Landfläche, im Durschnitt liegt das Land lediglich zwei Meter über dem Meeresspiegel, der höchste Punkt der Inselatolle liegt nur vier Meter über dem Meeresspiegel. Zum Vergleich: der verheerendste Zyklon der letzten Jahre, Zyklon Pam im Jahr 2005, hat bereits sechs Meter hohe Flutwellen mit sich gebracht, die das Land komplett überschwemmt haben. Der Finanzminister und stellvertretender Premierminister von Tuvalu, Maatia Toafa, ist sich bewusst, welches Glück sein Land hatte, dass Zyklon Pam keine Menschenleben gefordert hat. Das sei, so Toafa, der sehr guten Katastrophenvorsorge des Landes zu verdanken gewesen. Man konnte die Bevölkerung rechtzeitig warnen.
Insgesamt hat Zyklon Pam nach offiziellen Statements einen Schaden von 99 Millionen Australische Dollar (AUD) alleine in Tuvalu verursacht. Die internationale Spendengemeinschaft sei unerwartet sparsam in der Unterstützung des kleinen Inselstaates in der Rehabilitierung nach der Katastrophe gewesen, betont Toafa im Gespräch. Und so haben die Spenden nicht gereicht, um schnell wieder auf die Beine zu kommen. Der Staat hat daraus gelernt und 2015 selbst einen kleinen Katastrophenfond gegründet, den „Survival Fund“, der mit fünf Millionen AUD ausgestattet ist und im Falle einer nationalen Katastrophe umgehend genutzt werden kann für die Soforthilfe. Die international geförderten Klimarisikoversicherungen, die auch die Bundesregierung Deutschland mitfinanziert, hält der Finanzminister bis dato nicht für brauchbar, da die Versicherungspolice noch viel zu hoch sei. Solange die jährliche Beitrittssumme nicht gesenkt würde, könne der Staat sich solch eine Versicherung nicht leisten. Das sei bedauerlich, denn der Finanzminister ist von der extrem schnellen Hilfeleistung der Versicherungen beeindruckt. So hätte zum Beispiel der Inselstaat Vanuatu direkt nach dem Zyklon Pam innerhalb weniger Tage bereits das Geld der Versicherungen auf dem Konto gehabt.
Stattdessen hofft Toafa, dass die internationale Staatengemeinschaft seine Versprechen einhält und Finanzmittel für die ärmsten und vulnerabelsten Staaten bereitstellt. Sobald die Versicherungsbeiträge gesenkt wären, sei ein Mix aus Versicherungen und der Bereitstellung von internationalen Klimafinanzierungsmitteln sicher eine gute Hilfeleistung für Tuvalu: Die Klimafinanzierung zur Vorsorge als Katastrophenprävention und die Versicherungen zur Nachsorge im Katastrophenfall.
Die Prioritäten sind gesetzt, die Finanzmittel sollen vor allem für die Anpassungsmaßnahmen an den Meeresspiegelanstieg eingesetzt werden. Sandsäcke und künstliche Zementbarrieren gibt es bereits, um die Küsten vor der Erosion durch die Gezeiten zu schützen. Neue Landflächen wurden sehr aufwendig geschaffen, in dem mit Pumpen Sand vom Meeresgrund der Lagune zum Auffüllen des Atolls eingesetzt wurde. Die dörflichen Siedlungen sollen insgesamt mit Hilfe der Sandauffüllungen höher gelegt werden. Überall finden sich nun Sandhügel, auf denen gebaut wird. Um zusätzliche Landmasse zu schaffen, wurden die alten Sandgruben wieder aufgefüllt, die das US Militär während dem 2. Weltkrieg ausgehoben hat. Mit dem abgebauten Sand der Atolle hat das US Militär Flugplätze im Südpazifik gebaut.
Direkt vor dem Regierungsgebäude wurde mit angepumptem Sand vom Meeresboden eine große Landfläche neu geschaffen. Mit den fünf Tonnen schweren Sandsäcken wird die künstlich geschaffene Landfläche vor der Erosion durch den Meeresspiegelanstieg geschützt.
Weitere Projekte für den Schutz des Staates sind geplant und auch dringend notwendig, um das Leben der Insulaner zu schützen. Ein Projekt zum Küstenschutz über 36 Millionen USD wurde gerade von der internationalen Staatengemeinschaft durch den Grünen Klimafond genehmigt. Aktuell laufen auch Konsultationen über den Einsatz diverser Technologien, um sich dem Meeresspiegelanstieg anzupassen. Die momentan teuerste Variante ist eine japanische Technologie, bei dem fünfbeinige Zementblöcke in die Lagune gesetzt werden. Als „Force Breaker“ brechen sie die für die Einwohner lebensbedrohlichen Flutwellen. Ob diese Anpassungsmaßnahme auch als Eingriff in die Natur negative Folgen haben könnte, muss noch abschließend bewertet werden. Das kleinere und vor allem bezahlbarere Übel wird sich wohl durchsetzen.
Wäre es angesichts des Aufwands der Anstrengungen, mit dem Wissen über die Risiken des Klimawandels nicht auch eine Überlegung, einen Umsiedlungsprozess anzugehen, wie ihn der Inselstaat Kiribati bereits plant?
„Auf gar keinen Fall siedeln wir um“, gibt Toafa nachhaltig zu verstehen. „Wenn der Staat Tuvalu untergeht, dann gehen wir mit Tuvalu unter, es wird kein Tuvalu II auf einem anderen Staatsgebiet geben. Was Tuvalu ausmacht ist das Land, die Menschen, die Kultur und die Sprache – das lässt sich nicht umsiedeln“. Die Drastik dieser Worte erklärt der Finanzminister mit dem tief verwurzelten Glauben der Bevölkerung von Tuvalu. „Wir glauben, dass Gott uns helfen wird. Wir müssen natürlich auch unseren Beitrag leisten, und das bedeutet, dass wir das Pariser Klimaabkommen zügig umsetzen und die globale Erwärmung auf unter 1.5°C halten müssen. Tuvalu wird auch seine ohnehin wenigen Treibhausgase reduzieren und sich sehr stark an den Klimawandel anpassen!“
Auch wenn die Position von Toafa zum Thema kollektive Migration von absoluter Ablehnung geprägt ist, so unterstützen die Regierung und er jedoch natürlich individuelle Umsiedlungsbemühungen. „Wir unterstützen jeden, der gehen will – diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen, der Staat selbst wird aber nicht umsiedeln.“
Aber wäre es nicht besser, wenn alle geschlossen umziehen, statt dass jeder einzelne für sich verstreut um die Welt eine neue Heimat sucht? „Im Moment ziehen wir die Diaspora vor, wir sind nicht bereit Tuvalu aufzugeben“, merkt der Finanzminister entschieden an. „Das wäre das falsche Signal an die internationale Staatengemeinschaft, dass sie sich für Tuvalu nicht mehr anstrengen müssen – dann müssen sie sich auch für die Welt nicht mehr anstrengen. Tuvalu zu schützen bedeutet auch den Planeten zu schützen.“
Der Regierungschef selbst, Prime Minister Enele S. Sopoaga, bestätigt mit diplomatischen Ton die Regierungsposition. Er ist gerade in Funafuti, der Hauptstadt von Tuvalu, gelandet, nachdem er die vergangenen Tage in New York bei der UNO-Generalsversammlung die Regierungen aufgerufen hat, alles zu tun, damit das Pariser Klimaabkommen schnellst möglichst und ambitioniert umgesetzt werden kann. Die Existenz Tuvalus sei davon abhängig. Das Ziel muss sein, die globale Erwärmung auf unter 1.5°C zu halten und Tuvalu bestens an den Klimawandel anzupassen, gibt er zu Verstehen. Die zentrale Botschaft lautet, dass Tuvalu gerettet werden muss, an ein Aufgeben sei nicht zu denken. Die Frage, ob man Tuvalu umsiedeln sollte, wurde wohl daher nicht beantwortet. Er merkt jedoch an, dass ein völkerrechtlicher Rahmen für die Menschen geschaffen werden muss, die klimabedingt keine andere Wahl haben, als ihre Heimat zu verlassen. Für diese Menschen muss die internationale Staatengemeinschaft gerechte Lösungen finden. Aber eine Migration bliebe eine eigene Entscheidung, jeder der Migrationspläne habe, solle dabei unterstützt werden, aber das habe nichts mit dem Klimawandel zu tun, sondern mit dem Recht sich frei zu bewegen!
Eine Argumentationslinie, die Bikenibeu Paeniu teilt. Paeniu, der seit 1990 bereits dreimal zum Staatsoberhaupt des Landes gewählt wurde und heute das Projekt der UNESCAP zu „Migration und Klimawandel im Pazifik“ leitet, fordert einen rechtlichen Rahmen. Zum Beispiel bedarf es einer internationalen Konvention (diese könnte unter der Klimarahmenkonvention aufgehängt sein), welche den Betroffenen des Klimawandels das Recht zur Migration einräumt. Ob man letztendlich aber umsiedeln möchte oder nicht, bliebe eine individuelle Entscheidung. Das bilaterale Migrationsabkommen mit Neuseeland (PAC), das oft angeführt wird, greift seiner Ansicht nach viel zu kurz. Nur unter 40jährige, die gut ausgebildet und zudem in einem ausgezeichneten Gesundheitszustand seien, dürften nach Neuseeland umsiedeln. Diabetes oder ein hoher Blutdruck seien bereits Grund genug einen Einwanderungsantrag abzulehnen. Das würde wohl kaum dem Völkerrecht entsprechen, das nun geschaffen werden müsse, um den von Klimawandel besonders Betroffenen gerecht zu werden. Der Staat Tuvalu selbst bereite seine Bevölkerung auf eine individuelle Migration durch staatlich geförderte Gesundheits- und Bildungsprogramme vor, damit sie im schlimmsten Fall auch in einer neuen Heimat eine Chance hätten.
Reverend Lusama Tafue von der Kirche Tuvalus sieht auch die Schwierigkeiten einer klimabedingten Migration. Er zweifelt an einem Konzept einer „Migration in Würde“, das vom vorherigen Präsidenten von Kiribati, Anote Tong, eingefordert wurde. „Das Konzept einer Migration in Würde gibt es nicht. Die Menschen sind vom Klimawandel gezwungen ihre Heimat zu verlassen, das kann man nicht würdevoll gestalten“, betont er nachdrücklich. Und fügt hinzu, es sei eine Katastrophe für jeden einzelnen. „Wir müssen aber dafür sorgen, dass zumindest internationales Völkerrecht für eine klimagezwungene Migration geschaffen wird, denn wir wollen auf gar keinen Fall Klimaflüchtlinge sein!“
Für den schlimmsten Fall, dass die Einwohner von Tuvalu ihre Heimat verlieren, wäre eine Umsiedlung innerhalb des Südpazifiks am ehesten denkbar. Gestützt durch internationales Völkerrecht und finanziert durch die Industrieländer, die den Klimawandel verursacht haben. Laut Tafue will die Mehrheit jedoch nicht weg: „Sie wollen ihre Heimat nicht zurücklassen!“
Die 13jährige Fialupe Solomona und ihre beiden gleichaltrigen Freundinnen Velma O`Brien und Raijeli Isala können sich ein Leben außerhalb von Tuvalu nicht vorstellen – vor allem nicht mit dem Wissen, das sie nicht mehr zurückkehren können, wenn ihre Heimat unbewohnbar wird. Dabei haben die drei Schulfreundinnen Auslandserfahrung: Fialupe wurde in Australien geboren, Velma hat sechs Jahre in Neuseeland gelebt. Sie sind sehr stolz darauf Tuvaluanerinnen zu sein und sehen keinerlei Vorteil darin, in ein Industrieland umzusiedeln wie Neuseeland oder Australien, im Gegenteil fürchten sie ihre Landessprache zu verlieren.
Der 28 Jahre alte Seemann Paeniu Lopati von dem Atoll Funafala braucht keine Wissenschaft, die ihm den Klimawandel erklärt. Bereits zwei Nachbaratolle sind dem Klimawandel zum Opfer gefallen und im Ozean versunken, Vasafua und Pukasavilivili. Die Korallenbleiche sowie die schwindenden Fischgründe gehen für ihn ganz klar auf das Konto des Klimawandels, ebenso die beständige Küstenerosion an dem Atoll, auf dem er mit fünf Familien, insgesamt 18 Personen lebt. Aber an Aufgeben sei nicht denken, äußert auch er sich entschieden. Wenn der gefährliche Klimawandel nicht eingedämmt wird, habe Tuvalu laut Wissenschaft noch 50 Jahre, bis es im Ozean versinkt, erklärt Lopati. Jede einzelne Minute will er bis dahin in seinem Paradies genießen.