Israelische wie palästinensische Behörden machen unabhängigen Organisationen in der eigenen Gesellschaft das Leben schwer. Europa sollte dem entgegentreten - die Zivilgesellschaft in Israel und Palästina braucht Rückendeckung.
Am 5. Februar trafen sich in Tel Aviv rund tausend Israelis, darunter zahlreiche berühmte Künstler, zur Protest-Party. Sie war der vorläufige Höhepunkt einer hitzigen Debatte in Israel über die Handlungsspielräume von israelischen und palästinensischen nichtstaatlichen Organisationen (NGO) und die Zukunft der Zivilgesellschaft. Zuletzt waren in einer zwischen NGOs geführten Kampagne eine Reihe namhafter Künstler und Intellektueller, darunter der Schriftsteller Amos Oz, als „Maulwürfe“ bezeichnet und Menschenrechtsorganisationen als Spione dargestellt worden.
Drei Tage nach der Protest-Party billigte die Knesset, das israelische Parlament, ein neues NGO-Gesetz in erster Lesung. Es hat zum Ziel, Transparenz über die Finanzierung von israelischen NGO herzustellen: Alle, die mehr als die Hälfte ihrer Mittel von „ausländischen politischen Einheiten“ beziehen, sollen das überall kenntlich machen.
Laut betroffenen Organisationen und Kritikern zielt das vor allem auf Menschenrechtsorganisationen, die aus Europa finanziert werden und die Politik der israelischen Regierung in den Palästinensergebieten kritisieren. Sie sehen in der fortgesetzten Besatzung und den damit einhergehenden Auseinandersetzungen sowie der Verletzung des Humanitären Völkerrechts mittelfristig eine ernste Gefahr für Israel. Nicht unter das Gesetz fallen würden den Kritiker zufolge Gruppen, die die Besatzung unterstützen und oft Geld von privaten Stiftungen oder Einzelpersonen erhalten – teils aus Israel, teils aus dem Ausland. Dies betreffe etwa 90 Prozent des ausländischen Geldes, das NGO in Israel insgesamt jährlich erhalten.
In Europa wird diese Gesetzesinitiative der israelischen Regierung besorgt und durchaus kritisch betrachtet. In einem offenen Brief an die Mitglieder der Knesset drückten fast 50 Europa-Abgeordnete ihre tiefe Besorgnis aus – bei allem Verständnis für die Transparenzbestrebungen.
Die Friedenspolitik spaltet die Gesellschaft
Nun diskutieren Anti-Besatzungs-NGO und Organisationen, die die Besatzung befürworten, über den Gesetzentwurf. Ihre gegenseitigen Vorwürfe und Diffamierungen werden von den Medien dankend aufgegriffen. Die Debatte über die Friedenspolitik und die Besatzung spaltet die israelische Gesellschaft. Alle Seiten beanspruchen, die Sicherheit Israels zum Ziel zu haben. Für die einen steht die Besatzung einem dauerhaften Frieden in der Region entgegen, auch wegen der schwierigen Lebensbedingung der Palästinenser. Die andere Seite verweist auf andauernde Terrorangriffe und rechtfertigt so verschärfte Sicherheitsmaßnahmen.
Auch auf palästinensischer Seite gibt es Tendenzen, den Handlungs- und Gestaltungsspielraum für zivilgesellschaftliche Kräfte einzuschränken. Dies geschieht einerseits per Gesetz; so sieht der Entwurf der palästinensischen Regierung für eine Ergänzung des NGO-Gesetzes vor, dass die palästinensischen Autonomie-Behörden wie in Russland, China oder Ägypten jedes einzelne Projektvorhaben autorisieren müssen. Andererseits läuft eine von offizieller Seite befürwortete Kampagne gegen NGO, die sich etwa in restriktiven Praktiken der Hamas im Gazastreifen zeigt. Mehr als hundert palästinensische NGO haben Anfang Oktober 2015 gefordert, damit und mit den zusätzlichen gesetzlichen Anforderungen für NGO Schluss zu machen. Die palästinensischen de-facto-Regierungen sollten nationale Interessen in den Vordergrund stellen und nicht die NGO-Arbeit einschränken, die vor allem auf das Wohl der Palästinenserinnen abziele.
Die Weltöffentlichkeit schaut zurzeit nach Syrien und auf die Flüchtlinge und vernachlässigt den Nahostkonflikt. Aber auch wenn die Lage in Syrien ohne Zweifel besonders schlimm ist, dürfen wir andere Krisen nicht vergessen. Wenn sich die innenpolitische Lage in Israel weiter polarisiert, wenn der Handlungs- und Gestaltungsspielraum für zivilgesellschaftliche Kräfte auf beiden Seiten weiter eingeschränkt wird, dann rückt eine Lösung dieses Dauerkonfliktes in weite Ferne und die nächsten Gewaltausbrüche sind vorprogrammiert. Es liegt auch im Interesse Europas, dass eine friedliche Lösung für den Nahostkonflikt gefunden wird. Wir Europäer müssen Israel darin unterstützen, die innergesellschaftliche Debatte mit demokratischen Mitteln auszutragen und den konstruktiv-kritischen Diskurs innerhalb Israels und mit den Palästinensern zu erhalten. Und wir müssen auf palästinensischer Seite dafür eintreten, dass sich zivilgesellschaftliche Kräfte weiter für gewaltfreie Lösungsansätze und die Belange der Bevölkerung einsetzen können.
Der Beitrag erschien in der Rubrik "Herausgeberkolumne" der Zeitschrift "welt-sichten" (Ausgabe 4 / 2016 sowie online am 06.04.2016).