Mein Beitrag für die Pressekonferenz von "Bündnis Entwicklung Hilft" zum Thema Fluchtursachen:
"Zum Anfang dieser Pressekonferenz zum Thema Fluchtursachen beginne ich damit, was keine Fluchtursachen sind:
Wenn wir von Fluchtursachen reden, reden wir nicht davon, warum Flüchtlinge nach Europa kommen. Wir reden nicht davon, warum sie da, wo sie zwischenzeitlich landen - also in Nachbar- oder Transitländern -, nicht bleiben können oder wollen.
Nein, wir reden angemessenerweise davon, warum sie ihre Heimat, in der sie alle herzlich gerne blieben, verlassen müssen.
Warum sie schließlich irgendwann den extrem gefährlichen Weg nach Europa antreten, ist ein völlig anderes Thema. Und es hat schlechterdings nichts mit Fluchtursachen zu tun. Es ist entweder eine unerträgliche Diskriminierung zu behaupten, Menschen flöhen, weil Flüchtlingslager ihnen nicht bieten, was sie wollen. Es dienst lediglich dazu, die Zahl der Flüchtlinge in Europa zu begrenzen, wenn man überfüllte Flüchtlingslager in Syriens Nachbarländern endlich ausreichend unterstützt, wenn man Transitländer wie in Nordafrika durch angedrohte Streichung von Entwicklungshilfe zwingt, Flüchtlinge aus Afrika am Weg über das Mittelmeer zu hindern, oder wenn man die Länder als vermeintlich sichere Herkunftsstaaten zwingt, diese Menschen zurücknehmen. Aber das bekämpft ganz gewiss nicht die Fluchtursachen! Soviel intellektuelle Redlichkeit muss selbst in Zeiten von Wahlkampfrhetorik und jeder Menge Symbolpolitik sein!
Richtig ist aber, dass die westlichen, östlichen Gebernationen und die Golfstaaten ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind, den UNHCR angemessen und gemäß ihren Zusagen finanziell auszustatten. Nämlich so, dass er für die Millionen Flüchtlinge Unterkünfte, Nahrungsmittel, Basisversorgung und Schutz bereitstellen kann.
Ganz zu schweigen von der mangelnden Unterstützung für die gastgebenden Nachbarstaaten wie Jordanien, Libanon und Türkei, die mehr als vier Millionen Menschen in ihren Gesellschaften aufnehmen und mittragen müssen. Und das, obwohl Libanon und Jordanien selbst arm sind. Was sie von Europa aber vor allem unterscheidet: Menschlichkeit und Solidarität hindern sie, sich die Flüchtlinge vom Hals halten zu wollen.
Der UNHCR musste im letzten Sommer die Lebensmittelrationen fast halbieren. Jordanien konnte nicht mehr allen Flüchtlingskindern den Schulbesuch ermöglichen und kostenlose Gesundheitsversorgung bieten, wie es das Land in den ersten Kriegsjahren getan hat.
Es ist derselbe kurzsichtige Skandal, der sich jetzt innerhalb Europas abspielt. Immer erst und nur dann reagieren, wenn man selbst betroffen ist, ist das Gegenteil von weitsichtiger und solidarischer Politik. Das Ausmaß dieser Fluchtbewegung nach Europa hat Europa sich selbst mit diesem Prinzip geschaffen.
Man kann es auch noch einmal anders beleuchten: Europa hat sich jahrelang geweigert, seinen humanitären Verpflichtungen nachzukommen. Und nun ist es dabei, mit "Obergrenzen", Grenzzäunen, der willkürlichen Kategorisierung von Ländern als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eine der zentralen humanitären internationalen Regelungen auszuhebeln, nämlich die Genfer Flüchtlingskonvention.
Das alles wird langfristig nicht folgenlos bleiben.
Wer das humanitäre Völkerrecht aus Eigennutz aushebelt, zerstört das zentrale Element, das Folgen von Gewalt und Krieg auf unschuldige Menschen begrenzt, zerstört die letzte Schutzbastion für alle Menschen weltweit, die einmal unter die Räder des kriegerischen Chaos‘ geraten.
Die Entstehung und Entwicklung des humanitären Völkerrechts war die Antwort auf die grauenvollen Blutjahre dramatischer Kriege, nicht zuletzt des ersten und zweiten Weltkriegs. Rüstungskontrolle war die Antwort auf den Kalten Krieg, die systematische Entwicklung gewaltfreier Konfliktbearbeitungsmethoden die Antwort auf asymmetrische Kriege seit dem Ende der Kolonialzeit, Bemühungen um Gerechtigkeit und um Entwicklung die Antwort auf erkannte Konfliktursachen.
Und nun zu den eigentlichen Fluchtursachen: In Syrien erleben wir die immer weitere Eskalation kriegerischer Gewalt. Sie ist – neben einer verantwortungslosen Regierung – vor allem die absolut rücksichtslose Machtdurchsetzung ausländischer Regierungen und von ihnen bezahlten Terrorgruppen in der Region. Die Zahl der Gewaltakteure ist unüberschaubar geworden. Es schlägt die große Stunde der Waffenproduzenten und -exporteure. Und Deutschland fällt nichts Besseres ein, als sich daran zu beteiligen ohne Überblick, Ziel und Plan.
Deutschland hat im ersten Halbjahr 2014 – so der jüngste Rüstungsexportbericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) – wieder mehr Waffen exportiert als 2013, Waffen im Wert von 3,3 Milliarden Euro und zwar auch nach Saudi-Arabien, Algerien oder Russland. Dass deutsche Waffen die Krisen und Konflikte der Region befeuern – unerträglich.
Spätestens seit dem Irak-Krieg wurde das humanitäre Völkerrecht (damals von der US-Regierung) ausgehebelt: humanitäre Hilfe wurde gnadenlos politisch instrumentalisiert. Sie hat jede Akzeptanz verloren: Humanitäre Zugänge zu Kriegsopfern werden verweigert, Helfer werden angegriffen und Einrichtungen zerstört. Die gestrigen Angriffe auf Krankenhäuser in Syrien, die man wohl gezielt nennen muss, sind eine Frucht dieser Entwicklung.
Die Völkergemeinschaft selbst, auch der Westen, hat die humanitären Schutzmechanismen für die Zivilbevölkerung beseitigt. Die Vorenthaltung von medizinischer Versorgung, von Nahrungsmittelhilfe, Wasser etc. ist zum Kriegsinstrument geworden, dessen sich alle Akteure bedienen. Das Überleben der Zivilbevölkerung interessiert niemanden mehr, wenn es darum geht, die Eigeninteressen in der Region zu sichern.
Befeuert Europa die Krisen mit Waffen, anstatt sich rechtzeitig für gewaltfreie Konfliktlösung stark zu machen, ist das das Gegenteil von Fluchtursachenbekämpfung. Schleift man die letzte Bastion des humanitären Völkerrechts und versagt beim Schutz der Zivilbevölkerung, muss man sich nicht wundern, wenn noch mehr Opfer von Gewalt an unsere Tür klopfen."