Ein Viertel meiner Zeit ist schon oder erst um. Viel ist in der Zeit passiert. Und dass die Zeit vergangen ist, merkt man nicht nur daran, dass es längst nicht mehr über dreißig Grad sind, sowie am Anfang, sondern dass immer mehr Schnee auf den Bergen am Horizont liegt. Allmählich bin ich wirklich hier angekommen. Es hat etwas begonnen, das man Alltag nennen kann. Davon will ich ein bisschen berichten.
Ich arbeite bei der Organisation EthicFinance bzw. EthicCapital und Sobissuri. Gar nicht so einfach die Strukturen in meiner Organisation: EthicCapital, eine alternative Kreditgenossenschaft, die zumeist an Menschen aus dem ländlichen Bereich Mikrokredite vergibt und damit versucht, ihnen zu helfen, eine Zukunftsperspektive aufzubauen. Hierbei wird besonders auf den nachhaltigen und ökologischen Aspekt Wert gelegt. Außerdem Sobissuri, eine Jugendgenossenschaft, die in einem kleinen Dorf Apfelsaft, Apfelessig und Traubensaft herstellt und dadurch der Jugend einen Job gibt. Das Ziel dabei ist es, gegen die Problematik der Arbeitslosigkeit und Landflucht anzukämpfen.
Aber was sind eigentlich meine Aufgaben? Ich habe die Webseiten der beiden Organisationen neugestaltet, bin mit meiner Kollegin auf Märkten, Veranstaltungen, wo wir unseren Apfelsaft verkaufen und erarbeite mit meiner Kollegin ein neues Logo und Flyer für Sobissuri. Außerdem stehe ich für EthicCapital und Sobissuri in Kontakt mit Organisationen aus dem Ausland.
Ansonsten hatte ich auch schon die Möglichkeit, in das Dorf Sobissi zu fahren, wo der Apfelsaft hergestellt wird, und dort ein bisschen mitzuhelfen.
Was einem immer wieder auffällt, wenn man aus Tbilisi herausfährt, ist der Unterschied zwischen Stadt und Land. Klar gibt es auch in Tbilisi mehrere Seiten: einmal die hippe, moderne und aufstrebende Stadt, so wie sie zurzeit in vielen Zeitungsartikeln beschrieben wird, und zum anderen die ganzen Plattenbausiedlungen, wo es massive Probleme mit der Arbeitslosigkeit gibt. Aber wenn man raus fährt, ist der Unterschied zwischen Georgien und zum Beispiel Deutschland noch deutlicher zu sehen. Häufig sieht man Pferdewagen, auf denen Obst und Gemüse transportiert wird. Das Leben, das die Leute hier führen, ist oft sehr einfach.
Meine Arbeit beginnt um elf. Eine Sache, an die man sich gewöhnen muss, wenn man nach Georgien kommt, ist, dass das Leben um ca. ein bis zwei Stunden nach hinten verschoben ist. So ist um sieben Uhr morgens deutlich weniger Verkehr als um zwei Uhr nachts. Ich kann zum Glück zu Fuß gehen, da morgens und abends der Verkehr hier mehr steht: Vorbei an den stehenden Autos, durch die Unterführung, die manchmal nach Weihrauch riecht, mit ihren kleinen Läden und der älteren Dame, die Obst verkauft, vorbei auch an einer Bettlerin, der Waage, wo man sich für umgerechnet fünf Cent wiegen könnte, der Geldwechselstube, wo man zur Zeit immer sieht, dass der Wert des Lari, der georgischen Währung, immer weiter fällt, dem Bäcker, mit dem Duft nach leckerem Brot, dem Supermarkt, vorbei an supermodernen Gebäuden, Bauruinen und Gebäuden, die fast zerfallen, in mein Büro, wo ich zusammen mit fünf sehr netten Kolleginnen und Kollegen arbeite.
Ich empfinge es als schwierig, sich in Georgien zu überarbeiten: schon um fünf Uhr geht es für mich schon wieder zurück nach Hause und dann meist weiter zum Georgisch-Unterricht. Ich versuche mein Bestes, diese schwierige Sprache zu erlernen, aber es macht auch echt Spaß. Ansonsten steht zurzeit noch Physiotherapie bei mir auf dem Plan, da ich mir leider hier mein Schlüsselbein gebrochen habe. Und dann wird zusammen mit meinem Mitbewohner abends gekocht. Das Wochenende oder die noch freien Zeiten unter der Woche verlaufen immer anders: meist zusammen mit den anderen Freiwilligen besuchen wir Kulturveranstaltungen, gehen (sehr lecker) essen und was trinken, kochen gemeinsam und entdecken natürlich Georgien. Auch wenn Georgien ja ein echt nicht großes Land ist, gibt es viel zu sehen und es ist schön, mal aus der Stadt raus zu kommen, die doch auf Dauer schon sehr laut und dreckig ist.
Letztes Wochenende zum Beispiel sind wir nach Kazbegi gefahren, was im großen Kaukasus liegt. Von dort sieht man den höchsten Berg Georgiens und wir haben ein wunderschönes Wochenende mit wandern, essen und einfach nur quatschen verbracht. Das Schöne ist, dass man danach Tbilisi wieder mehr genießen kann, welch eine Stadt voller Gegensätze ist, die wunderschön und natürlich auch mal nicht so schön sein kann ist. Aber wenn man zurück in die Stadt fährt, fühlt es sich schon wie nach Hause kommen an.
Auf jeden Fall muss ich noch viel hier in Georgien sehen, aber mir bleiben ja zum Glück noch viele Monate.
Bericht: Lotte Heitmann