Am Freitag ist in Genf die dritte Verhandlungsrunde der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe (IGWG) zur Erabeitung eines UN-Abkommens für globale Unternehmensregeln (Binding Treaty) zuende gegangen. Die Arbeitsgruppe wurde vom UN-Menschenrechtsrat 2014 auf Initiative von Ecuador und Südafrika eingesetzt - gegen die Stimmen der EU und anderer großer Industriestaaten wie den USA und Kanada. Anhand eines von der ecuadorianischen Verhandlungsleitung Ende September vorgelegten Papiers mit konkreten Vorschlägen für Elemente eines künftigen Abkommens, diskutierten Vertreter*innen von Staaten, Zivilgesellschaft und Wirtschaft eine Woche lang, wie transnationale Konzerne zur Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet und Betroffenen Klagemöglichkeiten eröffnet werden können. Die Beteiligung war dieses Mal so groß wie noch nie: Während sich an der ersten Verhandlungsrunde 60 Staaten beteiligten und an der zweiten 80, waren es jetzt rund 100. Auch die Treaty Alliance, ein weltweites Netzwerk aus 700 NGOs und mehr als 1000 Einzelpersonen, an dem sich Brot für die Welt beteiligt, war in beeindruckender Stärke vor Ort. Rund 200 Vertreter*innen verfolgten die Verhandlungen und beteiligten sich aktiv durch mündliche und schriftliche Eingaben zu den verschiedenen Diskussionspunkten.
Die Eingaben können hier nachgelesen werden:
http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/WGTransCorp/Session3/Pages/OralInterventions.aspx
Am letzten Tag schilderten Betroffene in eindrücklicher Weise, warum ein Abkommen aus ihrer Perspektive unabdingbar ist. Eine Vertreterin des Red Latinoamericana de Acceso a los Medicamentos erklärte, der Patententschutz für Medizinprodukte unter dem TRIPS-Abkommen habe zur Folge, dass Millionen von Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern keinen Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten hätten. Ein Vertreter von Via Campesina, einem Netzwerk, das sich für die Rechte von Indigenen und Kleinbäuerinnen einsetzt, beschrieb, dass die Ansiedlung vom Industrie zum Rohstoffabbau oft mit einem Absinken des Grundwasserspiegels verbunden sei. Betroffene Gemeinschaften, von denen das Land vorher bewirtschaftet wurde, könnten sich tiefe Bohrungen um an Wasser zu gelangen nicht leisten. Sie würden ihr Land großen Agrobusiness-Konzernen überlassen, die es massiv mit Pestiziden und anderen Chemikalien behandeln und zur Ausbreitung von Monokulturen beitragen. Die Folge seien eine Vergiftung der Umwelt und die Zunahme von Erkrankungen. Eine Vertreterin von Friends of the Earth von den Philippinen erzählte vom Marcopper Minenunglück, einem der größten in der philippinischen Geschichte. Durch den Bruch eines Abwasserkanals gelangte 1996 eine große Menge toxischer Rückstände in das Makuplapnit-Boac Flussystem und verursachte flutartige Überschwemmungen der umliegenden Gegenden. Ein ganzes Dorf wurde in sechs Metern Schlammwasser begraben und mehr als 400 Familien vertrieben. 20 weitere Dörfer mussten evakuiert werden. Der Fluss, der den Anwohner*innen als Lebensgrundlage gedient hatte, wurde kontaminiert, Fische, Garnelen und Tiere, die daraus tranken, getötet. 21 Jahre später befindet sich der Prozess gegen das verantwortliche Unternehmen noch immer im Ermittlungsverfahren. Eine Entschädigung haben die Betroffenen nicht erhalten. Einige von ihnen sind inzwischen verstorben.
All das sind Ausprägungen der Straflosigkeit, die vorherrscht wenn Unternehmen im Ausland Menschenrechte verletzen. Während Betroffene an den Unzulänglichkeiten nationaler Justizsystheme scheitern, wurden Unternehmen Möglichkeiten eingeräumt, Staaten vor Investitionsgerichtshöfen zu verklagen, wenn bestimmte Politiken ihre Gewinnerwartungen beeinträchtigen. Um diese Ungerechtigkeit zu beenden, bedarf es den Binding Treaty, darin waren sich alle Redner und Rednerinnen einig - "it´s time to end the culture of impunity and injustice".
Im Anschluss daran meldeten sich die EU und einige der Mitgliedstaaten zu Wort. Sie betonten ihr Mitgefühl für die Betroffenen, machten aber gleichzeitig deutlich, dass sie der Auffassung sind, es passiere bereits genug auf freiwilliger Basis. Hervorgehoben wurden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, deren Übertragung in Nationale Aktionspläne und Multi-Stakeholder-Approaches. Außerdem müssten zunächst bestehende Regeln umgesetzt werden und es bringe sowieso alles nichts, wenn die lokale Justiz korrupt sei - Argumente, die auch immer wieder von Seiten der Wirtschaft gebracht werden.
Die Wortmeldungen passten zu Informationen, die zuvor bekannt geworden waren. Danach beabsichtigte die EU, die Weiterarbeit der IGWG von einer neuen Resolution des UN-Menschenrechtsrats abhängig zu machen. Ob eine solche Resolution wegen der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse im Menschenrechtsrat überhaupt zustande gekommen wäre, steht in den Sternen. Jedenfalls hätte sie den Prozess um Jahre zurückgeworfen. Der Ansatz lässt sich deshalb als Versuch werten, die Erabeitung eines verbindlichen Abkommens zu blockieren und weiter vollständig auf Freiwilligkeit zu bauen. Denn der Wortlaut der 2014 beschlossenen Resolution 26/9, auf die sich das Mandat der IGWG gründet, gibt das Erfordernis einer neuen Resolution zur Mandatserneuerung nach drei Jahren nicht her. Der IGWG wird darin das Mandat verliehen, ein international verbindliches Instrument zur menschenrechtlichen Regulierung von transnationalen Konzernen und anderen Unternehmen zu erarbeiten, ohne Festlegung eines zeitlichen Ziels. Die Tatsache, dass die Resolution nur für die ersten drei Sitzungen eine Agenda skizziert, bedeutet nicht, dass das Mandat der IGWG auf drei Sitzungen beschränkt ist. Dies wurde später vom Sekretariat des Menschenrechtsrats bestätigt. Vertreter*innen einiger Mitgliedstaaten behaupteten jedoch das Gegenteil. Auch die USA äußerten sich entsprechend, obwohl sie an den Verhandlungen, wie schon in den Jahren zuvor, überhaupt nicht teilnahmen.
"we don´t want your pity, we want action!" - dank des unermüdlichen Einsatzes der anwesenden zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen, die deutlich machten, dass eine Blockade des Prozesses nicht akzeptiert werden würde, gelang es schließlich, Konsens über eine Abschlusserklärung zu erzielen in der die Rede von weiteren Verhandlungen ist - auch wenn ein expliziter Bezug auf eine vierte Verhandlungsrunde auf Verlangen der EU gestrichen wurde.
Bis zum Februar 2018 sind die Staaten und anderen Interessensvertreter*innen nun aufgerufen, ihre Anmerkungen und Kommentare zu den Elementen eines künftigen Abkommens einzusenden.