Die beiden Mädchen halten riesige Blumensträuße in ihren Händen. Ihr Lachen wirkt ansteckend. Sie sitzen auf der Bühne und schauen überglücklich ins Publikum. Die Aufführung ist bei den Zuschauerinnen und Zuschauern offenbar gut angekommen. Die beiden palästinensischen Jugendlichen leben im Gaza-Streifen. An ihrer Schule haben sich die Schülerinnen an einem Theaterprojekt von Theater Day Productions (TDP) beteiligt.
Seit mehr als 20 Jahren entführt die Partnerorganisation von Brot für die Welt palästinensische Kinder und Jugendliche sowie Frauen vom Alltag auf die Bühne. Indem sie in andere Rollen schlüpfen, erproben sie ein anderes Leben, in dem zum Beispiel Frieden und Freiheit möglich ist. So kommen die Mädchen raus aus Gaza und rein in eine fiktive Welt. Hier kann man das Unmögliche möglich machen. Vor einem Jahrzehnt hat dies TDP auch in der Realität versucht. Der Versuch ist zwar gescheitert. Das Projekt hat aber dennoch außerhalb des Landes große Aufmerksamkeit erregt. Was war geschehen?
Die Geschichte spielt in den Jahren 2007/2008. Im Theaterstück „The Game“ spiegelt sich der extreme Mangel, unter dem die 1,5 Millionen Bewohner des abgeriegelten Gazastreifens litten. Im Jahr 2008 leerten sich die Läden. Am Ende gab es kein Benzin mehr, sodass die Menschen weder zur Arbeit noch zur Schule gehen konnten. Schon ein Jahr zuvor wurden Gastspiele für Ende 2008 in Holland und Belgien geplant. Die jugendlichen Schauspieler erhielten sogar ein Visum, um den Gaza-Streifen zu verlassen. „Alle freuten sich auf den Austausch mit anderen jungen Leuten in Europa“, erklärt TDP-Direktor Ayyam Al Masrah. Aber dann wurden die Grenzen des Gazastreifens geschlossen, niemand kam mehr heraus. So trat Plan B in Kraft. Palästinensische Jugendliche aus der West Bank, die leichter ausreisen konnten, spielten nun das Stück. Aber nach der Aufführung wurde ein Film vorgeführt über die Entstehung der Produktion mit den jungen Leuten aus Gaza gezeigt. In einem Alltag, der für die Menschen Tag für Tag neue Probleme bringt, scheint Kreativität wenig Platz zu haben. Und im völlig unterfinanzierten Schulsystem kann so etwas schon gar nicht gefördert werden.
TDP wurde 1995 gegründet, um diese Lücke auszufüllen. In den Gründungsstatuten sind die Ziele niedergelegt: TDP strebt an, dass Drama, Theater und weitere kreative Aktivitäten ein Teil des Lebens von jungen Menschen in Palästina werden, damit diese ihren persönlichen Lebensentwurf und ihr Selbstbewusstsein entwickeln können und ihre Kreativität entfalten können“, heißt es. “Durch die Förderung dieser Fähigkeiten zielt TDP darauf ab, die Grundlage für eine friedliche Entwicklung in den palästinensischen Gebieten zu schaffen unter Berücksichtigung der Menschenrechte“, heißt es weiter. Dies richtet sich auch gegen Fundamentalismus jeglicher Art. Das ambitionierte Programm setzt die Organisation in Kooperation mit dem offiziellen Bildungssystem um. Die Erfolge sind unverkennbar. Rund 3.000 Kinder und Jugendliche nehmen jährlich an Theaterprojekten teil. Bis zu 200.000 Menschen sehen die Aufführungen. Besonders die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler profitieren von der Theaterarbeit. Diese erlaubt ihnen zum ersten Mal, ihre Meinung frei zu äußern, in einer Gesellschaft, in der das nicht üblich ist. In den Rollen können sie auch ihre lang versteckten Ängste zeigen und in dem geschützten Raum des Theaters sich davon ein Stück weit befreien. Nach Ansicht von TDP werden im Theater Fähigkeiten erworben, von denen die Beteiligten ein ganzes Leben lang profitieren. Neben Lebensfreude sind das Selbstvertrauen und Kraft, im Leben etwas zu verändern. TDP arbeitet auch mit Frauen.
Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen erfahren mehr als 50 Prozent der Frauen im Gazastreifen Gewalt durch ihre Ehemänner. Die Sorge um ihre Kinder, Armut und die Kriege 2012 und 2014 haben sie zusätzlich traumatisiert. Diese verzweifelte Lage der Frauen veranlasste TDP, ein Entlastungs- und Erholungsprojekt zu starten. Da darstellende Künste für die Mehrheit der Frauen und Mädchen in Gaza tabu sind, hat die Organisation einen anderen Ansatz gewählt. Frauen sammeln ihre Geschichten und teilen sie miteinander. Angeleitet werden sie in gemeinschaftlichen Workshops. Die Initiative wurde begeistert aufgenommen. Deshalb werden interessierte und begabte Frauen zu kulturellen Aktivistinnen ausgebildet, um weitere Frauen zu Geschichten anzuregen. Solche Initiativen können den kulturellen Sektor vor allem in dem abgeschotteten Gazastreifen stärken. Dieser ist noch nicht sehr ausgebildet, aber er wächst. Er kann den Menschen Hoffnung geben in einer schwierigen Situation und eine gemeinsame Wertebasis fördern.
Ansprechpartner: Jens Halve
Kontakt: asien@brot-fuer-die-welt.de