Die Verabschiedung des Pariser Klima-Abkommens und der nachhaltigen Entwicklungsziele („Agenda 2030“) sind Meilensteine für eine weltweite nachhaltige Entwicklung. Für beide Abkommen hat sich die Bundesregierung stark gemacht und eine Vorreiterrolle übernommen.
Mit dem Klima-Abkommen, das inzwischen von 152 Staaten ratifiziert wurde, gibt es erstmals einen verbindlichen Rahmen, der alle in die Pflicht nimmt: die Industrieländer, die Schwellenländer und die Entwicklungsländer. Jetzt kommt es darauf an, die Erderwärmung tatsächlich auf unter 2 beziehungsweise 1,5 Grad Celsius zu begrenzen im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.
Die Lasten sind jedoch nicht nach dem Verursacherprinzip verteilt, sondern genau umgekehrt: Gerade die Menschen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, leiden am meisten unter den Folgen. Wir werten es daher als großen Erfolg, dass es gelungen ist, das Thema „klimabedingte Schäden und Verluste“ in das Abkommen aufzunehmen. Dieser Erfolg wurde nicht zuletzt auf Druck der am wenigsten entwickelten Länder und der kleinen Inselstaaten erzielt. Die Zivilgesellschaft, auch Brot für die Welt und seine Partner, haben sie dabei unterstützt.
Deutschland muss klimapolitische Anstrengungen verdoppeln
Auch mit der Verabschiedung der Agenda 2030 haben die Staaten ihre Bereitschaft signalisiert, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Die 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele verbinden soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit und fordern Frieden, Rechtsstaatlichkeit und eine unabhängige Justiz ein. Deutschland hat sich verpflichtet, den Zielen im eigenen Land Geltung zu verschaffen, muss sich jetzt aber auch für die Verwirklichung der Ziele einsetzen. Sie beinhalten auch die Bewahrung und den Schutz globaler Gemeingüter. Klimaschutz und der Erhalt der Biodiversität gehören dazu. In Sachen Nachhaltigkeitspolitik hinkt Deutschland allerdings in vielen Bereichen den selbst gesteckten Zielen hinterher. So sind auch die klimaschädlichen Emissionen in Deutschland im vergangenen Jahr wieder weiter gewachsen. Das Ziel, bis 2020 die Emissionen gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, erfordert eine Verdoppelung der klimapolitischen Anstrengungen. Dafür brauchen wir in Deutschland eine echte Energiewende, eine Verkehrswende und eine Agrarwende, um klimapolitisch nicht dauerhaft auf Kosten der Menschen im Süden zu leben.
Zu den Entwicklungs-Initiativen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in den vergangenen vier Jahren gehört die Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ (SEWOH). Das BMZ hat Hungerbekämpfung, Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Positiv ist der Ansatz, lokale Produzentinnen und Produzenten und die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu stärken. Brot für die Welt hat 2016 Mittel aus dieser Initiative für das zehn Länder umfassende und auf fünf Jahre angelegte Programm „Agrarökologisches Innovationsnetzwerk in Afrika“ erhalten. Ziel ist es, durch verstärkten Erfahrungsaustausch eine größere Breitenwirkung zu erzielen. In vielen Projekten verfolgt die SEWOH jedoch auch noch agrarindustrielle Ansätze mit Hybrid-Saatgut, Pestiziden und Kunstdünger, die in Zusammenarbeit mit dem Agrobusiness, wie Bayer und Syngenta umgesetzt werden.
Unternehmen müssen ihre Verantwortung wahrnehmen
Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) war ein ambitioniertes Vorhaben, das auch vom Entwicklungsministerium vorangetrieben wurde. Der Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch war ein letzter tragischer Anlass, auch die weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten in den Blick zu nehmen. An der Erarbeitung des NAP haben Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, auch von Brot für die Welt, beratend mitgewirkt. Das Ergebnis, eine Regelung auf freiwilliger Basis, blieb dann allerdings weit hinter den Erwartungen zurück – die Wirtschaftsverbände und auch das Finanzministerium standen auf der Bremse. Hier bleiben die Unternehmen selbst hinter den Erwartungen der Anleger zurück: Ethische Nachhaltigkeitsfonds boomen wie verrückt, aber es gibt nicht genug Unternehmen, die den Kriterien entsprechen, wie der FairWorldFonds gerade erfahren muss.
Mit dem „Marshallplan mit Afrika“ und der vom Bundesfinanzministerium erarbeiteten G20-Initiative zur Förderung von privaten Investitionen in Wachstumsmärkte und Infrastruktur („Compact with Africa“) will die Bundesregierung Wirtschaft und Beschäftigung in Afrika stärken und Fluchtursachen entgegenwirken. Doch es ist vor allem die ausländische Privatwirtschaft – konkret die Unternehmen der G20 –, die die afrikanischen Märkte entwickeln und beleben soll. Statt mit den Staaten und der Zivilgesellschaft Afrikas in einen echten Dialog zu treten und die lokale und regionale Wirtschaftsintegration zu stärken, scheint es eher um ausländische Investitionen in Megaprojekte zu gehen. Leider wird nur darauf Wert gelegt, die Rechtssicherheit für deutsche Investoren zu erhöhen, nicht aber zugleich darauf, die Rechtssicherheit der betroffenen Bevölkerung und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu stärken. So wird die Chance vertan, Wertschöpfungsketten und Handelsbeziehungen in Afrika gerechter und entwicklungsfördernder zu gestalten.
Entwicklungspolitik ist mehr als „Fluchtursachenbekämpfung“
Seit Herbst 2015 setzt die Bundesregierung ganz auf „Fluchtursachenbekämpfung“ und bemüht hierfür vor allem die Entwicklungszusammenarbeit. Zwar erreichte Deutschland im vergangenen Jahr fast das 0,7-Prozent-Ziel, das ist der Anteil am Bruttonationaleinkommen, den die Industriestaaten für Entwicklungshilfe zahlen sollen, jedoch dient die Mittelerhöhung nur in sehr geringem Umfang der Besserung der Lebenssituation in den armen Ländern. Die Steigerung kam vielmehr zu einem großen Teil den gestiegenen Ausgaben für Flüchtlinge im Inland zugute. Ohne die Anrechnung bestimmter Ausgaben für die Versorgung von Flüchtlingen als Entwicklungshilfe läge die deutsche Quote nicht höher als in den vergangenen Jahren – nämlich bei etwa 0,52 Prozent.
Schwerer wiegt allerdings, dass die Bundesregierung und auch die EU darüber oftmals die Bekämpfung der Fluchtbewegungen als Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Vertreibung deklarieren. Ein Beispiel: In ihren Kooperationen mit Transit- und Herkunftsländern schreckt die Bundesregierung selbst vor „Partnerschaften“ mit autoritären Regimen wie Ägypten, Sudan oder Libyen nicht zurück.
Ausgeblendet wird, dass Kriege und gewaltsame Konflikte weltweit zu den zentralen Fluchtursachen zählen. Durch Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete werden Konflikte angeheizt, die katastrophale Folgen haben. Deutschland erlaubt Waffenexporte nach Saudi-Arabien, das sowohl im Jemen als auch in Syrien eine kriegstreibende Rolle spielt.
Nur kohärente Politik wirkt nachhaltig
Wir erwarten von der neuen Bundesregierung daher Kohärenz. Bei aller Anerkennung für die vielen Initiativen sagen wir: Wenn Nachhaltigkeit das Leitmotiv des politischen Handelns sein soll, dann muss das gesamte Kabinett an einem Strang ziehen. Sonst besteht weiter die Gefahr, dass das eine Ministerium die Einkommen kleinbäuerlicher Produzenten über deren Einbindung in die regionalen Wertschöpfungsketten stärken will und das andere, das Landwirtschaftsministerium, die Exportoffensive der deutschen Ernährungswirtschaft unterstützt und damit Kleinbauern von ihren regionalen Märkten in Afrika verdrängt.
Wenn die nachhaltigen Entwicklungsziele erreicht werden sollen, muss die neue Bundesregierung ihre Prioritäten neu ausrichten. Noch dringlicher ist es, dafür zu sorgen, dass die armen Länder nicht noch mehr ausbluten. Aus den Entwicklungsländern fließt viel mehr Geld ab, als sie durch Investitionen, Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten oder Entwicklungshilfe erhalten. Allein an illegalen Finanztransfers und durch die – legale – Steuervermeidung vieler Konzerne verlieren sie jährlich hunderte Milliarden US-Dollar Einnahmen. Rechnet man legale Abflüsse, wie Schuldenzahlungen oder Gewinntransfers hinzu, so verlieren die Entwicklungsländer mit jedem Dollar, der bei ihnen ankommt, auf der anderen Seite wieder zwei Dollar.
Wir erwarten von der neuen Bundesregierung, die Entwicklungsländer darin zu unterstützen, Steuervermeidung zu bekämpfen, Steueroasen auszutrocknen und den negativen Auswirkungen unserer Handels- und Wirtschaftspolitik Einhalt zu gebieten. Leider hat der G20-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft hier keine tragfähigen Vereinbarungen gebracht –trotz der Ankündigung der Bundesregierung, die das Thema zur Priorität erklärt hatte.
Die weltwirtschaftlichen Beziehungen fair zu gestalten und eine international verträgliche Handels-, Außen-, Agrar-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik dürften den Hauptbeitrag zur globalen Armutsbekämpfung leisten.
Dieser Beitrag basiert auf einer Rede, mit der ich den Jahresbericht von Brot für die Welt für das Jahr 2016 vorgestellt habe.