Die SPD hat sich nach ihrem schlechten Abschneiden sehr schnell entschieden und steht für Koalitionsverhandlungen nicht mehr zur Verfügung – auch um der erschreckend starken AfD nicht die Rolle der Oppositionsführerschaft zu überlassen.
Die CDU wirbt für ein Jamaika-Bündnis, stößt aber auf Widerstand der CSU (von Entwicklungsminister Gerd Müller einmal abgesehen). Und auch in der FDP und bei den Grünen rumort es. Sondierungsgespräche wird man nicht verweigern, doch ob der Basis danach tatsächlich empfohlen wird, in konkrete Koalitionsverhandlungen einzutreten, ist ungewiss. Spekuliert wird auch über die mögliche Tolerierung einer Minderheitsregierung, die sich für jedes Vorhaben eine Mehrheit besorgen müsste – mit wechselnden Allianzen. Das würde den Parlamentarismus beleben und aufwerten, ist in anderen Ländern durchaus normal, würde in Deutschland wohl aber doch nach relativ kurzer Zeit zu Neuwahlen führen.
Verantwortung fürs Gemeinwohl bewusst machen
Wie auch immer die Diskussionen in den Parteien ausgehen werden: Aus Sicht von Brot für die Welt sollten sich alle Akteure ihrer Verantwortung fürs Gemeinwohl bewusst sein und es höher bewerten als die Chancen und Risiken in Bezug auf die nächste Wahl. Dies ist kein versteckter Wink, sich um jeden Preis in ein Koalitionsbündnis zu begeben, wohl aber ein Plädoyer dafür, mit aller Kraft dafür zu sorgen, dass sich Deutschland den großen globalen Herausforderungen stellt: Die Zahl der Hungernden ist gestiegen, der Klimawandel schreitet weiter voran, immer mehr Menschen fliehen vor Krieg, Gewalt und entsetzlicher Not, und in vielen Ländern werden Menschenrechte und Spielraum der Zivilgesellschaft immer stärker eingeschränkt.Wir brauchen jetzt eine Regierung und ein Parlament, die sowohl die Pariser Klimabeschlüsse als auch die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für eine weltweite nachhaltige Entwicklung ambitioniert und mutig umsetzen. Die Menschenrechte müssen verteidigt, die Vereinten Nationen gestärkt werden.
Keine Zeit verlieren, sondern kräftig gegensteuern
Wir brauchen mehr kluge Diplomatie, zivile Krisenprävention und Abrüstung. Dafür braucht es starke Fürsprecherinnen und Fürsprecher sowohl in der Regierung als auch in der Opposition. Und es braucht die Bereitschaft in beiden Rollen, trotz des leidenschaftlichen Streits in der Sache respektvoll miteinander umzugehen und die notwendige sozial-ökologische Transformation voranzubringen. Nur die Regierung durch Blockadehaltung „alt aussehen zu lassen“, um beim nächsten Wahlkampf gute Argumente gegen sie zu haben, fänden Strategen jeder Couleur, denen nur der Erfolg ihrer Partei wichtig ist, vielleicht plausibel. Angesichts des schneller fortschreitenden Klimawandels und steigender Hungerzahlen dürfen wir aber keine Zeit verlieren, sondern müssen jetzt kräftig gegensteuern.
Und die AfD? Ja, ihr starkes Abschneiden gibt zu denken und die „Altparteien“ wären gut beraten, nicht in den Echokammern Gleichgesinnter zu bleiben, sondern viel stärker als bisher den Bürgerdialog auf Augenhöhe zu suchen.
Aber man darf die AfD auch nicht größer machen, als sie leider schon ist. Mehr als 85 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben sich klar gegen ihre rechten Parolen entschieden. Und fatal wäre es, wenn sich jetzt demokratische Parteien dem AfD-Kurs annähern würden.
Was ich mir wünsche: Viele Menschen im Deutschen Bundestag, die jetzt mit kühlem Kopf und warmem Herzen über Parteigrenzen hinweg eine werteorientierte, zukunftsfähige und realitätstaugliche Politik gestalten.