Im Sommer 2016 hatte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der bestehenden Verordnung für das "Instrument für Stabilität und Frieden" (IcSP) vorgelegt. Dieser wurde von den Ausschüssen des Europäischen Parlaments (EP) angenommen und mit dem Rat und der Kommission nun abschließend verhandelt. Heute am 30. November 2017 erhielten die Abgeordneten letztmalig die Gelegenheit, den Gesetzestext im Plenum zu diskutieren und abzustimmen. Mit einer großen Mehrheit v.a. der Fraktionen der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Sozialdemokraten (S&D) wurde der Vorschlag zur Umfunktionierung des IcSP angenommen. 473 Parlamentarinnen und Parlamentarier votierten dafür und 163 dagegen (bei 7 Enthaltungen). Abgeordnete der Fraktion der Grünen (Greens/EFA) und Linken (GUE/NGL) sprachen und stimmten gegen das Vorhaben.
Die EU-Kommission schlägt vor, den Haushalt des IcSP um 100 Millionen Euro bis 2020 zu erhöhen, um militärische „Ertüchtigung“ zu integrieren. Zunächst wurde erwogen, die Aufstockung komplett aus Reservemitteln für Armutsbekämpfung zu finanzieren. Kritikerinnen befürchteten, dass dies nur der Auftakt ist und nach 2020 weitere Umwidmungen folgen. Angesichts von Kritik aus einigen Parlamentsfraktionen wurde dann erwogen, ihn anteilig aus dem Entwicklungsinstrument (DCI), dem „Heading IV“ des „Multiannual Financial Framework“ der EU, dem Nachbarschaftsinstrument (ENI) und dem Haushalt für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zu nehmen. Der Kompromissvorschlag, der nun im Plenum des EP zur Abstimmung steht, enthält zu dem Thema keine Aussage, weil Finanzierungsfragen nicht in Gesetzestexten, sondern nur im Zuge von Haushaltsverhandlungen geklärt werden können. Im Anhang befindet sich aber immerhin eine (rechtlich unverbindliche) gemeinsame Erklärung von Parlament, Kommission und Rat, dass für die Finanzierung keine Mittelzuweisungen aus dem DCI vorgenommen werden sollen. Diese war als Kompromissvorschlag auf Wunsch einiger sozialdemokratischer Abgeordneter ausgehandelt worden. Kritische Stimmen weisen jedoch darauf hin, dass auch die übrigen Töpfe nicht für militärische sondern zivile Zwecke bestimmt seien. Zudem ist für eine Reihe von Abgeordneten weiterhin zweifelhaft, ob die Erweiterung des IcSP für militärische Funktionen mit Artikel 209 des EU-Vertrags vereinbar ist. Einige hoffen, dass einer der EU-Mitgliedstaaten gegen die geänderte Verordung Klage erheben wird. Dafür muss diese jedoch zunächst in Kraft treten, wofür noch die formelle Zustimmung des Rats erfolgen muss, die im Dezember 2017 erwartet wird.
Brot für die Welt, Church & Peace und der EKD-Friedensbeauftragte befürchten schleichende Militarisierung
Brot für die Welt lehnt die Pläne zur Zweckentfremdung des IcSP entschieden ab und ist davon überzeugt, dass hier das falsche Instrument gewählt wurde. Die an "militärischer Ertüchtigung" interessierten Mitgliedstaaten hätten dafür ein neues Instrument schaffen und zusätzliche Mittel aufbringen müssen. Nur so hätte eine Zweckentfremdung von Mitteln vermieden werden können. Es ist zu befürchten, dass mit der Öffnung des Fördertopfes für das Militär, also für einen äußerst kostspieligen Akteur, die Mittel für zivile Ansätze der Krisenprävention und Friedensförderung auf symbolische Anteile schrumpfen. Diese Sorge wird auch vom Friedensbeauftragten der EKD, Renke Brahms, geteilt. Brot für die Welt sieht die Entscheidung des EP als friedenspolitische Bankrotterklärung und Ausdruck einer Außenpolitik, die sich zunehmend an Sicherheitslogik orientiert und immer mehr auf die militärische Dimension konzentriert. Besorgniserregend ist auch der Kurs, der mit der neu eingerichteten „Ständigen strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) von den EU-Mitgliedstaaten eingeschlagen wird. Diese soll erklärtermaßen der besseren sicherheitspolitischen Abstimmung und effektiveren Ausgabenplanung dienen, ist aber tatsächlich mit dem Aufbau eines überteuerten Europäischen Verteidigungsfonds und massiven Steigerungen der Rüstungsetats verbunden. Diese Mittel würden dringend gebraucht, um die strukturellen Ursachen von Konflikten anzugehen und zivile Ansätze der Gewaltprävention und Friedensförderung zu finanzieren. Europa benötigt keine weitere Verteidigungsunion in Ergänzung zur NATO, sondern eine entwicklungspolitisch aktive EU, die vor allem die Arbeit der Vereinten Nationen und ihrer Regionalorganisationen (z.B. der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in der friedlichen Konfliktbeilegung unterstützt. Kriminellen Strukturen, Staatszerfall, bewaffneten Milizen und Fluchtbewegungen in den afrikanischen Regionen kann nur mit gemeinsamen globalen und europäischen Anstrengungen für wirtschaftliche Entwicklung und Beseitigung von Konfliktursachen begegnet werden.
Zur IcSP-Abstimmung und zu der von 23 Mitgliedstaaten verabschiedeten PESCO hat Brot für die Welt am 29.11.2017 ein Pressestatement veröffentlicht, das im Anhang auch ein Factsheet mit Hintergrundinformationen enthält. Auch das europäische und ökumenische Netzwerk "Church and Peace" forderte die EP-Mitglieder auf, die Gesetzesänderung zurückzuweisen. Sie sollten sich dafür einzusetzen, "die nicht-militärischen, nachhaltigen Instrumente für Konflikttransformation und friedensbildende Kapazitäten der EU zu stärken statt sie zu schwächen". Auch der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Renke Brahms, äußerte sich in einer Pressemitteilung mit dem Titel: "Die Zivilmacht Europa muss auch zivil bleiben" und warnte von einer "schleichenden Militarisierung der EU". Die Texte befinden sich als pdf-Dokumente im Anhang zu diesem Blogbeitrag.