Am 14. September 2017 kam im Plenum des Europäischen Parlaments (EP) ein Thema zur Abstimmung, das zuvor schon die Fachausschüsse beschäftigt hatte: die Frage ob die existierende Verordnung zum „Instrument für Stabilität und Frieden“ (kurz: IcSP) für die Finanzierung der Ausbildung und Ausrüstung von Partnerarmeen geöffnet wird. Dazu hatte die EU-Kommission 2016 eine Gesetzesinitiative formuliert. Der Entwicklungsausschuss (DEVE) und der Auswärtige Ausschuss (AFET) haben im Juli 2017 dem Vorhaben mehrheitlich zugestimmt. Die Mitglieder des EU-Parlaments hatten nun darüber zu entscheiden, ob die Vorlage des federführenden AFET in die interinstitutionellen Verhandlungen mit dem Europäischen Rat und der Kommission eingehen soll.
Zunächst sollte die Vorlage ohne Debatte und Abstimmung in die „Trilog“-Verhandlungen gegeben werden. Auf Initiative der Grünen haben kleinere Parteien - also auch die Fraktion der Linken (GUE-NGL), und Fachpolitiker aus dem liberalen (ALDE) und europakritischen Spektrum (5 Sterne) - die Abstimmung gemeinsam durchgesetzt. Sie waren der Auffassung, dass solch grundlegende Entscheidungen nicht einfach durchgewunken werden dürfen und hatten gehofft, doch noch eine Ablehnung des Vorschlags zu bewirken, so dass die Debatte neu aufgerollt und nicht nur von den Ausschüssen, sondern vom ganzen Parlament geführt werden könnte. Diese Chance wurde nun leider vertan, denn 430 MdEPs (darunter vor allem konservative Abgeordnete der EVP, aber auch eine Mehrheit der Fraktion der Sozialdemokraten) stimmten für die Vorlage des AFET und nur eine Minderheit von 157 dagegen (bei 23 Enthaltungen).
Der Vorschlag polarisiert - trotz klarer Mehrheitsverhältnisse
Die Plenarsitzung beschränkte sich zu diesem Tagesordnungspunkt auf die Abstimmung, es gab also keine Gelegenheit für eine Aussprache. Einleitend erhielt der Berichterstatter des AFET, Arnaud Danjean (EVP), jedoch Gelegenheit, für seine Vorlage zu werben. Anschließend durfte die Berichterstatterin der Grünen/EFA, Heidi Hautala, die Gegenposition entfalten. Sie stellte nochmals die rechtliche Problematik dar und zog in Zweifel, dass die geplante Veränderung des IcSP mit dem EU-Vertrag vereinbar sei. Zum Erstaunen der meisten (und zur hörbaren Empörung von vielen) Abgeordneten erlaubte der Parlamentspräsident, abweichend von der üblichen Praxis, dann zusätzlich auch noch der Hohen Beauftragten Federica Mogherini, sich mit einem Redebeitrag einzuschalten. Sie unterstützte den Vorschlag zur Umfunktionierung der IcSP nachdrücklich. In den afrikanischen Partnerländern würde man auf diese Möglichkeit der militärischen Ausbildungs- und Ausrüstungsunterstützung seit langem warten, und die Öffnung des Instruments sei ein Beitrag zur Umsetzung des „Nachhaltigen Entwicklungsziels Nr. 16“ (SDG-16), das Sicherheit und Entwicklung miteinander verknüpfe. Dass Mogherini - quasi als Gastrednerin - diese Intervention zugebilligt wurde, verdeutlicht, für wie brisant das Thema trotz der erwartbaren Mehrheitsverhältnisse erachtet wird, und dass dieses weiterhin polarisiert.
Allerdings ist es mit dieser Abstimmung sehr wahrscheinlich geworden, dass der Vorschlag der EU-Kommission zur Umfunktionierung des IcSP tatsächlich zur Umsetzung kommt. Nach Abschluss der Trilogverhandlungen sind erfahrungsgemäß kaum mehr Änderungen zu erwarten. Das bedeutet, dass mit dem bis dahin vorrangig für die Unterstützung von zivilen Initiativen der Konfliktprävention, Krisenbewältigung und Aussöhnung verwendeten Budget zukünftig auch Partnerarmeen in den afrikanischen Ländern für Grenzsicherung, „Migrationsmanagement“ und Anti-Terrorkampf ausgestattet („ertüchtigt“) werden. Gleichzeitig wird der europäischen Rüstungsindustrie damit ein neuer Absatzmarkt eröffnet.
Falsches Signal und Tabubruch
Brot für die Welt sieht die Pläne, Gelder, die für zivile Zwecke der Friedensförderung oder für Entwicklung bestimmt sind, für militärische Ausrüstung umzuwidmen, weiterhin als falsches Signal und als Affront für alle Initiativen, die sich in Krisenregionen für friedliche Konfliktlösung und Aussöhnung einsetzen. Dieser Tabubruch wird die friedenspolitische Glaubwürdigkeit der EU massiv untergraben. Auch der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Renke Brahms, hat sich anlässlich der Abstimmung kritisch zum Thema geäußert und die Zweckentfremdung abgelehnt.
Zu befürchten ist auch weiterhin die Verwendung von Entwicklungsgeldern für militärische Zwecke. Mit der Ausweitung des Instruments auf Militärhilfe soll ja eine Aufstockung des Budgets um 100 Millionen Euro einhergehen. Die von der Kommission vorgeschlagene Möglichkeit, dass dafür auch Mittel aus dem Entwicklungsinstrument entnommen werden, ist nicht vom Tisch, auch wenn der AFET aufgrund von Widerständen schließlich empfohlen hat, dieses nicht in Anspruch zu nehmen. Erst im Rahmen der Haushaltsverhandlungen wird über Mittelverwendungen entschieden. Jeder Euro, der aus diesen Mitteln umgewidmet wird, ist aus unserer Sicht ein Euro zu viel. Darüber hinaus lehnen wir die Nutzung des IcSP zur Finanzierung militärischer Ausbildung und Ausrüstung generell ab. Wenn die Möglichkeit der Militärhilfe einmal ins IcSP aufgenommen wird, ist absehbar, dass dann das Militär mit den zivilen, in der Friedensförderung engagierten Akteuren um die knappen Mittel konkurriert und letztere den Kürzeren ziehen.
Wir meinen, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments hätten der Zweckentfremdung von Budgets für zivile Krisenprävention und Entwicklungsgeldern einen Riegel vorschieben können und müssen. Sie hätten sich stattdessen dafür stark machen sollen, dem Ausbau der zivilen und entwicklungspolitischen Instrumente Priorität einzuräumen, um Kriegs- und Fluchtursachen zu bewältigen, anstatt eine Politik zu unterstützen, die auf militärische und polizeiliche Abschottung von Flüchtlingen (und den durch Europa mit verursachten globalen Problemen) setzt. Das Abstimmungsergebnis zeigt jedoch, dass eine Mehrheit der MdEPs für das Argument, der Weg zu Entwicklung und Frieden führe über "Sicherheit", leider sehr empfänglich ist.