Die EU-Marinemission "Sophia" wurde am 25. Juli bis Ende 2018 verlängert, nachdem Italien seinen Widerstand dagegen aufgab. Der politische Streit um die Frage des Umgangs mit Geflüchteten und Migranten auf dem Mittelmeer ist damit jedoch nicht beendet. Noch immer sind keine konstruktiven Lösungen für die Aufnahme und Verteilung der Menschen in Sicht. Zudem schwelt die Auseinandersetzung zwischen der italienischen Regierung und privaten Seenotrettern weiter.
Die EU-Mitgliedstaaten haben gleichzeitig beschlossen, die Operation „Sophia“ auszuweiten. So sollen die Gewässer noch stärker kontrolliert werden, um illegale Ölexporte zu unterbinden. Außerdem sollen die Aktivitäten der libyschen Küstenwache und Marine nach deren Ausbildung durch die EU in Zukunft stärker „beobachtet“ werden. Fernsehberichte hatten eine Beteiligung dieser Verbände am Menschenschmuggel und Behinderung ziviler Seenotrettung, und auch die menschenunwürdige Behandlung von Geflüchteten in libyschen Internierungslagern angeprangert. Damit wurde auch der Ansatz der EU und ihrer Mitgliedstaaten, bei der Eindämmung von Migrationsbewegungen zunehmend auf "militärische Ertüchtigung" für Partnerarmeen zu setzen, fundamental in Frage gestellt. In Libyen rivalisieren weiterhin unterschiedliche Milizen um die Macht im Land und die amtierende Regierung hat dieses auch ein Jahr nach ihrer Wahl noch keineswegs unter Kontrolle. Dessen ungeachtet entschied die italienische Regierung, die libysche Küstenwache zusätzlich mit eigenen Verbänden zu stärken.
Die italienische Regierung will die libysche Küstenwache stärken - Macron will den Frieden moderieren
Am 29.7. beschloss die italienische Regierung, eigene Marineverbände zu entsenden, die die libysche Küstenwache in der Eindämmung von Menschenschmuggel unterstützen sollen. Dem Vorschlag muss das Parlament noch zustimmen. Mit dem Einsatz sollten Schlepper bekämpft und Flüchtlingsbewegungen besser kontrolliert werden, betonte Ministerpräsident Gentiloni. Über die Hintergründe werden widersprüchliche Informationen lanciert. Die italienische Regierung gab an, von der libyschen Regierung dazu eingeladen worden zu sein. Allerdings dementierte die libysche Einheitsregierung, dass sie EU-Staaten um die Entsendung von Kriegsschiffen in ihre Küstengewässer gebeten habe und betonte, „Libyens nationale Souveräntiät“ sei „die rote Linie, die niemand überschreiten“ dürfe. Die italienische Regierung beeilte sich, diese Souveränität zu bestätigen und abzuwiegeln: Es handele sich nicht um eine „enorme Sendung großer Flotten“ sondern um eine Mission von 500-1000 Soldaten, zudem sollten Drohnen und Hubschrauber eingesetzt werden. Auch mit Mali, einem Nachbarland Libyens, traf die italienische Regierung Absprachen für eine engere Zusammenarbeit gegen Menschenschmuggel, Drogenhandel und Terrorismus. Derzeit intensivieren also einige in der Mittelmeerregion angesiedelte EU-Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen, den sogenannten „afrikanischen Krisenbogen zwischen Mali, Irak und dem Horn von Afrika“ zu stabilisieren. Allerdings richten sie den Fokus vorrangig auf militärische Ansätze.
Gleichzeitig unternahm der französische Präsident Macron am vergangen Wochenende eine Initiative um in Libyen einen Friedensschluss zwischen der gewählten Regierung Sarradsch und den rivalisierenden Milizenführern auf den Weg zu bringen. Auf Einladung Macrons haben sich die relevanten Konfliktparteien am Wochenende in Paris auf einen Zehn-Punkte-Plan geeinigt, der unter anderem eine Waffenruhe und baldige Wahlen vorsieht. Das Treffen im Schloss La Celle-Saint-Cloud endete mit einer gemeinsamen Erklärung des Ministerpräsidenten der Übergangsregierung, Fajis al-Sarradsch, und des Kommandeurs der von Ägypten unterstützten Nationalarmee, Chalifa Haftar. Der Anti-Terrorkampf sei von der Einigung ausdrücklich ausgenommen, so wird berichtet, und die vereinbarten Parlamentswahlen seien frühestens für das kommende Frühjahr anvisiert. Die libysche Armee solle von regulären Streitkräften gebildet werden, die die Verteidigung des Landes gewährleisten sollten, und Migration stärker kontrolliert werden, so heißt es in dem Papier.
In Libyen kam es ab Februar 2011 zu Aufständen gegen das Gaddafi-Regime. Die Unterdrückung der Proteste veranlasste Frankreich, Großbritannien und die USA zum militärischen Eingreifen. Das Regime wurde gestürzt, doch für die Zeit danach hatten die Interventionsmächte keinen Plan. Das Land versank im Chaos. Es ist politisch gespalten, der Islamische Staat, Tuareg-Milizen, und Warlords, die von arabischen Traditionalisten unterstützt werden, haben an Terrain gewonnen. Die Bevölkerung ist unzureichend versorgt, Gewalt und Unsicherheit ausgesetzt und ohne Zukunftsperspektiven. In Libyen herrscht seit 2011 ein latenter Bürgerkrieg. Die Einheiten von General Haftar kontrollieren weite Teile im Osten des Landes. Zuletzt konnte dieser seine Gebiete deutlich ausweiten. Von Libyen aus brechen zahlreiche Menschen über das Mittelmeer Richtung Europa auf. Mit der Hoffnung auf eine Befriedung des Landes verbindet sich für die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten also vor allem die Erwartung, die Migration über das Mittelmeer besser kontrollieren zu können.
Die Sahel-Region soll mit militärischen Mitteln "stabilisiert" werden
Gleichzeitig haben die französische und deutsche Regierung beschlossen, gemeinsam den Aufbau einer Eingreiftruppe zur Bekämpfung islamischer Extremisten in der Sahelregion voranzutreiben. An dieser wollen sich die G5-Staaten Mali, Tschad, Niger, Mauretanien und Burkina Faso beteiligen. Es wird erwartet, dass die Truppe im September 2017 einsatzbereit ist. Für diesen Zeitraum ist auch eine Konferenz in Berlin geplant. Die Europäische Union hat 50 Millionen Euro für dieses militärische Projekt zugesagt. Die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen begründete das deutsche Engagement dafür mit den Worten, es sei "das Nachhaltigste, wenn die Länder selbst in die Lage versetzt“ würden, "ihre Sicherheit und ihre Stabilität zu verteidigen und sich gegen Terror und die organisierte Kriminalität zu wehren“. Gleichzeitig bedauerte sie den Tod zweier Piloten, die beim Bundeswehreinsatz in Mali in der vergangenen Woche ihr Leben verloren. Bei der Mission in Mali - so die Ministerin - handele es sich um „eine der wichtigsten Missionen der Vereinten Nationen, bei der es um die Stabilität der gesamten Sahelzone“ gehe. Bei einem Besuch in Niger sicherte von der Leyen ebenfalls langfristige Unterstützung für den Truppenaufbau und für den Grenzschutz aus Deutschland zu und betonte, „mit Blick auf die Fluchtursachenbekämpfung“ ergebe sich die Notwendigkeit von Investitionen in die Region. Deutschland will sich verstärkt in der Ausbildung von Soldaten engagieren, unterstützt die Polizei und das Militär in Niger aber bereits auch mit Ausrüstung für den Grenzschutz. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, von der Leyen habe bei ihrem Besuch 100 Pritschenwagen, 115 Motorräder und 55 Satellitentelefone an Polizei und Armee übergeben. Sowohl in den politischen Verlautbarungen als auch in den Medienberichten werden sehr unterschiedliche Probleme wie „illegale Migration“, „Schleuser“, „organisierte Kriminalität“, und „Terror“ immer wieder in einem Atemzug genannt, ohne dass politische Strategien im Umgang mit diesen Phänomenen dargelegt werden. Die französische Verteidigungsministerin Parly begründete die Initiative für den Truppenaufbau so: „weil wir überzeugt sind, dass die Eingreiftruppe die Lösung für die Probleme der Region finden wird (…).“
Auch in einer weiteren Dimension wird die Achse Paris-Berlin aktuell politisch gestärkt und die militärische Kooperation in der Europäischen Union neu gestaltet.
Frankreich und Deutschland streben "strategische Autonomie" in der Verteidigungspolitik an
Mindestens 20 EU-Mitgliedstaaten wollen militärisch enger zusammenarbeiten, so vernimmt man aktuell aus Medienberichten, und die deutsche und die französische Regierung haben dazu offenbar schon sehr konkrete Konzepte entwickelt. Beide Regierungen formulierten das Ziel, die EU solle in der Verteidigungspolitik „strategische Autonomie“ anstreben und haben dafür einen Vorschlag zur „ständigen strukturierten Zusammenarbeit“ vorgelegt, der vom Europäischen Rat im Juni gebilligt wurde. Die Militärkooperation wird von den Initiatoren als „Ergänzung zur NATO“ verstanden, die weiterhin als Grundpfeiler der „kollektiven Verteidigung" gesehen wird. Der Vorschlag basiert auf Beratungen des deutsch-französischen Verteidigungsrates von Mitte Juli. Darin wird u.a. anvisiert, dass die Mitgliedstaaten nicht nur gemäß der NATO-Forderung ihre Rüstungsetats an 2% ihrer Wirtschaftsleistung annähern, sondern auch, dass sie sich jährlich einer Prüfung ihrer Streitkräfteplanung durch die Europäische Verteidigungsagentur unterziehen. Außerdem sollen sie Streitkräfte für gemeinsame Missionen bereithalten und für schnellere politische Entscheidungen über die Verlegung ihrer Truppen sorgen. Hier ergeben sich möglicherweise für Deutschland Fragen der Vereinbarkeit mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz. Die Hohe Beauftragte der EU, Federica Mogherini, wurde gebeten, bis Ende September 2017 konkrete Vorschläge zu diesen Themen vorzulegen. Danach sollen die EU-Mitgliedstaaten binnen drei Monaten über ihre Beteiligung entscheiden. Offenbar rechnet die Bundesregierung mit einer Unterstützung durch 20 bis 25 Staaten, darunter alle osteuropäischen Mitglieder der sogenannten Visegrad-Staaten (mit Ausnahme von Polen, dessen Regierung sich noch unentschlossen gibt).
Es wäre zu wünschen, dass die Kapazitäten der EU für zivile Ansätze der Krisenprävention, Konflikttransformation und Friedenskonsolidierung mit gleicher Intensität betrieben werden, wie der Ausbau militärischer Kapazitäten. Entwicklungspolitische Strategien und zivile Konzepte stehen aber leider ganz erheblich hinter der rasanten militärischen Dynamik zurück. Auch messen zentrale entwicklungspolitische Dokumente und Konzepte wie der neue European Consensus on Development der EU oder der Marshallplan mit Afrika, der vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erstellt wurde, inzwischen sogenannten „Sicherheitspartnerschaften“ und militärischer „Ertüchtigung“ zunehmende Bedeutung bei.