Am 15. November übernahm die Armee die Macht in Simbabwe und stellte Präsident Robert Mugabe, der das Land seit 1980 regierte, unter Hausarrest. Hintergrund waren partei-interne Machtkämpfe. Die Entscheidung des Präsidenten, den Vizepräsidenten Emmerson Mnangagwa zu entlassen, um seine Ehefrau Grace Mugabe als Nachfolgerin in diesem Amt zu installieren, bildete den zentralen Auslöser. Mnangagwa war einer der langjährigsten Mitstreiter Mugabes. Er war Mitbegründer der heutigen Regierungspartei ZANU (1964) und befehligte schließlich auch den militärischen Arm der Regierungspartei („Joint Operations Command“), der für die gewaltsame Verfolgung politischer Gegner eingesetzt wurde. Für relevante Teile des Militärs galt er – ebenso wie Mugabe selbst - als einer der Helden des Befreiungskrieges. Eigentlich wollte der inzwischen 93-jährige Mugabe bei den für 2018 geplanten Wahlen in Simbabwe erneut für das Präsidentenamt antreten, gleichzeitig aber eine Übergangsregelung treffen, die dem eigenen Familienclan langfristig Machterhalt garantiert. Nun wurde Mugabe offenbar entmachtet. Zivilgesellschaftliche Organisationen bewerten die aktuelle Situation als Krise, die einige Risiken birgt, aber zugleich auch Chancen für Veränderung bieten könnte.
Die Spielräume für zivilgesellschaftliches Engagement waren in Simbabwe in den vergangenen Jahren sehr beengt. Kritik am Präsidenten oder an der Regierungspartei wurde mit strengen Strafen geahndet. Gleichwohl haben sich etliche NGOs, darunter auch Partner von Brot für die Welt, dennoch unermüdlich für die Respektierung der Menschenrechte in Simbabwe eingesetzt und um Brückenbildung bemüht. Das Land blickt auf eine großenteils unaufgearbeitete leidvolle Vergangenheit zurück, die sich nicht nur durch den Kolonialismus, sondern auch durch Auseinandersetzungen konkurrierender Guerillaverbände und ethnopolitische Konflikte sehr gewaltförmig gestaltete. Inzwischen haben sich diverse zivilgesellschaftliche Organisationen und Netzwerke und Kirchenvertreter mit Lageeinschätzungen und Appellen an politische, militärische und gesellschaftliche Akteure zu Wort gemeldet. Darunter sind langjährige Partner von Brot für die Welt, wie der Zimbabwe Council of Churches (ZCC). ZCC veröffentlichte zusammen mit der Bischofskonferenz (ZCBC) und dem Evangelical Fellowship of Zimbabwe eine Presseerklärung mit dem Titel „Zimbabwe between a Crisis and a Kairos (Opportunity)“. (Kenneth Mtata, Generalsekretär des ZCC, verlas die Erklärung am 15.11.2017 in Harare; den O-Ton stellen wir im Anhang zu diesem Beitrag zur Verfügung). Der Kirchenverband hatte auch in den vergangenen Jahren immer wieder Lageanalysen vorgenommen und sich - etwa anlässlich von Wahlen, z.B. im Januar 2013 - mit Hirtenbriefen an die Nation gewandt. ZCC geht es vor allem darum, die Mitgliedskirchen für Prozesse der Aussöhnung auf nationaler Ebene und in den Gemeinden und für gewaltfreie Formen der Veränderung zu gewinnen.
Aufruf der Kirchen für einen friedlichen Übergang und „Nationalen Dialog“
In der Stellungnahme der Kirchen heißt es: „Wir sehen die aktuelle Situation nicht nur als Krise, der wir hilflos gegenüberstehen. Wir sehen die jetzige Konstellation als Möglichkeit für die Geburt einer neuen Nation. Gott hat alles aus dem Chaos heraus erschaffen und wir glauben etwas Neues könnte auch aus dieser Situation heraus entstehen. Aber wir müssen zunächst sorgfältig unser Problem definieren (…) um klarer zu erkennen, wo wir als Nation hinwollen.“ Eine der größten Herausforderungen, so heißt es weiter in der Stellungnahme, sei der "Verlust von Vertrauen in staatliche Institutionen und Prozesse", welche ihre Legitimität verloren hätten: „There is a strong sense that our hard-earned constitution is not being taken seriously. There is not enough confidence whether the separation of the three arms of the state, the executive, the legislature and the judiciary are functioning in proper relationships of checks and balances“. Viele Bürgerinnen und Bürger hätten das Gefühl, dass die Gewaltenteilung nicht funktioniere, dass es keine überzeugenden Konzepte für die Bekämpfung von Armut gebe, dass die „Räder der Demokratie in einem Morast personalisierter Politik stecken geblieben“ seien, und dass die Bedürfnisse der Gesamtgesellschaft von der Politik kaum beachtet würden. Die mangelnde Bereitschaft zur demokratischen Erneuerung habe zu einer Stimmung der "Stagnation" und "Ermüdung" beigetragen, welche nicht nur die regierende Partei und Regierung, sondern auch die Zivilgesellschaft einschließlich der Kirchen, erfasst habe. In dem Papier wird auch Besorgnis darüber geäußert, dass im öffentlichen Diskurs immer öfter Muster erkennbar seien, in denen „ethnische Identitäten“ zur Abgrenzung in einer "exklusiven Politik" benutzt würden, was zur weiteren Fragmentierung des schon jetzt schwachen Zusammenhalts der Gesellschaft beitragen könne.
Forderung nach Reflexion, Sachlichkeit, Menschenrechten, friedlichen und inklusiven Prozessen
Die Stellungnahme der Kirchen richtet sich nicht nur an die militärischen und politischen Akteure, die derzeit das Kräfteverhältnis neu austarieren, sondern an die gesamte Gesellschaft, die Anstrengungen für einen friedlichen Übergang und Verantwortung für Brückenbildung unternehmen müsse. Sie endet mit fünf zentralen Empfehlungen: dem Aufruf, alle mögen (1) im Gebet oder in kritischer Reflexion über die aktuelle Situation nachdenken und die eigene Rolle im Gemeinwesen neu bestimmen, (2) die Situation mit Ruhe (und auf der Basis von Fakten, statt Gerüchten) analysieren und in friedlicher Weise gestalten. (3) Die Armee stehe in der Verantwortung, die menschliche Würde und die Menschenrechte zu respektieren und Rechtssicherheit herzustellen. (4) Die Streitkräfte sollten gewährleisten, dass eine „Übergangsregierung nationaler Einheit“ installiert werden kann, die freie und faire Wahlen vorbereitet. (5) Abschließend fordert ZCC die Einrichtung eines „nationalen Dialogs“, der die neue Situation als Chance für einen Aufbruch nimmt. Ein solcher Dialog könne nicht allein von der bisherigen Regierungspartei bewerkstelligt werden, sondern müsse breit aufgestellt sein. Die Kirchen fordern einen „National Envisioning Process“, der alle relevanten Sektoren der Gesellschaft einbezieht: die Kirchen, Wirtschaftsunternehmen, akademische Einrichtungen und weitere Bereiche sollten in einem inklusiven Raum zusammengeholt werden, um darüber zu beraten, wie ein demokratischer Übergang zu einem neuen Simbabwe gemeinsam gestaltet werden kann.
Die Gesellschaft stehe vor zwei Möglichkeiten, so die Kirchen: „We can either take the current situation as a mere crisis to be resolved by a winner-takes-it-all mentality or we use this as an opportunity for us to find one another to build something that is permanently healing for our nation.” Die erste Option würde in ein Desaster führen, die zweite hingegen Möglichkeiten für sozialen Wandel eröffnen: “to embrace our situation as a Kairos, an opportunity given to us by God to dream together that another Zimbabwe is possible!” Die Kirchen gründen ihre Hoffnung und ihren Friedensappell auf das Evangelium, Lukas 19, 42: “Wenn doch auch Du erkenntest, an diesem Tag, was zum Frieden dient!”
Neben den Kirchen haben auch NGO-Foren Erklärungen veröffentlicht. Die NGO-Koalition fordert Mugabe auf, freiwillig zurückzutreten und appelliert an das Militär, sich an die Verfassung zu halten und einen überzeugenden Fahrplan für eine verfassungsgemäße Ordnung vorzulegen. Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma berief unterdessen am 16.11. eine Krisensitzung der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika („Southern African Development Community“) in Botswana ein, um über die Situation im Nachbarland zu beraten. Politische Beobachter halten es für sehr wahrscheinlich, dass das Militär den abgesetzten Vizepräsidenten, der Anfang der Woche das Land verließ, zurückholen und zum Staatschef ernennen könnte, sind jedoch skeptisch, ob dies einen wirklichen politischen Wandel begünstigen würde.