Als die Gruppe der G20 nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers (2008) zum führenden Forum für globale ökonomische Zusammenarbeit erklärt wurde, weckte dies Hoffnungen, die drängendsten Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik global zu diskutieren und gemeinsame Lösungsansätze zu finden – auch in Teilen der Zivilgesellschaft. Seit längerem hat sich, auch in weiten Teilen der Politik, Ernüchterung breit gemacht. Die Re-Regulierung der Finanzmärkte und die Bekämpfung von Steuerflucht blieben nicht nur Stückwerk, hinzugekommen ist eine Fragmentierung, nicht nur in der Finanzwirtschaft, sondern auch beim Welthandel: Sowohl die USA als auch die EU unterminieren in zunehmendem Maße das multilaterale Handelsregime. Trump erklärte jüngst, die amerikanische Souveränität stehe über den Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Und die EU handelt neue Handelsregeln nicht mehr im Rahmen der WTO, sondern mittels bilateraler Freihandelsabkommen aus. China und Russland versuchen ihrerseits u. a. eine eigene, alternative Finanzinfrastruktur zu etablieren. Internationale Kooperation sieht anders aus.
Gestalten statt zerstören
Die zunehmende Zerstörung des Multilateralismus in Handels- und Wirtschaftsfragen durch führende G20-Vertreter, zugunsten nationaler Interessen und einer immer weiter voranschreitenden Deregulierung, ist nicht nachvollziehbar und in höchstem Maße bedenklich. Selbst frühere Verfechter des freien Marktes fordern seit fast zehn Jahren eine Kurskorrektur: Weg von einer rein ökonomischen Globalisierung, die in erster Linie international gut aufgestellten Unternehmen gilt, hin zu einer politischen, globalen Steuerung dieses scheinbar unaufhaltbaren Prozesses. So betonte u. a. Paul Krugman, es werde immer deutlicher, dass das Outsourcen von Arbeit ins Ausland zu Verwerfungen innerhalb der eigenen erwerbsfähigen Bevölkerung führe. Und selbst Larry Summers, der während der Amtszeit von Bill Clinton noch den Spitznamen ‚Mr. Globalization‘ trug, tadelt seit langem die staatenlosen Eliten und heimatlosen Unternehmen, die aus einer Position der Stärke heraus Löhne und Arbeitsbedingungen nach unten drücken. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit eines radikalen Umbaus der Produktions- und Konsummuster, um die planetarischen Grenzen nicht vollends zu überschreiten.
Einer der Top-Ökonomen, der sich intensiv mit der Problematik einer ‚Hyperglobalisierung‘ auseinandergesetzt hat und fundierte Antworten auf diese Fehlentwicklung präsentiert, ist der in Harvard lehrende Dani Rodrik. In seinem Buch ‚Das Globalisierungs-Paradox‘ kritisiert er das gegenwärtige ‚Trilemma der Globalisierung‘, was darin bestehe, dass die von den Regierungen verfolgten Ziele‚ ‚Freihandel, Demokratie und Nationalstaatlichkeit‘ nicht miteinander vereinbar seien. Vielmehr müssten sich die Staaten, so Rodrik, gegen eines dieser drei Ziele entscheiden. Da für ihn die Demokratie ein höheres Gut sei als der weitere Ausbau des internationalen Handels und er eine ‚Globalregierung‘ für utopisch hält, plädierte er dafür, die erreichte wirtschaftliche Offenheit nicht weiter voranzutreiben, sondern sie vielmehr ökologisch nachhaltig und fairer zu gestalten. Das heißt anstatt mittels immer neuer Freihandels- und Investitionsabkommen, Zölle und Subventionen weiter abzubauen, sollten vielmehr die politischen Handlungsspielräume der Staaten weiter ausgebaut werden. Rodrik belässt es aber nicht bei der Formulierung und Einforderung von Werten und allgemeinen Anforderungen. Er wird konkret. Und macht klare, praktikable Vorschläge, wie die internationalen Wirtschaftsbeziehungen neu gestaltet werden müssen.
Zurück in die Zukunft
Einen Ansatzpunkt für die notwendige Re-Regulierung des Welthandels sieht er in der Reform des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT. Das GATT erlaubt, in seiner bisherigen Fassung, das Ergreifen von Maßnahmen zum Schutz der eigenen Wirtschaft, allerdings nur unter sehr engen Voraussetzungen. Rodrik schlägt vor, die Anwendungsvoraussetzungen zu erweitern. So sollten Staaten zukünftig auch Schutzmaßnahmen ergreifen dürfen, zur Bewahrung ihrer Sozialsysteme, um innere Gesellschaftsverträge zu erneuern und eine auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnittene Wachstumspolitik zu betreiben. Dieser Forderung zielt auf eine der Hauptkritikpunkte an den gegenwärtigen Handels- und Investitionsabkommen, die nicht zuletzt deswegen auf so breite Ablehnung und Widerstand stoßen, da sie die politischen Handlungsspielräume von Staaten unzulässig einschränken und sie damit u. a. ihrer Zukunftsfähigkeit berauben.
Rodrik gehört damit nicht zu denjenigen, die in Sachen Globalisierung die Uhr einfach zurückstellen wollen, hin zum wirtschaftlichen Liberalismus der 1930er Jahre. Ihm geht es vielmehr darum, den Nationalstaaten den politischen Gestaltungsspielraum zurückzugeben, den sie im Bretton-Woods-System hatten. Bevor der radikale Wirtschaftsliberalismus in den 1980er Jahren seinen Siegeszug antrat, konnten die Staaten ihre Vorstellungen von Arbeits- und Sozialmarktpolitik sowie Steuersystemen noch angemessener umsetzen. Die, nicht zuletzt von der WTO, aufgezwungene Deregulierung und Disziplinierung von außen macht es Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch den (noch) führenden Industrieländern schwer, eigene politische Strategien zu bedienen, um ihre Volkswirtschaften dahingehend zu gestalten ihre Abhängigkeit von Bodenschätzen und Naturprodukten zu verringern bzw. ihre Arbeits- und Sozial- und Verbraucherstandards immer weiter zu verbessern.
(Freier) Handel dient nur dann dem Wohlstand aller, wenn er in nationale und multilaterale Institutionen, Verteilungsmuster sowie soziale und ökologische Werte eingebettet ist. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter und geistige Vater der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, nannte die Bretton-Woods-Ära folgerichtig auch den ‚Kompromiss des eingebetteten Liberalismus‘.
Zu einer erneuten Einbettung, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, gehören selbstverständlich der Respekt der planetarischen Grenzen und die Umsetzung der Agenda-2030. Die Publikation „Vom Gegensatz zum Gleichklang“ zeigt auf, welche Konsequenzen dies für die Neugestaltung des Welthandels bedeutet.
Konferenz will konkrete Umsetzungsschritte formulieren
Am 2. Mai kommt Dani Rodrik nach Berlin. Er hält die Keynote auf der Konferenz „Globalisierung in der Sackgasse – Visionen für den Neustart“ Die Konferenz wird organisiert von Brot für die Welt, Misereor, DGB, IG Metall, Greenpeace sowie dem Forum Umwelt und Entwicklung. Auf der Konferenz gehen wir u. a. folgenden Fragen nach: Wie müssen Handelsverträge gestaltet sein, um negative Auswirkungen auf Umwelt, Sozialstandards und Menschenrechte zu verhindern? Und welche Veränderungen der Zielsetzung und Entscheidungsfindung sowie Mechanismen und Instrumente sind dazu notwendig? Wie können Arbeits- und Menschenrechte in globalen Wertschöpfungsketten wirksam umgesetzt werden? Welche neuen Abkommen und institutionellen Reformen auf globaler Ebene können Demokratie und den Vorrang öffentlicher Interessen vor Unternehmensinteressen sichern? Können wir uns ein Wohlstandsmodell vorstellen, dessen Lebensader nicht ein weiterer Ausbau des Welthandels ist, sondern ein stärker regional orientierter Handel?
Im Mittelpunkt der Konferenz steht also weniger die Kritik an den bestehenden Verhältnissen, (sie sind uns ‚dank‘ Lehman Brothers, CETA und TTIP hinlänglich bekannt) als vielmehr der Versuch, im Sinne Rodriks, konkrete Anforderungen an eine Neugestaltung von Wirtschaft und Politik zu formulieren. Die in den Parallelforen erarbeiteten Forderungen an die Politik der Bundesregierung, der EU und der G20-Staaten werden am Ende der Konferenz an den G20-Sherpa der Bundesregierung, Dr. Röller, adressiert und, zusammen mit Vertretern aus Gesellschaft und Wirtschaft, diskutiert.