Rund um den Globus erleiden Mensch und Natur klimabedingte Schäden, die teilweise irreparabel sind, den sozialen Zusammenhalt unterminieren und Lebensentwürfe zerstören. Diese Dimension des Klimawandels bedarf mehr Aufmerksamkeit und es ist eine Gerechtigkeitsfrage, gegenzusteuern.
Zehn schwere Hurrikane in nur zehn Wochen haben in der Karibik und Teilen Amerikas eine Schneise der Verwüstung hinterlassen, die vielerorts ein nie gekanntes Ausmaß erreicht hat. Neben den Todesopfern und unzähligen zerstörten Existenzen werden viele Narben an Leib und Seele auch dann noch bleiben, wenn die Trümmer beseitigt, Versicherungsleistungen im günstigsten Falle gezahlt und die Helfer abgezogen sind. Dasselbe gilt für die Dürregebiete Afrikas und die riesigen Überschwemmungsgebiete in Bangladesch, Indien und Nepal, die in 2017 Regenfälle epischen Ausmaßes erlitten haben wie seit Jahrzehnten nicht.
Traumatisierte Menschen, verzweifelte Bauern, denen das eingedrungene Salzwasser die Böden auf Jahre ruiniert hat, Fischer, die nicht nur ihre Boote sondern auch ihre Fischgründe verloren haben; schwer beschädigte Korallenriffe, Friedhöfe und heilige Stätten; kleine Inseln, die praktisch unbewohnbar geworden sind; Konflikte mit den Nachbarn um knapp gewordene Ressourcen, ganze Dorfgemeinschaften, die sich auflösen und neue Flüchtlings- und Migrationsbewegungen verursachen, weil klimatische Extremereignisse neben deren Heimat auch die Lebens- und Erwerbsgrundlagen ausgelöscht haben: Alle diese Phänomene sind nicht etwa fernen Klimaszenarien entnommen, sondern millionenfache Realität in den Hochrisikozonen des Klimawandels, zumeist in Entwicklungsländern. Sie ereignen sich auch nicht erst im besonders schadensreichen Jahr 2017, sondern bereits seit vielen Jahren. Für die Zukunft ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen und zwar auch dann, wenn die Klimaziele des Pariser Abkommens eingehalten werden.
In der Sprache der internationalen Klimaverhandlungen nennt man diese Schäden „nicht-wirtschaftliche Schäden (Non-Economic Losses – NELs). Zur Sprache gekommen sind sie bislang noch kaum. Erst 2013 wurde im Auftrag der Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention vom Vorjahr ein erstes Technisches Papier („Technical Paper“) zu NELs erstellt, um zumindest eine grobe begriffliche Klärung und Problembeschreibung an der Hand zu haben. Der Warschau-Mechanismus für Schäden und Verluste im Kontext des Klimawandels (WIM) erhielt dann 2015 in Paris das Mandat, nicht-wirtschaftliche Schäden in einem eigenständigen Arbeitsfeld zu thematisieren mit dem Ziel, das Verständnis von NELs zu vertiefen, bzw. Vorschläge zu unterbreiten, wie sie verringert werden können, bzw. wie mit nicht-vermeidbaren Schäden umgegangen werden kann. Hierfür hat das Exekutivkomitee des WIM kürzlich eine Expertengruppe eingerichtet, die aber noch ganz am Anfang steht.
Um diese bei der Erfüllung ihres Auftrags zu unterstützen, haben Brot für die Welt und ihre Partner ein Diskussionspapier erstellt, das praktische Umsetzungsvorschläge und Handlungsempfehlungen für die nächsten Jahre enthält. Neben dem WIM können auch nationale Regierungen und regionale Instanzen einen Teil der Vorschläge umsetzen. Das Papier basiert neben einer Analyse der wenigen, bislang bestehenden Politikvorschläge und wissenschaftlichen Untersuchungen auch auf den Ergebnissen von eigenen Erhebungen, die von Partnern in Bangladesch, Salvador, Äthiopien und Tansania auf lokaler Ebene durchgeführt wurden.
Nicht-wirtschaftliche Verluste lassen sich kategorisieren: Biodiversität und Natur, Ökosystem-Dienstleistungen (z.B. Wasserversorgung), (staatliches) Territorium, Acker- und Weideland, Fischgründe sowie sonstige natürliche Erwerbsgrundlagen, Menschenleben, physische und mentale Gesundheit, Artefakte, Wissen, sozialer Zusammenhalt, Identität, Souveränität, und klimabedingte Migration bzw. Vertreibung als Ultima Ratio.
Viele dieser Schäden sind komplex sowohl hinsichtlich ihrer Ursachen als auch in ihrer Abgrenzung, Messbarkeit und Bewertung. Nur selten lassen sie sich ursächlich klar einem klimatischen Ereignis wie z.B. einem Sturm zuordnen – oft sind andere Faktoren wie z.B. Vorschädigungen (eines Korallenriffs oder von Böden) zumindest mitverantwortlich. Noch schwieriger ist das bei langsam sich vollziehenden Verlusten wie dem Artensterben, das häufig mit dem Klimawandel zusammenhängt, jedoch selten in einer monokausalen Form. Auch sind viele der beobachteten nicht-wirtschaftlichen Verluste indirekter Natur: So ist der Identitätsverlust von Bauern, die in ihrer über viele Generationen ausgeübten Erwerbs- und Lebensform aufgrund von gravierenden Klimaveränderungen keinen Sinn mehr sehen, meist das Ergebnis vorausgegangener wirtschaftlicher Verluste, etwa durch Missernten infolge von wiederkehrenden Dürren. Schließlich ist die Schwere eines nicht-wirtschaftlichen Verlustes sehr häufig kontextabhängig: Der Verlust von traditionellem Wissen, das es etwa erlaubt, im Gesang eines Vogels oder Vegetationsstadien Vorboten der nahenden Regenzeit zu erkennen, mag in der einen Kultur außerordentlich wertvoll sein, ist es in einem anderen Kontext aber nicht. Gemeinsam haben nicht-wirtschaftliche Schäden indessen – und das grenzt sie zu wirtschaftlichen Schäden ab – dass sie keinen (marktwirtschaftlich) ermittelbaren Preis, wohl aber einen Wert haben: Der Verlust einer Kultstätte auf einem untergegangenen Atoll – oder die Heimat die dieses Atoll seinen Bewohnern ehedem geboten hat, lässt sich zwar nicht mit einem Preisetikett auszeichnen, kann aber sehr wohl unersetzlich sein. Für ein Menschenleben oder ein schweres Trauma gilt dasselbe.
Es sind diese Schwierigkeiten, die mit dazu beitragen, dass nicht-wirtschaftliche Schäden des Klimawandels noch kaum ein Thema der Klimapolitik sind, und sich auch die Wissenschaft schwer damit tut, sie systematischer zu erfassen und zu verstehen. Unsere Erhebungen auf kommunaler Ebene zeugen aber von der großen Bedeutung dieses Themas für die Betroffenen und ebenfalls für ein hohes Maß an Sprachlosigkeit: Auch auf der Ebene der Betroffenen und ihres sozialen Umfelds fehlt es häufig an einem vertieften Verständnis und Bewusstsein darüber, wie tief der Klimawandel in unser Leben eingreift. Die durchgeführten Erhebungen wurden deshalb auch von vielen Befragten als in gewisser Weise befreiend erachtet, weil sie bislang Ungesagtes ins öffentliche Bewusstsein gerufen haben. Die Wahrnehmung und Anerkennung eines erlittenen Schadens wird deshalb von vielen auch als ein erster wichtiger Schritt erachtet, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Im Übrigen zieht sich als weiterer gemeinsamer Nenner durch die lokalen Fallstudien die Erkenntnis, dass die Schädigung der natürlichen Lebensgrundlagen im Kontext des Klimawandels vor allem bei bäuerlichen oder traditionellen, d.h. stark naturabhängigen Gemeinschaften nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die soziokulturellen Grundlagen erodiert. Was für Gemeinschaften gilt, gilt natürlich auch für die individuelle Ebene der Betroffenen: Der Klimawandel greift massiv in Lebensentwürfe ein – vor allem, wenn den Geschädigten kein anderer Ausweg mehr als Migration oder gar klimabedingte Flucht bleibt.
Um abschließend wieder den Bogen zur politischen Ebene zu schlagen, empfehlen die Herausgeber der Studie vor allem die folgenden Maßnahmen:
- Ausweitung der wissenschaftlichen Forschung sowie des Dialogs mit den unterschiedlichen Gruppen von Betroffenen, um das Verständnis von nicht-wirtschaftlichen Verlusten im Kontext des Klimawandels zu vertiefen
- Anerkennung von nicht-wirtschaftlichen Verlusten als erster wichtiger Schritt, den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen
- Entwicklung und Aufbaus eines systematischen Erfassungssystems für Schäden und Verluste im Kontext des Klimawandels, für das einheitliche prozedurale Standards verwendet werden
- Besondere Berücksichtigung von klimabedingter Migration und Vertreibung als Ultima Ratio für viele Betroffene, d.h. hierzu Zusammenarbeit der WIM Expertengruppe zu nicht-wirtschaftlichen Verlusten sowie der WIM Task Force zu Migration
- Mobilisierung neuer finanzieller Mittel, um die Arbeit des WIM zu NELs zu finanzieren, aber auch, um NELs zu minimieren und Residualschäden auszugleichen. Hierfür sollte ein Finanzierungsmechanismus geschaffen werden, der dem etablierten Prinzip der Verursacherhaftung Rechnung trägt. Entsprechend sollte ein „Globaler Fonds zum Ausgleich von klimabedingten Schäden und Verlusten“ geschaffen werden, der zum Beispiel aus Mitteln einer Kohlenstoffbepreisung oder –besteuerung finanziert wird.
- Bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens muss nicht-wirtschaftlichen Verlusten mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden. Hierfür bietet es sich an, darauf hinzuarbeiten, dass NELs zu einem festen Berichtspunkt in den regelmäßigen Berichten der Mitgliedstaaten an das Sekretariat der Klimarahmenkonvention oder auch in den Nationalen Anpassungsplänen (NAP) werden.
- Nicht-wirtschaftliche Schäden von Ökosystemen oder Kulturgut reichen weit über die eigentliche Kompetenz und das Mandat der Klimarahmenkonvention hinaus. Sie betreffen auch andere multilaterale Verträge und Teile des Systems der Vereinten Nationen. Es wird daher vorgeschlagen, ein „Zentrum für nicht-wirtschaftliche Verluste im Kontext des anthropogenen Klimawandels“ zu gründen, das gemeinsam von UNFCCC, UNESCO, UNEP und UNDP getragen wird mit dem Ziel, Klimaschäden systematisch zu erforschen, in einer Datenbank zu erfassen, und Unterstützung bei Maßnahmen zu deren Reduzierung und Ausgleich anzubieten.
- Neben der internationalen ist aber vor allem auch die nationale bis hinunter zur lokalen Ebene zum Handeln aufgefordert: Unsere Erhebungen haben ergeben, dass Betroffene sich vor allem von diesen politischen Ebenen mehr Unterstützung dabei erwünschen, Schäden besser einzudämmen bzw. im Schadensfall Hilfe zu leisten.