Im Folgenden finden Sie den Tagungsbericht von Dr. Martin Quack.
„Sozialer Frieden - Eine nationale und globale Verpflichtung aus der Agenda 2030“ – den Titel der Tagung füllten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom 31. März bis 2. April 2017 in der Evangelischen Akademie Villigst mit Leben. Der Begriff „Sozialer Frieden“ war Inspiration und Ansporn für konstruktive Diskussionen auf unterschiedlichen Ebenen und zu unterschiedlichen Themen auf der gemeinsam mit der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Brot für die Welt veranstalteten Tagung:
Deutschland ist ein Entwicklungsland
Deutschland ist nicht überall Weltmeister, sondern in vielen Politikbereichen auch Entwicklungsland. Der große politische Handlungsbedarf im Inland wurde vor allem in Bezug auf das Ziel, materielle Ungleichheiten zu verringern, deutlich. Prof. Eva Senghaas-Knobloch (Bremen) wies etwa auf die Zunahme von Niedriglohn und atypische Beschäftigungen in der Arbeitswelt hin. Hagen Berndt vom Projekt Kommunale Konfliktberatung des Forum Ziviler Friedensdienst und Eckart Riechmann aus der Stadtverwaltung Bautzen stellten anschaulich die Herausforderungen durch Konflikte auf kommunaler Ebene dar.
Die Friedensdimension ist neu
Einige der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) fanden sich bereits in den Milleniumentwicklungszielen (MDGs). Neu enthalten ist jedoch in der Agenda 2030 die Friedensdimension und die konkreten Formulierungen im Ziel 16 und anderen Zielen – nicht zuletzt, weil die Länder mit massiver Gewalt kein einziges der MDGs erreichen konnten. Für die Ausarbeitung und Umsetzung der Friedensdimension stand etwa Marc Baxmann von der Gruppe Frieden und Entwicklung (FriEnt). Auch das Ziel, nicht nur Armut zu überwinden, sondern auch Ungleichheiten zu verringern, ist neu in den SDGs enthalten.
Globales Lernen erleben
Nicht der reiche globale Norden hilft dem Süden wie noch in den Milleniumsentwicklungszielen sondern alle stehen in der Verantwortung und lernen voneinander. Die Agenda 2030 hat dieses Prinzip erstmals auf der globalen Regierungsebene verankert. Die Beteiligung von Ramesh Sharma von der indischen Bewegung Ekta Parishad, Stan Henkeman vom südafrikanischen Institute for Justice and Reconciliation (IJR) sowie Azzam Moustafa von der libanesischen Organisation Basmeh & Zeitooneh („Lachen und Olive“) ermöglichte sowohl Süd-Nord-Lernen als auch neue Vernetzungen. Die Verbindung zwischen Friedensarbeit und der Überwindung von materieller Ungleichheit und Ungerechtigkeit wird in Deutschland verstärkt diskutiert – in anderen Ländern ist dieser Zusammenhang schon lange selbstverständlich. Konkret lädt Ekta Parishad zur Beteiligung an der Aktion Jai Jagat 2020 ein: Ein Marsch von Delhi nach Genf.
Sozialpolitik und Friedenspolitik
Die Tagung verfolgte das Ziel, unter dem Titel „Sozialer Frieden“ den Dialog zwischen friedenspolitischen und sozialpolitischen Perspektiven zu intensivieren. Aufgrund weniger Anmeldungen aus dem sozialpolitischen Umfeld und kurzfristiger Absagen von Referenten aus Diakonie und Gewerkschaft wurde dieses Ziel nicht erreicht. Diese Erfahrung bestärkte die Erkenntnis, dass die Verbindung verschiedener Politikbereiche, die oft in ihren Silos bleiben, eine große Herausforderung darstellt. Nicht umsonst strebt die Agenda 2030 in dem Ziel 17 Multiakteurspartnerschaften an. In Deutschland ist die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung deshalb in einem Netzwerk mit Verbänden aus Sozialpolitik, Entwicklungspolitik und Umweltpolitik sowie Gewerkschaften engagiert.
Die Agenda 2030 ist der Rahmen
Trotz dieser Schwierigkeit ist deutlich geworden, dass die Agenda 2030 genau der richtige konzeptionelle - und vielleicht der einzige wirksame – Rahmen ist, um die globalen Probleme gemeinsam zu überwinden. Die Konferenz benannte auch Schwachstellen der Agenda 2030, so stellt sie das neoliberale Paradigma nicht explizit in Frage. Die Nachhaltigen Entwicklungsziele wurden von allen Regierungen – aus Nord und Süd, Ost und West – und mit intensiver Beteiligung und Kritik der Zivilgesellschaft entwickelt. Sie umfassen wesentliche Politikbereiche und die unterschiedlichen politischen Ebenen. Damit haben sie ein immenses politisches Potenzial, das in Gesellschaft und Politik stärker genutzt werden sollte. Diese Überzeugung wächst mit der intensiven Diskussion, das wurde auch im Abschlusspodium mit Sabine Lösing (Europäisches Parlament), Michael Vietz (Bundestag) und Christa Frenzel (Stadt Salzgitter) deutlich.
Eine positive Vision
Die Agenda 2030 ist nicht nur eine Vereinbarung, sondern stellt zugleich den massiven globalen Problemen, die in diesen Tagen wieder sehr deutlich werden, eine positive Vision einer Welt entgegen, in denen Menschen nicht vor Krieg und Not ihre Heimat verlassen müssen. Die Agenda 2030 beschreibt eine Welt, in der das Recht jedes Menschen auf Beteiligung verwirklicht wird. Eine Welt die sich nach der inklusiven „Friedenslogik“ für alle richtet, nicht nach einer exklusiven „Sicherheitslogik“ für wenige. Dies gilt nicht nur in der Außenpolitik sondern auch bei der Inneren Sicherheit, wie Prof. Christoph Weller (Augsburg) und Hagen Berndt deutlich machten. Wie zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit auf die Umsetzung dieser Vision drängen, machte Daniel Jüttner von Brot für die Welt deutlich.
Konkrete Schritte
Die Verwirklichung dieser positiven Vision soll in 13 Jahren geschehen – eine ziemlich kurze Zeit. Umso wichtiger ist es, noch mehr gesellschaftlichen Rückhalt für die Agenda 2030 und für die gemeinsame zivilgesellschaftliche Arbeit zur Agenda 2030 – etwa in Form des jährlichen Schattenberichts – zu entwickeln. Dies gilt insbesondere angesichts der ernüchternden Darstellungen aus der Politik, wie gering der Stellenwert der Agenda 2030 bisher auf allen staatlichen Ebenen ist - immerhin klare Zusagen zur Beteiligung an einer gemeinsamen jährlichen Überprüfung der Umsetzung. Die Konferenz hat die Motivation verschiedener Organisationen und Initiativen verstärkt, sich noch stärker für die Umsetzung der Agenda 2030 einzusetzen. Die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung wird in der nächsten Zeit auch die Ausarbeitung und Umsetzung einer friedenslogischen Politik voran treiben.