Berlin/Straßburg 03. Oktober 2017 – Spanien schiebt an der Grenze zu Marokko Geflüchtete und Migrant_innen systematisch und häufig brutal zurück. Diese langjährige Praxis der Push-Backs an den Außengrenzen der Europäischen Union (EU) ist rechtswidrig. Sie verstößt gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) urteilte nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Anlass der Entscheidung waren Beschwerden gegen Spanien, die zwei Geflüchtete aus Mali und der Elfenbeinküste auf Initiative und mit Expertise des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) im Februar 2015 beim EGMR eingereicht hatten. Mit der Abschiebepraxis an der Grenze zu Marokko verstoße die spanische Regierung gegen Artikel 4 des Vierten Zusatzprotokolls (Verbot der Kollektivausweisung) und gegen Artikel 13 (Recht auf effektive Rechtsmittel) der EMRK, so der EGMR.
N.D. und N.T. (zum Schutz der Kläger werden nur die Initialen genannt) waren am 13. August 2014 über die Grenzanlage bei Melilla nach Spanien gelangt. Sie wurden mit etwa 70 weiteren Geflüchteten aus Subsahara-Afrika, die gemeinsam mit ihnen die Zäune überwunden hatten, festgenommen und umgehend von der spanischen Guardia Civil buchstäblich nach Marokko „zurückgeschoben“ - ohne Verfahren und ohne Rechtsschutzmöglichkeit. Ihre Beschwerden wurden vom ECCHR in Kooperation mit Brot für die Welt unterstützt, vertreten wurden sie von ECCHR-Kooperationsanwälten in Madrid und Hamburg. In einem weiteren EGMR-Verfahren unterstützt das ECCHR Geflüchtete aus Syrien, Irak und Afghanistan in deren Beschwerden wegen der illegalen Rückschiebung nahe des Lagers Idomeni an der mazedonisch-griechischen Grenze.
„Das Melilla-Verfahren hat weit über den Einzelfall hinaus Wirkung. Es ist ein Präzedenzfall, um das grundlegende "Recht auf Rechte" von flüchtenden und migrierenden Menschen durchzusetzen“, sagte Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR. „Mit dem Urteil stellt der EGMR klar: Spaniens Grenzregime ist menschenrechtswidrig, denn die EMRK gilt auch an den Außengrenzen der EU.“
Der ECCHR-Kooperationsanwalt aus Madrid, Gonzalo Boye, forderte: „Die spanische Regierung – allen voran Innenminister Juan Ignacio Zoido – muss jetzt handeln und das so genannte Gesetz zum Schutz der Bürger-Sicherheit („Ley de protección de la seguridad ciudadana") zurücknehmen.“ Das Gesetz gilt seit April 2015 und sieht vor, dass Menschen, die die Grenzanlagen von Ceuta oder Melilla zu überwinden versuchen, zurückgewiesen, d.h. unmittelbar zurückgeschoben, werden können.