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Terror in Nigeria trifft Christen und Muslime

Der Religionsfrieden zwischen Christen und Muslimen in Nigeria ist bedroht. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, hat vor Ort mit beiden Seiten gesprochen.

Von Prof. Dr. h. c. Cornelia Füllkrug-Weitzel am

Zeitungsleser wissen, dass Nigeria kein friedvolles Land ist. Den meisten fällt sofort der Name Boko Haram ein und dass diese muslimische Terrororganisation im Norden des Landes Christen bedroht und das Land unter muslimische Herrschaft bringen will. In Nigeria sind 1,8 Millionen Menschen auf der Flucht vor Gewalt im eigenen Land und unzählige flohen in die Nachbarländer. Ein Religionskonflikt also ausgehend von gewalttätigen Islamisten, die unschuldige Christen überfallen, töten und vertreiben?

Das entspricht unseren Bedrohungswahrnehmungen im Allgemeinen und wir könnten uns damit zufrieden geben.

Terror trifft Christen und Muslime gleichermaßen

Das reale Bedrohungsszenarium ist aber ganz anderer Art. Davon konnten wir uns in der vergangenen Woche mit einer internationalen Gruppe von Kirchenvertretern aller Konfessionen und Vertretern christlicher Organisationen bei einem Besuch in Abuja und im Middle Belt, in Kaduna, ein Bild machen. Diese Gruppe berät den Pilgerweg für Gerechtigkeit und Frieden des Ökumenischen Rates der Kirchen. Aus vielen Gesprächen mit Christen und Muslimen ergab sich für uns folgendes Bild:

Boko Haram hat sich lange über ihre Ursprünge hinaus entwickelt. Sie ist zu einer gewalttätigen Organisation eigener Art mit einem in sich geschlossenen ideologischen System und eigenen Herrschafts- und Bereicherungsinteressen geworden – ähnlich wie der sogenannte Islamische Staat, ähnlich aber auch wie die Lord‘s Resistance Army in Norduganda, die vorgibt im Interesse des christlichen Glaubens ein Terrorregime im Norden Ugandas errichten zu müssen. Extreme Gewaltbereitschaft, Intoleranz gegen alle, die nicht in ihr geschlossenes Weltbild passen, oder sich ihm unterwerfen, sind ihnen gemeinsam. Ebenso wie ihre Entfernung von allem, was Christen und Muslimen heilig ist.

Ihr Terror trifft Christen und Muslime gleichermaßen, beziehungsweise in Nigeria nach übereinstimmender Auffassung christlicher und muslimischer Gesprächspartner mittlerweile deutlich mehr Menschen muslimischen als christlichen Glaubens. Mit ihnen partiell zu kooperieren, ist nicht nur für andere Terrorgruppen und sunnitische Machthaber aus dem Ausland interessant, die damit ihre eigene Agenda verfolgen, sondern auch für Waffendealer aus christlichen Ländern.

Politik provoziert Landkonflikte  

Und dann sind da im Norden Nigerias noch die Gewalt-Konflikte zwischen Kleinbauern und Nomaden, die im Jahresrhythmus mit ihren Herden durch mehrere Länder der Region ziehen – dem Regen folgend. Diese Konflikte sind – siehe Kain und Abel – uralt und in der ganzen Region virulent. Sie haben in Nigeria aber zugenommen mit dem zunehmenden Druck auf das Land. Er wächst infolge einer rapide wachsenden Bevölkerung, infolge von Landverkäufen der Regierung an internationale Firmen und infolge des Klimawandels. Kleinbauern haben sich in den Korridoren ausgebreitet, durch die die Nomaden mit ihren Herden seit Jahrhunderten jährlich gezogen sind und haben das Weideland in Ackerland verwandelt. Die Nomaden bahnen sich nun gewaltsam ihren Weg. Dabei bedienen sie sich der Grausamkeit, mit der Boko Haram dem Land das Grausen gelehrt hat.

Und plötzlich wird der Tatsache erstmals Bedeutung gegeben, dass die Nomaden Muslime sind (schon immer waren). Da ihre traditionellen Passagen durch Gebiete führen, in denen schon immer viele Christen wohnten, attackieren die Nomaden nun die Dörfer mitsamt den Kirchen. Sie wollen damit Rache für den Landraub nehmen, den eigentlich die Politik zu verantworten hat. Die Politik provoziert die Landkonflikte durch schlechtes Landmanagement und durch unverantwortliche Landverkäufe. Nationale, regionale und kommunale Politiker in Nigeria – christliche wie muslimische - bemänteln ihre Unwilligkeit und/oder Unfähigkeit, ihrer Aufgabe nachzukommen und für die Erfüllung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu sorgen, gerne damit, dass sie die beiden Konflikte zu ein und demselben großen Grundkonflikt zwischen Christentum und Islam zusammenmischen.

Sie haben die Gewaltakteure zu lange laufen lassen oder gar von den Konflikten profitiert. Sie geben den Konflikten einen religiösen Narrativ zur Stärkung der eigenen Macht – besonders im Vorfeld von Wahlen oder Verlängerung von Amtszeiten-, zur Ablenkung von ihrem krassen Versagen, der hohen Arbeitslosigkeit und der galoppierenden Inflation Herr zu werden und zur Selbstbereicherung. Und natürlich finden sich auf beiden Seiten auch einige Religionsführer, die dieser Interpretation willig zustimmen und religiöse Hasspredigten halten – noch williger, wenn sich das für sie mindestens politisch auszahlt. Uns sind auf beiden Seiten falsche Fakten, Anklagen gegen die je andere Religionsgemeinschaft und Bilder von eigenen Opfern präsentiert worden, ohne die der anderen Seite zu erwähnen.

Gemeinsame Bemühungen für Frieden und Versöhnung

Keineswegs alle Finger weisen aber anklagend nur auf die je andere Seite: Wir waren überwältigt und getröstet von der Fülle ausgestreckter Hände auf allen Ebenen – von lokal  bis national. In vielfältigen Initiativen bemühen sich christliche und muslimische Akteure – von höchster Führungsebene bis zu Grass-Roots-Initiativen um die exakte Aufklärung und Dokumentation jedes gewaltsamen Zwischenfalles, um die gemeinsame Entwicklung von Friedenscurricula für Schulen, um Versöhnung, die Ausbildung von Friedensstiftern, gemeinsame Jugendinitiativen, Traumabehandlung von Opfern in niedergebrannten Dörfern, um gemeinsame Unterstützung der intern Vertriebenen. Sie bemühen sich darum, die Hetzer in den eigenen Reihen zum Schweigen zu bringen, Politiker für falsches Zeugnis öffentlich zur Rede zu stellen, sie zur Verantwortung für die Unterlassungen und die Folgen ihres Handelns zu rufen und ein allgemeines Verständnis für „good governance“ und für Gemeinwohlorientierung Aller zu fördern. Denn alle ihre Finger weisen in eine gemeinsame Richtung: die Selbstbereicherung der Eliten und Korruption als ein endemisches Übel Nigerias. In dem Kontext wäre auch noch von den Ressourcenkonflikten und dem Anteil ausländischer Unternehmen an den Gewaltursachen zu sprechen – aber das führt hier zu weit.

Cornelia Füllkrug-Weitzel hat Ende Februar an einem Besuch und interreligiösen Dialog in Nigeria im Rahmen des Pilgerwegs für Gerechtigkeit und Frieden des Ökumenischen Rates der Kirchen teilgenommen und Projekte von Partnerorganisationen von Brot für die Welt besucht. Weitere Blogs zum Besuch in Nigeria folgen.

 

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