An den Verhandlungen, die Ende März und Anfang April 2017 bei den Vereinten Nationen in New York stattfanden, beteiligen sich bislang ausschließlich Staaten, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen. Sie wollen ein formelles völkerrechtliches Verbot erwirken, um Massenvernichtungsmittel zu ächten und die Atommächte unter Druck zu setzen, ihre Arsenale langfristig abzurüsten. Friedensaktivistinnen und -aktivisten – wie zum Beispiel die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) - werten die Verhandlungen als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer friedlichen Welt und ziehen eine positive Bilanz der ersten Runde. Gleichzeitig kritisieren sie, dass die Atommächte eine Abrüstung ihrer Nuklearwaffenarsenale seit Jahren blockieren. Leider sind die Atomwaffenstaaten, sowie die meisten NATO-Länder, darunter auch Deutschland, nicht bereit, sich an den Verhandlungen auf UN-Ebene zu beteiligen.
Die an der Kampagne beteiligten Staaten sind sich darin einig, dass nicht nur der Einsatz, sondern auch Lagerung, Besitz, Erwerb, Entwicklung und Produktion von Atomwaffen verboten sein sollen. „Auch die Forderung nach einem expliziten Verbot der Finanzierung von atomwaffenbezogenen Aktivitäten wird weitgehend geteilt, wenngleich einige Staaten noch Fragen zur konkreten Umsetzung aufgeworfen haben“, so kommentiert Sascha Hach von ICAN-Deutschland das Ergebnis der ersten Verhandlungsrunde. Friedensaktivisten gehen fest davon aus: Ein Atomwaffenverbot werde kommen, vielleicht sogar noch in diesem Jahr. Sie setzen große Hoffnungen auf die nächste Runde der Gespräche, die für den Zeitraum 15. Juni bis 7. Juli 2017 angesetzt ist.
Begründungen für die deutsche Nichtbeteiligung
Als die UN-Generalversammlung im Dezember 2016 mehrheitlich beschloss, mit Verhandlungen zu beginnen, hatte Deutschland dagegen gestimmt, mit der Begründung, dass die Atomwaffenstaaten nicht einbezogen seien, deren Beteiligung aber sei für Fortschritte in der Abrüstung unerlässlich. Für Deutschland würde die Unterschrift unter einen internationalen Verbotsvertrag bedeuten, dass die verbleibenden US-Atomsprengköpfe von deutschem Boden abgezogen werden müssten. Dafür gäbe es aktuell aufgrund von bündnispolitischen Erwägungen vermutlich keine politische Mehrheit in Regierung und Parlament. Allerdings findet das Ziel einer atomwaffenfreien Welt in der Bevölkerung durchaus breite politische Zustimmung. Die Vorbehalte der deutschen Regierung gründen sich aber auch auf die Annahme, dass ein UN-Verbot, das nur von Nicht-Atomwaffenstaaten getragen wird, dazu beitragen könnte, den bestehenden internationalen Vertrag zur atomaren Nichtweiterverbreitung (NVV) auszuhöhlen – konkret: es wird befürchtet, einige Atomwaffenstaaten könnten dieses Abkommen dann nicht mehr als verbindlich betrachten oder sich daraus sogar ganz verabschieden.
Inwieweit dieses Argument nur als Alibi dient oder politisch stichhaltig ist, ist schwer zu beurteilen. Die Friedensforscher und Rüstungskontrollexperten Oliver Meier, Harald Müller und Götz Neuneck wiesen in der ZEIT ebenfalls auf entsprechende Risiken hin, hatten der Bundesregierung aber dennoch nachdrücklich zur Beteiligung an den Verhandlungen geraten: „Zusammen mit gleichgesinnten Nato-Mitgliedern, die keine Kernwaffenbesitzer sind, sollte Berlin an den Verhandlungen teilnehmen, um den neuen Abrüstungsvertrag eng mit dem NVV zu verflechten. Deutschland sollte darauf drängen, dass Mitgliedsstaaten des Verbotsvertrags alle NVV-Verpflichtungen zur Verifikation und Exportkontrolle von Nukleartechnologie übernehmen oder zugleich Mitglied im NVV sein müssen. Nur mit dieser Koppelung ergänzt ein Atomwaffenverbot bestehende Kontrollregeln, ohne sie zu schwächen.“
Der Gefahr eines Neuen Wettrüstens entgegenwirken
Friedensforscher warnen zugleich auch zunehmend vor den Gefahren eines neuen Rüstungswettlaufs, der sich sowohl auf globaler als auch auf transatlantischer, bzw. europäischer Ebene anbahnt. Sie sehen derzeit die über Jahrzehnte mühsam errungenen Rüstungskontroll-Instrumente in Gefahr. Sowohl der NVV-Vertrag von 1968 als auch der Vertrag über die Abrüstung von Mittelstreckenwaffen (INF-Vertrag) von 1987 hatten in der bi-polaren Welt während des Ost-Westkonflikts dazu beigetragen, die Gefahr eines Atomkrieges zu reduzieren.
Inzwischen stehen die Zeichen wieder stärker auf Konfrontation: „Die USA und Russland beschuldigen sich wechselseitig, den INF-Vertrag zu brechen, und das unterminiert die Stabilität des Rüstungskontrollregimes“, so Thomas Hoppe, Professor an der Hamburger Universität der Bundeswehr und Mitglied der „Research Group on International Church Affairs“ bei der Deutschen Bischofskonferenz. Die Regierungen beider Großmächte haben zudem den Ausbau ihrer atomaren Arsenale angekündigt. Gleichzeitig unternehmen China, Frankreich, Großbritannien sowie die unter dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag nicht anerkannten Kernwaffenbesitzer Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan ähnliche Anstrengungen. Hoppe sieht jetzt vor allem die Europäische Union in der Pflicht, sich aktiv für funktionstüchtige Abkommen und Kontrollen der Nichtweiterverbreitung einzusetzen und Anreize dafür zu schaffen, ein neues nukleares Wettrüsten zu unterbinden, anstatt sich in eine strategische Abhängigkeit von atomgestützten NATO-Strategien zu begeben.
EKD-Friedensbeauftragter kritisiert Bundesregierung
Die Weigerung der deutschen Regierung, sich an den Verhandlungen zu beteiligen, ist vor diesem Hintergrund mehr als bedauerlich. Sie wird nicht nur von den ICAN-Aktivistinnen und -aktivisten als enttäuschend wahrgenommen. Auch der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Renke Brahms, hat die Entscheidung der Bundesregierung scharf kritisiert. Sie habe „eine Chance vergeben, ein deutliches Zeichen für eine weltweite Ächtung dieser Massenvernichtungswaffen zu setzen“, betonte er in einer Pressemitteilung am 22. März. Verhandlungen über ein weltweites Verbot seien überfällig, Atomwaffen müssten ebenso wie chemische und biologische Waffen geächtet werden. Eine deutsche Teilnahme an den UN-Verhandlungen wäre ein wichtiges Signal gewesen, so der Friedensbeauftragte, und „ein weiterer Schritt wäre, wenn sich die Bundesregierung mit Nachdruck für einen Abzug der noch in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen stark machen würde.“
Weiterführende Informationen zum Thema
Auch der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) setzt sich seit Jahren für eine atomwaffenfreie Welt ein und unterstützt die Verhandlungen für ein internationales Verbot. Beim Evangelischen Kirchentag in Berlin wird Jonathan Frerichs, der für den ÖRK als internationaler Experte die Verhandlungen beobachtet, am 25. Mai 2017 zusammen mit Kiflemariam Gebrewold von der Evangelischen Landeskirche Baden einen Workshop „Abschaffen oder aufrüsten? Die Kirchen und die Atomwaffen“ zum Thema ausrichten. ICAN-Deutschland organisiert in Berlin regelmäßig Veranstaltungen, bei denen über den Stand der Kampagne informiert wird.