Die meisten Menschen in meinem Umfeld, mich eingeschlossen, hatten keine genaue Vorstellung von diesem kleinen und doch so facettenreichen Land im Kaukasus. Was lässt sich nach wenigen Wochen also berichten?
Die ersten Wochen durfte ich mit den anderen sechs Freiwilligen in einem kleinen Feriendorf nahe Tiflis verbringen. Die erste Herausforderung war und ist für mich das Erlernen der Sprache. Georgisch zählt weltweit zu den am schwierigsten zu erlernenden Sprachen aber ist hier absolut notwendig. Nur ein gefühlter Bruchteil der Bevölkerung spricht englisch, die ältere Generation ausschließlich georgisch und teilweise noch russisch. Und so kämpf(t)en wir uns fleißig durch den Konsonantendschungel des Georgischen.
Tiflis
Die Hauptstadt ist multikulturell geprägt. Orientalische, europäische Einflüsse und natürlich der Einfluss der Sowjetunion finden sich hier wieder. Deutlich wird das zum Beispiel in der Architektur. Neben dringend restaurierungsbedürften Sowjetbauten finden sich luxuriöse, komplett verglaste Neubauten, die auffallende Ähnlichkeit mit Regierungsgebäuden in Brüssel haben.
Luxuskarossen stehen neben Autos aus Sowjetzeiten und Gebrauchtwagen aus Deutschland, mit denen scheinbar noch Geld gemacht werden wollte, nachdem nicht mal mehr die rote Umweltplakette ausgestellt wurde. Georgien gehört zu den Ländern mit der größten Luftverschmutzung und auch Deutschland trägt seine (Auto)-Teile dazu bei. Viele deutsche und europäische Produkte finden sich auch in den Supermärkten, sogar ein "Hofbräuhaus" gibt es - mit Sauerkraut auf der Frühstückskarte.
Direkt aufgefallen ist uns auch das riesige Umweltproblem, das das Land zu bewältigen hat. Beim Einkauf gibt es Plastiktüten gratis dazu, gefühlt eine pro Artikel. Selbst beim Kauf einer Packung Kaugummi wird einem ein weiteres Stück Plastik gereicht. Die Unmengen an Plastik gepaart mit nicht vorhandenem Recycling oder Mülltrennung versetzen der eigentlich wunderschönen Natur Georgiens einen Stich.
Ran an die Arbeit!
Während vier Freiwillige in Tiflis bleiben, ging es vergangene Woche für drei von uns weiter in andere Städte und Regionen des Landes. Für mich hieß es Koffer packen, ab in den Zug Richtung Batumi und damit Richtung Schwarzes Meer.
Schon die Zugfahrt war spektakulär: viereinhalb Stunden für 315 Kilometer mit dem Schnellzug nach Kobuleti. Doch eine längere Fahrt ermöglicht einem auch den Facettenreichtum des Landes wahrzunehmen. Und so fuhr ich durch Stadt, Wüste, Wald und Palmen. Angekommen in Kobuleti wurde ich von einer Arbeitskollegin abgeholt und wir fuhren nach Ozurgeti, meinem Einsatzort. Ozurgeti selbst ist deutlich grüner als Tiflis, es herrscht weniger Lärm und die Luft ist weitaus besser.
Ich arbeite hier in der Young Pedagogues‘ Union, einer NGO, die sich für die Stärkung des Bürgerbewusstseins von Jugendlichen und die Demokratisierung im Bildungsbereich einsetzt sowie soziale Unterstützung leistet. Während meines Studiums in Deutschland habe ich bereits in einer NGO gearbeitet und versuche meine Erfahrungen in die Arbeit hier einzubringen.
Momentan wäge ich mit einer deutschen NGO die Möglichkeit eines Fachkräfteaustauschs im pädagogischen Bereich ab. Projektplanung und Projektskizzierung stehen daher zurzeit im Fokus. Diese Arbeit macht mir wirklich Spaß und ich hoffe, dass unser Vorhaben realisierbar ist. Sowohl für georgische als auch für deutsche Fachkräfte wäre ein solcher Austausch mit Sicherheit interessant und lohnenswert.
Neben dieser Aufgabe bereite ich für Lehrpersonal und Pädagogen eine Präsentation zum Thema „Prävention von Gewalt“ und „Psychoemotionale Herausforderungen für Kindern“ vor. Sobald meine Georgischkenntnisse besser sind, werde ich dann näher mit den Schulen zusammenarbeiten. Zeitgleich bin ich noch im „small group home“ der Organisation aktiv. In dem Haus leben bei einem Pflegeelternpaar bis zu acht Kinder, die in ihren leiblichen Familien teilweise früh Opfer von psychischer und/oder physischer Gewalt wurden. Durch die verschiedenen Aktivitäten bleibt die Arbeit stets interessant und schafft ein Gleichgewicht zwischen Büroarbeit und direkter Aktivität.
Ich merke, dass ich mich noch eingewöhnen muss. Das Erlernen der Sprache steht für mich dabei stets im Vordergrund und ist eine absolute Herausforderung. Aber es führt mir auch immer wieder vor Augen, dass Sprache – und damit Bildung – der Schlüssel zur Integration sind (und sei es „nur“ für ein Jahr). Hunderttausende stehen gerade in Deutschland vor dieser Herausforderung und haben ihr Heimatland unter vollkommen anderen Voraussetzungen verlassen (müssen). Bis jetzt kann ich also schon sagen, dass dieser Freiwilligendienst stark zum Perspektivwechsel anregt, zum „Blick über den Tellerrand“.
... und aus gegebenem Anlass das Wort zum Schluss: