"Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten." - so steht es in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte seit 70 Jahren geschrieben und die Formulierung macht deutlich, bei der Meinungsfreiheit geht es um mehr als ein "die Gedanken sind frei". Gestattet ist es nicht nur, eine eigene Meinung zu haben, sondern vor allem auch sich diese durch Zugang zu Informationen zu bilden und sie mit anderen zu teilen.
Das Recht auf Meinungsfreiheit und Information ist damit der Grundstein einer jeden freien und demokratischen Gesellschaft und die Basis für die Verwirklichung weiterer Menschenrechte. Die Demokratie lebt davon, dass sich Menschen im politischen Diskurs widerstreitender Meinungen ein eigenes Bild machen und auf Grundlage dessen an der Wahlurne informierte Entscheidungen treffen. Gute Regierungsführung und sozialer Friede hängen davon ab, dass die Zivilgesellschaft Informationen über staatliches Handeln einfordern und die (Menschenrechts-)Anliegen benachteiligter Gruppen gegenüber den Regierenden geltend machen kann. Nur wenn Menschen ohne Angst kommunizieren können, sind sie dazu in der Lage. Pluralistische Demokratien sollten also ein Interesse daran haben, dass die Meinungs- und Informationsfreiheit einen hohen Stellenwert genießen.
Schützt die Meinungsfreiheit
Die Staaten sind aber auch dazu verpflichtet, die Meinungsfreiheit zu schützen. Denn wie alle Menschenrechte enthält die Meinungsfreiheit nicht nur eine Abwehr- sondern auch eine Garantiefunktion. Es reicht also nicht, die freie Äußerung von Meinungen nicht aktiv zu unterbinden. Es muss ein Umfeld geschaffen werden, das dafür förderlich ist. Entsprechend hat der Menschenrechtsausschuss im General Comment (eine Allgemeine Bemerkung, die der Interpretation von Menschenrechtsabkommen dient) 34 zur Meinungsfreiheit festgehalten, dass staatliche Stellen dazu aufgerufen sind, besondere Sorgfalt darauf zu verwenden, eine unabhängige und vielfältige Medienlandschaft zu unterstützen. Weiterhin seien die Staaten aufgefordert, die Unabhängigkeit staatlicher Rundfunkstationen zu garantieren, Informationen von öffentlichem Interesse bereitzustellen und für alle Personengruppen zugänglich zu machen.
In Bezug auf neuere Entwicklungen durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien wie digitale und soziale Medien, hielt der Ausschuss fest, dass elektronische und internetbasierte Kommunikationsformen genauso wie analoge von der Meinungs- und Informationsfreiheit geschützt sind. Damit unvereinbar seien Einschränkungen von Internetseiten, Blogs oder anderen Informationsverbreitungssystemen, die nicht nur bestimmte Inhalte sondern die gesamte Internetseite oder das gesamte Informationssystem betreffen.
Realitätscheck
70 Jahre nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geraten diese Werte leider immer mehr in Gefahr. Weltweit nehmen populistische Strömungen zu, die auf einen vermeintlichen Volkswillen rekurrieren. Mindermeinungen, abweichende Meinungen - die für den Meinungskampf, die Meinungsbildung "von unten nach oben" als unabdingbar angesehen werden, kennt der Populist nicht. Es gibt nur die eine richtige Meinung, die "des Volkes". Kritik daran versucht er mit aller Kraft zu unterdrücken und den eigenen Machtanspruch zu sichern. Damit einher geht auch der Versuch, immer mehr Foren, in denen Kritik an Regierenden ausgetauscht, menschenrechtliche Missstände angeprangert und soziale Forderungen gestellt werden, einfach auszuschalten. Weil solche Diskussionen wegen der Repression gegen Print-Medien in vielen Ländern zunehmend ins Internet verlegt werden, folgen autokratische Regime den Aktivisten nun auch zunehmend hierhin. Ob Russland, Aserbaidschan, China, Türkei, Ägypten, Australien - überall auf der Welt werden Internetseiten, die der Regierung nicht passen, einfach gesperrt. Jüngstes Beispiel ist Nicaragua: Präsident Daniel Ortega hat angekündigt, soziale Medien stärker regulieren zu wollen, weil die Nicaraguaner dadurch negativ beeinflusst würden. Angesichts des Umstands, dass die Regierung schon länger versucht, Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen und Journalisten juristisch verfolgt und schikaniert, lässt dies nichts gutes befürchten. Lokale NGOs stuften den Gesetzesvorschlag dann auch schnell als einen Versuch der Regierung ein, der Zivilgesellschaft auch noch diesen Handlungsraum zu verschließen und die dort stattfindenden kritischen Diskussionen und den Ausstausch über Fälle von Korruption und Machtmissbrauch zu beenden.
Wir befinden uns also derzeit wieder an einem Zeitpunkt, in dem wir die Freiheit unsere Meinung zu äußern, sie zu verbreiten und uns dafür der Mittel zu bedienen, die wir für geeignet halten, aktiv verteidigen müssen. Wenig förderlich ist dafür das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), was von der Bundesregierung 2017 verabschiedet wurde. Es verpflichtet, die Betreiber von sozialen Netzwerken, offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde zu löschen oder zu sperren. Doch was ist "offensichtlich strafbar"? Darüber sollten in einem Rechtsstaat Gerichte entscheiden. Es ist schlimm genug, dass Konzerne wie Facebook die Möglichkeit haben, die Meinungsbildung zu beeinflussen und unliebsame Äußerungen zu löschen, nun sind sie auch noch dazu verpflichtet, "Meinungswächter" zu spielen. Und es steht zu befürchten, dass sie aus Angst vor Bußgeldern bestimmte Inhalte lieber gleich entfernen, bevor es zur Beschwerde kommt.