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Agrarökologie geht nur mit Ernährungssouveränität

Alternative Wirtschaftsformen auf dem Land können Ungleichheit abbauen. Lokale Wirtschaftssysteme und

-kreisläufe bieten dafür vor allem auch für die kleinbäuerliche Landwirtschaft tragfähige Lösungen an. Der Artikel ist auch im Rundbrief 2/2018 vom Forum Umwelt und Entwicklung erschienen. (link)

 

Von Dr. Bernhard Walter am

Guatemala: Dorfversammlung in Las Flores. Ein großes Staudammprojekt bedroht die Felder der Bäuerinnen und Bauern. Erst vor kurzem haben sie durch Schulungen auf ökologischen Landbau umgestellt und haben nun das ganze Jahr genug zu essen - doch wie lange noch?

Auf dem Land ist Ungleichheit besonders groß. 815 Millionen Menschen hungern und können sich nicht ausreichend und gesund ernähren. Um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, bieten lokale Wirtschaftssysteme und -kreisläufe vor allem auch für die kleinbäuerliche Landwirtschaft tragfähige Lösungen an. Dies gelingt aber nur, wenn Frauenrechte gestärkt werden, die Interessen dieser Bevölkerungsgruppen politisch durchgesetzt werden und Ernährungssouveränität mit umweltschonenden agrarökologischen Anbaumethoden Wirklichkeit wird. Das Niveau sozialer Ungleichheit ist in vielen Ländern, insbesondere im Globalen Süden, extrem hoch. Daraus resultiert vor allem andauernde Armut. Lange Zeit wurde Ungleichheit als notwendiges Übel für ein ‚Herauswachsen‘ aus der Armut beschrieben. Inzwischen werden die hohen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kosten von Ungleichheit wahrgenommen. Große Chancenungleichheit führt zu Armut. Je größer die Kluft zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ist, desto geringer wird soziale Mobilität.

Ungleichheit trägt direkt dazu bei, dass Menschen in einem Teufelskreis der Armut gefangen bleiben und Kinder aus armen Familien häufig die Armutssituation ihrer Eltern erben. Durch solche Exklusionsprozesse werden Chancen für eine breite wirtschaftliche Entwicklung vergeben. Es braucht deshalb Politikansätze für Umverteilung und geteilten Wohlstand, um Armut zu überwinden. Der Zusammenhang zwischen der Überwindung von Armut und der Notwendigkeit zur Umverteilung wird noch zwingender, wenn das gegenwärtige Modell der Wachstumsökonomie infrage gestellt wird und ökologische Aspekte sowie der Klimawandel in den Blick genommen werden.

Ungleichheit auf dem Lande

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ruft im Ziel 10 der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) zum Handeln für die Reduzierung der Ungleichheit in und zwischen Ländern auf. Ungleichheit zu reduzieren ist auch essentiell für die Überwindung von Armut (SDG 1) oder Hunger (SDG 2). Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn die Zahlen der Hungernden und Fehlernährten betrachtet werden. 2016 waren bei einer Weltbevölkerung von 7,6 Milliarden Menschen 815 Millionen hungernd, 2 Milliarden fehlte es an lebenswichtigen Mikronährstoffen und Vitaminen. Dabei ist auf dem Land Armut und Hunger besonders eklatant. An die 80 Prozent leben von der Landwirtschaft oder den natürlichen Ressourcen. Um deren Armut zu überwinden und Ungleichheit abzubauen, müssen vor allem tragfähige Wirtschaftssysteme für ihre Bedürfnisse entwickelt werden, Frauenrechte gestärkt und der Zugang zu Ressourcen verbessert werden.

Ungleiche Landverteilung abbauen

Die (klein)bäuerliche Landwirtschaft ist häufig die einzige existenzsichernde Wirtschaftsform. 2,6 Milliarden Menschen leben von ihr. Millionen von Kleinbäuerinnen und -bauern, HirtInnen, FischerInnen und Indigenen produzieren auf kleinsten Flächen den größten Teil aller Lebensmittel,in den meisten Ländern in Afrika und Asien bis zu 80 Prozent. Liegt die bewirtschaftete Fläche unter 2 Hektar, spricht man von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. 83 Prozent der weltweit 537 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe bewirtschaften weniger als 2 Hektar und 97 Prozent weniger als 10 Hektar. So sind in Asien bis zu 80 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe kleinbäuerlich. Kleinbäuerliche Betriebe bewirtschaften etwa 60 Prozent der weltweiten Ackerflächen – häufig jedoch qualitativ schlechte und nicht bewässerungsfähige Böden – und leisten den größten Teil der Agrarinvestitionen. Aber die Durchschnittsgröße der Betriebe sinkt. Sie liegt in Asien bei 1,06 Hektar und in Afrika bei 1,3 Hektar. Dadurch ist es vielen Kleinbäuerinnen und -bauern nicht mehr möglich, ihre Familie ausreichend zu versorgen und sie müssen sich zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten suchen. Dabei ist in vielen Ländern zwar genügend Land da, jedoch ist die Landverteilung ungleich. Deshalb sind Land- und Agrarreformen notwendig. Stellvertretend für eine gerechtere Landverteilung in vielen Ländern stehen die Landbesetzungen in Brasilien, organisiert von der Landlosenbewegung ‚Movimento dos Sem Terra‘ (MST).

Bäuerliche Landwirtschaft ist keine ‚Armutsökonomie‘

Die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass bäuerliche Landwirtschaft keineswegs eine ‚Armutsökonomie‘ ist. Die Schaffung tragfähiger lokaler Wirtschaftssysteme kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn anerkannt wird, dass die Wirtschaftsweise bäuerlicher Familienbetriebe sich in erster Linie an Sicherheit und Nachhaltigkeit orientiert. So nutzen in Tansania Bäuerinnen und Bauern wieder verstärkt einheimische, widerstandsfähige und nährstoffreiche Sorten sowie die Vorteile von Mischkulturen und natürlicher Schädlingsbekämpfung. Auch  traditionelle, lokal erprobte Technologien finden wieder vermehrt Anwendung. Zum anderen nutzen die Bäuerinnen und Bauern ihre knappen natürlichen Ressourcen in einer  schonenderen Form. Zum Beispiel wird Regenwasser kostengünstig über die Dachrinnen der Häuser in Zisternen gesammelt und für den Gemüseanbau verwendet. Verteilungskonflikte um Wasser und Land können dadurch entschärft werden. Zudem werden der Kapitalbedarf der ProduzentInnen und ihre Abhängigkeit von externen Betriebsmitteln geringer. Dies kann erreicht werden, wenn systematisch Prinzipien von Agrarökologie in der bäuerlichen Landwirtschaft etabliert werden. Ein Qualifizierung der Bäuerinnen und Bauern ist hierfür notwendig. Fossile Energieträger und wichtige Nährstoffe wie Phosphat und Kalium werden in Zukunft immer knapper und teurer werden. Ertragssteigerungen durch mehr chemisch-mineralische Düngung stoßen an ihre ökologischen Grenzen. Außerdem ist ein intensiverer Energie- und Maschineneinsatz für viele kleinbäuerliche Betriebe nicht rentabel. Verbesserte Anbaumethoden, geeignetes, regional und lokal erzeugtes Saatgut, der Aufbau der Bodenfruchtbarkeit durch ein verbessertes Bodenmanagement, biologischer Pflanzenschutz sowie wassersparende Anbaumethoden werden notwendig sein, um die Produktion umweltschonend zu intensivieren. Wenn Bäuerinnen und Bauern genügend Land, Wasser, Arbeitskraft und das nötige Wissen haben, können sie einen höheren Nährwert pro Hektar erzielen als die industriell organisierte Landwirtschaft. In vielen Entwicklungsländern können die Erträge im Ackerbau daher noch deutlich gesteigert werden – und das ohne schädliche Umweltauswirkungen.

Diese bäuerlichen Produktionsmethoden sollten gemeinsam erprobt und weiterentwickelt werden, wie zum Beispiel in Tansania. Dort beraten über 40 kleinbäuerliche Verbände, organisiert im panafrikanischen Netzwerk PELUM, kleinbäuerliche Betriebe in agrarökologischen Anbaumethoden. Neben der Wissensvermittlung über partizipative Methoden („von  Bauer zu Bauer“) setzt sich PELUM auch für günstige wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen in den afrikanischen Ländern für agrarökologische Landwirtschaft ein. Auf lokalen und regionalen Märkten finden die Produkte kleinbäuerlicher Landwirtschaft einen gewissen Absatz. Auf diese Weise können sich die Bäuerinnen und Bauern unabhängiger von  den unkontrollierbaren Nachfrage- und Preisschwankungen der nationalen und internationalen Märkte machen. In Indonesien haben Bauernorganisationen gemeinsam ökologische  Anbaumethoden erprobt und die lokale Vermarktung ihrer Produkte organisiert. Sie haben dafür auch Spar- und Kreditgruppen gebildet. Kakaopflanzungen im Hochland arbeiten nun  wieder gewinnbringend. Durch eine Genossenschaft, die Anbauberatung und Vermarktungswege für ihre Mitglieder organisiert, wird ein besserer Preis erzielt als beim Einzelverkauf an ZwischenhändlerInnen. In Südbrasilien haben Biobäuerinnen und -bauern nachhaltige Produktions- und Vermarktungsstrukturen für ihre Erzeugnisse aufgebaut. Inzwischen setzen sie  ihre Produkte auf Bauernmärkten in der Region und in größeren Städten ab.

Frauenrechte und Organisation bäuerlicher Interessen

Diese Wirtschaftsformen sind in ein umfassendes Konzept ländlicher Entwicklung einzubinden. Dies lässt sich durch die Diversifizierung des ländlichen Handwerks, des Kleingewerbes und der Kleinindustrie erreichen. Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften, Erzeugergemeinschaften und Kreditvereine bieten hierfür gute Voraussetzungen. Unabdingbar ist auch die systematische Teilhabe von Frauen. Meist sind sie es, die das komplexe Anbauwissen von Generation zu Generation weitergeben, die Produkte vermarkten und die  Hauptverantwortung für die Existenzsicherung ihrer Familien tragen. Klar ist, ohne die politische Interessensvertretung und die Stärkung kollektiver Rechte der ProduzentInnen können Ungleichheiten nicht abgebaut werden. So haben sich über 200 Millionen Bäuerinnen und Bauern in den weltweit agierenden Verband ‚La Via Campesina‘ (der bäuerliche Weg)  zusammengeschlossen. Ziel ist es, der ländlichen Bevölkerung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Agrarökologische Anbaumethoden – eingebettet in eine Politik der  Ernährungssouveränität und rechtlich abgesichert durch die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung – ist ein wichtiger Baustein für eine flächendeckende Transformation des  Wirtschaftssystems, das Ungleichheit abbaut. Aber dafür ist auch eine politische Umgestaltung des Wirtschaftssystems notwendig.

 

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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