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Antibiotikaresistenz und globale Tierhaltung

Antibiotikaresistenz ist ein drückendes, wenn nicht gar erdrückendes, globales Problem für Menschen und Tiere. Es erschüttert die Grundfesten der nationalen und internationalen Gesundheitssysteme.

Von Stig Tanzmann am

Über die Komplexität der Antibiotikaresistenz-Problematik in der globalen Tierhaltung

Den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung grundsätzlicher hinterfragen

Antibiotikaresistenz ist ein drückendes, wenn nicht gar erdrückendes, globales Problem für Menschen und Tiere. Es erschüttert die Grundfesten der nationalen und internationalen Gesundheitssysteme. In Zukunft drohen wieder einfache Infektionskrankheiten aufgrund von Antibiotika-resistenten Keimen tödlich zu enden. Dies würde die menschliche Entwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen.

Folgerichtig wird die Problematik seit der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) von September 2016 auf höchstem internationalem Niveau behandelt.[1] Die Vollversammlung hat klargestellt, dass es sich um ein Problem für Menschen und Tiere handelt und dass es ein besonderes Problem mit dem unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung gibt.

Bis September 2018 soll eine ExpertInnengruppe, zusammengesetzt aus den verschiedenen Unterorganisationen der UN, wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) und der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) einen Bericht über den Fortschritt im Kampf gegen antimikrobielle Resistenz vorlegen. Tierhaltung wird auch hier im Fokus stehen. Gleichzeitig ist klar, die Nutzung von Antibiotika in der Tierhaltung steht nicht grundsätzlich in Frage, sondern die Art und Weise des Einsatzes.

Für die Frage nach der Art und Weise des Einsatzes ist es vielleicht noch einmal wichtig, einen Schritt in der Debatte zurückzugehen und Antibiotika wieder als das zu sehen, was es hier Jahrzehnte lang war und weltweit teilweise leider noch ist: Kein Medikament zur Heilung von Krankheiten bei Tieren, sondern ein technologischer Input zur Produktionssteigerung, mit dem schlechte Haltungsbedingungen ausgeglichen werden.

Nicht weiter allein auf technische Lösungen setzen

In Europa ist dieser Einsatz von Antibiotika zur Leistungssteigerung bei Tieren seit 2006 verboten. Doch schlechte Haltungsbedingungen können und müssen weiter mit Antibiotika ausgeglichen werden. Weltweit wird dieses Verbot des Antibiotikaeinsatzes zur Wachstumssteigerung in der Tierhaltung aber gerade erst mühsam durchgesetzt.

Der Einsatz von Antibiotika wurde also als kostengünstiges technisches Hilfsmittel begriffen, um die Produktion zu optimieren, damit mehr Fleisch produziert werden konnte. Diese Praxis wurde von einem Produktionssystem angewandt, in dem Bäuerinnen und Bauern meist nur noch ausführende Organe mit wenig eigener Entscheidungsmacht sind. Gleichzeitig hat dieses Produktionssystem nicht nach dem Vorsorgeprinzip gearbeitet, wonach Antibiotika nur sehr restriktiv in der Tierhaltung hätte eingesetzt werden dürfen und viele Antibiotika für den Humangebrauch hätten reserviert bleiben müssen.

Antibiotika wurden von diesem industriellen Tierhaltungssystem nicht als kostbares und vergängliches Medikament, sondern als billiger technischer Input gesehen, mit dem die Fleischproduktionskosten weiter gesenkt werden konnten. Wie verantwortungslos und kurzsichtig dieser Umgang mit Antibiotika war, zeigt sich heute klar an der Resistenzproblematik. Klar ist auch, mit Blick auf das Vorsorgeprinzip hätten Antibiotika niemals so in der Tierhaltung eingesetzt werden dürfen, wie sie teilweise noch heute eingesetzt werden.

Es darf nicht unterschätzt werden, wie tief dieser Ansatz, dass Antibiotika kein Medikament, sondern ein billiger Input ist, im System verankert ist. Bei vielen besteht immer noch die Hoffnung, dass dieses Instrument weiter genutzt werden kann, wenn auf technischer Ebene schnell genug neue Antibiotika gefunden werden.

Natürlich werden neue Antibiotika gebraucht. Aber ihre Wirkung ist begrenzt, wenn sie auch in Zukunft nicht als Medikamente begriffen werden und für ihren Einsatz nicht das Vorsorgeprinzip angewendet wird. Wichtig ist daher, die bestehenden Tierhaltungs- und Tierzuchtsysteme sehr kritisch zu hinterfragen.

‚One Health‘ ist die Antwort

Eine wichtige Antwort auf die Antibiotika-Resistenz-Krise ist der One Health-Ansatz (dt.: eine Gesundheit). Er sieht menschliche und tierische Gesundheit als untrennbar miteinander verbunden an – gerade weil tierische Krankheiten auf den Menschen überspringen und umgekehrt. Auch bei der Antibiotika-Resistenz-Problematik ist dies der Fall. So haben einige resistente Keime ihren Ursprung bei der Nutzung von Antibiotika beim Menschen und andere resultieren aus dem Einsatz in der Tierhaltung. Wichtig ist, sie sind problematisch für beide, also für Menschen und Tiere.

Eine beunruhigende Studie aus Indien aus dem Jahr 2017 zeigt, wie stark Keime, die auch gegen die letzten Reserveantibiotika resistent sind und aus Geflügelställen stammen, über die Ausbringung von Hühnerkot in den Boden auch abseits der Ställe gelangen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich auch auf diese Weise die Resistenzproblematik immer weiter ausbreitet.[2] Auch im Wasser finden sich über den Einsatz von Antibiotika in Aquakulturen immer wieder antibiotikaresistente Keime.[3] Höchstproblematisch sind in diesem Zusammenhang auch die Produktionsbedingungen in den Fabriken, die Antibiotika herstellen. Die Produktion ist aus Kostengründen stark nach Indien ausgelagert worden. Eine Klärung und Reinigung der Abwässer erfolgt dort meist nicht und Antibiotika und auch antibiotika-resistente Keime gelangen in den Wasserkreislauf. Leidtragende sind häufig arme SlumbewohnerInnen, die in der Nähe der Gewässer leben und sich mit den Keimen infizieren.

Zusätzlich gibt es neue Studien, die den Einsatz von Herbiziden in der Pflanzenproduktion, wie Glyphosat, Dicamba und 2.4 D, in Verbindung mit der Entstehung von Antibiotikaresistenzen bringen. Hier ist dringend mehr Forschung nötig.[4] Die Beispiele zu Böden, Wasser und Pflanzenproduktion zeigen zudem, dass die Thematik Antibiotikaresistenz noch besser gefasst werden sollte. Zu prüfen wäre, ob der Begriff ‚One Health‘ nicht um Böden, Wasser und Pflanzen erweitert werden sollte. Auch hier scheint es enge Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu geben.

Finanzierung von neuer Forschung, Züchtung und alternativer Produktionssysteme

Betrachtet man den globalen Tierzüchtungssektor, aber auch den Tiergesundheitssektor, sieht man sehr schnell, dass es in diesen Bereichen enorme Marktkonzentrationen gibt. In der Geflügelzucht dominieren 2 bis 3 Konzerne den globalen Markt. Diese haben auch eigene Tiermedizinsparten oder kooperieren eng mit Tiermedizinkonzernen. Es bestehen grundsätzlich noch besorgniserregendere Oligopol-Strukturen als im Saatgut und Pestizidbereich. Dies vor allem auch, weil sich die Staaten stark aus diesem für die Welternährung so wichtigen Feld zurückgezogen haben. 

Es ist naheliegend, dass die bestehenden Antibiotikaresistenzprobleme ein Teil dieser ungesunden Markt- und Machtkonzentration sind. Daher stellt sich die Frage, wie wieder mehr gesellschaftliche Kontrolle in diesem Bereich ausgeübt werden kann und wie die notwenige Forschung auch im Sinne des erweiterten One Health-Ansatzes finanziert werden kann. Gleiches gilt auch für neue Züchtungsansätze, insbesondere für die Staaten des Globalen Südens, denn diese sind leider fast völlig auf den Import industrieller und damit häufig nicht angepasster industrieller Tiergenetik angewiesen.[6]

Lösungsansätze könnten eine weltweite Reform der nationalen Kartellrechte sein, die die bestehenden Oligopole aufbricht und zum gesellschaftlichen Nutzen entflechtet. Dies könnte auch von einem UN-Prozess zu Wettbewerbsrecht begleitet werden. Zusätzlich könnte der globale industrielle Handel mit Nutztieren und ihrer Genetik besteuert werden, um finanzielle Ressourcen für neue öffentliche Zuchtprogramme, die von der FAO koordiniert werden könnten, zu generieren. 

Reduktion des Fleischkonsums – ein schneller und unerlässlicher Schritt

Kern der Debatte muss bei allen anderen essentiellen Anstrengungen bleiben, dass eine schnelle und deutliche Reduktion des Fleischkonsums, vor allem in den Ländern des Globalen Nordens und einigen Schwellenländern mit hohem Fleischkonsum, unerlässlich ist. Nur so wird man dem Antibiotikaresistenz-Problem erfolgreich begegnen zu können.[7]

Gleichzeitig darf die Debatte nicht weiter auf dem Rücken der TierhalterInnen geführt werden. Diese sind so stark in den Oligopolen Fleischproduktions- und Tierzuchtstrukturen gefangen, dass sie in vielen Fällen nur noch bedingt selbst grundlegende Entscheidungen treffen können.

Agrarökologie als Lösungsansatz?

Um die Antibiotikaresistenz-Problematik in der Tierhaltung in den Griff zu bekommen, ist eine grundlegende Debatte über das landwirtschaftliche Produktionssystem unerlässlich. Hier stimmt es hoffnungsvoll, dass die FAO mit einem zweiten internationalen Symposium zu Agrarökologie im April 2018 verstärkt neue Wege aufzeigen möchte. Kernelemente von Agrarökologie sind der Anspruch, Inputs (also auch Antibiotika) stark zu reduzieren, die Wege der Produkte kurz und die Betriebskreisläufe möglichst geschlossen zu halten und bäuerliches Wissen sowie traditionelles Wissen stärker anzuerkennen und zu nutzen. Kurz, das Konzept der Agrarökologie bietet viele spannende Gegenansätze zum bestehenden industriellen Konzept der Tierhaltung, das die Welt in die Antibiotika-Krise geführt hat.

 

[1] www.un.org/pga/71/wp-content/uploads/sites/40/2016/09/DGACM_GAEAD_ESCAB-AMR-Draft-Political-Declaration-1616108E.pdf

[2] cseindia.org/userfiles/report-antibiotic-resistance-poultry-environment.pdf

[3] cseindia.org/userfiles/antibiotic-waste-management-aquaculture.pdf

[4]http://www.microbiologyresearch.org/docserver/fulltext/micro/mic.000573.zip/mic000573.pdf?expires=1511790093&id=id&accname=guest&checksum=4B7B6FE63C88781C796A3B294D010570

[6] www.wur.nl/en/show/Exploring-the-need-for-specific-measures-for-access-and-benefitsharing-of-animal-genetic-resources-for-food-and-agriculture.htm

[7] science.sciencemag.org/content/sci/357/6358/1350.full.pdf

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