Eine Kuh als Friedensstifter: Wie ein ehemaliger Schwenninger Pfarrer in Afrika hilft
Der ehemalige Schwenninger Pfarrer Dieter Brandes reist seit 18 Jahren in Krisenländer. Jüngst war er im Ostkongo, um mit einer speziellen Methode Trauma-Opfern zu helfen.
Dieter Brandes geht gerne wandern und mag es, mit Mitgliedern der Kirchengemeinde zu singen. Diese Hobbys sind für einen 72-Jährigen nicht ungewöhnlich. Spektakulärer wird es, wenn der evangelische Pfarrer im Ruhestand von seinen anderen Tätigkeiten erzählt. Der Schwenninger reist regelmäßig in Krisengebiete Europas und auch Afrikas, um dort die Seelsorge von traumatisierten Menschen anzuleiten.
Bis 1992 war Dieter Brandes als Pfarrer in der Schwenninger Stadtkirche tätig. Nach einem Jahr in der Diakonie arbeitete er anschließend zehn Jahre in der internationalen Ökumene. Seit 2000 ist Brandes für den Weltrat der Kirche im Ausland tätig. Der verheiratete Vater von zwei Kindern und Großvater von drei Enkeln ist Experte für eine Methode, mit der versucht wird, traumatisierten Menschen zu helfen. "Healing of Memories", also das Heilen von Erinnerungen, ist das Fachgebiet von Dieter Brandes.
"Es geht darum, sichere Räume für die betroffenen Menschen zu schaffen, in denen sie ihre Geschichte erzählen können", erklärt Brandes. Vergewaltigte Frauen, ehemalige Kindersoldaten oder einfach Menschen, die schlimme Dinge wie beispielsweise Morde vor mit eigenen Augen gesehen haben, würden ihre Erlebnisse oft in sich tragen. "Durch bestimmte Dinge können diese Erlebnisse dann wieder aufbrechen", sagt der 72-Jährige und führt weiter aus: "Ein Waisenkind sieht jemanden auf der Straße, der ähnlich aussieht wie der Mörder der Mutter, um ein Extrembeispiel zu nennen."
Bei Fällen wie diesen wenden Brandes und seine Helfer die von Desmond Tutu, einem südafrikanischen Menschenrechtler, entwickelte Methode an, bei der es vor allem darum geht, "zuzuhören ohne zu bewerten", sagt Brandes, der mit seiner Ehefrau Barbara ein Haus in Schwenningen besitzt. "Das Trauma ist in den Menschen. Deshalb ist unser Ziel, dass die Betroffenen selbst Lösungen finden, wir leiten Sie nur mit Rückfragen." Brandes hat selbst einen neuen Aspekt in die Anwendung von Tutu mit eingebracht. "Bei einem Aufenthalt im Balkan 2004 haben wir die Methode weiterentwickelt", erzählt Brandes. "Wir haben gemerkt, dass es nicht nur um den einzelnen Menschen geht, sondern Vorurteile zwischen Kulturen und Religionen miteinbezogen werden müssen."
Nach dem Völkermord in Ruanda wurden einstmals verfeindete Familien im Zuge der "Heilen-der-Erinnerung-Methode" beispielsweise damit beauftragt, gemeinsam eine Kuh aufzuziehen oder einen Acker zu bestellen. "Es ist wichtig, gemeinsame Ziele zu entwickeln. In der praktischen Arbeit können Grenzen außerdem leichter überwunden werden", erklärt Brandes, der auch Vorträge zu diesem Thema hält und Bücher publiziert.
Der pensionierte Geistliche reiste 2010 nach Kenia, heute ist er in Ruanda, dem Osten der Demokratischen Republik Kongo und Burundi, dem afrikanischen Partnerland von Baden-Württemberg, tätig. Eines der Projekte, an denen Brandes mitgearbeitet hat ist die von Brot für die Welt aufgebaute Ausbildungsstätte Capa. Dort in Bukavu, im Osten der Demokratischen Republik Kongos, werden aktuell 700 benachteiligte Jugendliche ausgebildet, unter anderem als Gitarrenbauer. Unter dem Motto "Gitarren statt Gewehre" wird vor allem bei ehemaligen Kindersoldaten der pädagogische Aspekt von Musik zur Verarbeitung von Aggressionen und Depressionen genutzt.
Wenn Brandes von seinen Abenteuern erzählt, geht er sehr strukturiert vor. Er hat eine Karte vorbereitet und zeigt präzise, wo er genau im Einsatz war. Auch einen Zeitplan von seiner letzten Reise im Januar hat der Vorsitzende des "Christlichen Vereins junger Menschen" in Schwenningen ausgedruckt. Bei seinem vierwöchigen Aufenthalt in Bukavu und Goma (Ostkongo), hat er unter anderem Betreuern in der Ausbildungsstätte Capa zum Umgang mit Trauma-Opfern gegeben. Finanziert wurde die Reise von Lions Club Schwenningen und der Einrichtung selbst. Obwohl er seit 2011, zumindest formell, im Ruhestand ist, kann er nicht aufhören, Hilfe für Benachteiligte zu leisten. "Wer einmal in Afrika an einem Problemfeld gearbeitet hat, ist zum einen betroffen, zum anderen fasziniert." So lange seine Gesundheit es zulässt, will Dieter Brandes weiterarbeiten.