Eigentlich hätte ich den Blogbeitrag vom letzten Jahr zum gleichen Thema nochmals wiederholen können mit nur wenig veränderten Zahlen. An den Hauptursachen und an der Situation der Hungernden hat sich nichts wesentliches verändert. Kriege, Konflikte und der Klimawandel treiben die Zahl der Hungernden weltweit weiter nach oben. Hier die wichtigsten Fakten: 2017 sind insgesamt rund 821 Millionen Menschen chronisch unterernährt gewesen, heißt es im Welternährungsbericht, der kürzlich in Rom vorgestellt wurde. Damit hungert eine von neun Personen. Vor allem Menschen in Südasien und Afrika sind von Unterernährung betroffen: In afrikanischen Ländern unterhalb der Sahara war es demnach sogar fast ein Viertel der Bevölkerung. 2015 schätzten die UN die Zahl der Hungernden auf 777 Millionen, für ein Jahr später laut aktuellem Stand auf 804 Millionen. Der Anteil der Kinder unter fünf Jahren, deren Entwicklung wegen Unterernährung beeinträchtigt ist, lag 2017 mit gut 22 Prozent oder etwa 150 Millionen leicht unter den Vorjahreswerten, wie es in dem Bericht des Welternährungsprogramms (WFP), der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des Kinderhilfswerks Unicef und des Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) weiter heißt.
Was für Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen nackten Zahlen:
Die internationale Staatengemeinschaft schafft keine Wende im Kampf gegen den Hunger. Jahr für Jahr wird es immer schwieriger für sie werden, ihr gemeinsam gestecktes Ziel zu erreichen: dass bis zum Jahr 2030 niemand mehr hungert. Auch bei einigen anderen nachhaltigen Entwicklungszielen sieht es ähnlich aus. Man entfernt sich von den Zielen statt sich ihnen zu nähern. Eklatant vor allem auch beim Klimawandel, der wiederum einer der Treiber für steigende Hungerzahlen ist. Die Probleme hängen zusammen und dies erfordert das Arbeiten an vielen verschiedenen Stellschrauben.
Ohne Frieden ist alles nichts. Es fällt auf, dass die Mehrzahl der hungernden Menschen in Ländern leben, wo Kriege und Konflikte sind. Im letzten Jahrzehnt hat die Zahl der Konflikte zugenommen. Wenn dann noch staatliche Strukturen versagen und die Folgen des Klimawandels wie in 2017 besonders spürbar werden, verschärft dies die Not. Umgekehrt gilt aber auch, dass mangelnde Ernährungssicherheit Konflikte anheizt, wenn starke Ungleichheit und schwache Staatlichkeit vorherrschen.
Hunger ist immer noch ein ländliches Problem und verschärft den Urbanisierungsdruck. 80 Prozent der Hungernen leben auf dem Land und überwiegend von der Landwirtschaft. Das heißt, die Gestaltung der Agrar- und Ernährungssysteme und auch der Stadt-Land-Beziehungen in diesen Ländern spielen eine entscheidende Rolle. Hunger ist eine wichtige Flucht- und Migrationsursache. Selbst wenn Konflikte oder Kriege beendet werden, hört damit der Hunger, Flucht und Migration nicht automatisch auf.
Strukturveränderungen sind enorm schwer. Obwohl vor zehn Jahren die Zahl der Menschen, die hungern, mit einer Milliarde ihren höchsten Stand seit den 80er Jahren des letzten Jahrhundert erreichte und diese Krise in aller Munde war, wurden die mehrdimensionalen und strukturellen Ursachen des Hungers in den letzten zehn Jahren nicht beseitigt. Besseres Saatgut, weniger Landraub, mehr Umweltschutz, effiziente Infrastruktur und Märkte mit stabilen Preisen sind Grundvoraussetzungen, um den Hunger wirksam zu bekämpfen. Dieses Nichtstun hat tiefgreifende existenzielle Auswirkungen auf die Menschen, auf ihre Gesundheit und auch auf das soziale Gefüge in den Gemeinden. Um den Anstieg der Lebensmittelpreise zu kompensieren, haben viele Menschen, insbesondere Frauen, keine andere Wahl, zusätzliche Arbeit, oft unter ausbeuterischen und unsicheren Bedingungen anzunehmen. Durch hohe Lebensmittelpreise werden gute Lebensmittel durch qualitativ schlechtere ersetzt. Fast zeitgleich zu dem Welternährungsbericht stellte die Welternährungsorganisation FAO fest: im Jahre 2017 mussten die ärmsten Länder nun 28 Prozent ihrer Exporteinnahmen für Nahrungsmittelimporte ausgeben, doppelt so viel wie 2005 und dies Geld fehlt an allen anderen Ecken und Enden.
Das Recht auf Nahrung wird millionenfach verletzt. Die vorherrschenden wirtschaftlichen und politischen Systeme und die Eliten, die davon profitieren, stellen immer noch ihre Interessen und ihren Gewinn über das Recht auf Nahrung und den Erhalt der Umwelt. Traditionelle und indigene Gemeinschaften werden von ihrem Land vertrieben; Handelsabkommen beschlossen und umgesetzt, die zu wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Armen nehmen; die Natur durch den Rohstoffabbau zerstört. Agrarkonzernen gelingt es immer mehr, Essen und Nahrung auf eine rein handelbare Ware zu reduzieren. Im ländlichen Raum manifestiert sich das Versagen der globalen Ernährungssysteme vor allem durch die Übernutzung von Land, Wasser oder der Biodiversität. Dies treibt die kleinbäuerlichen Familien in die Enge. In den Städten sind die starke Zunahme von ernährungsbedingten Krankheiten, Mangelernährung und Fettleibigkeit Indikatoren dieser Fehlentwicklung.
Alternativen bestehen, werden aber zu wenig gefördert. Eine systematische und nachhaltige Umstellung der Agrarproduktion, der Verteilung der Nahrungsmittel und des Konsumniveaus steht an, um die Zahl der Hungernden zu reduzieren und das Recht auf Nahrung zu verwirklichen. Ein Beispiel für diese Alternativen ist die Agrarökologie. Sie ist in der Praxis erprobt, aber leider noch nicht im größeren Maßstab umgesetzt, zum Teil wird dies auch von den Agrarkonzernen verhindert. Es würde ihr Geschäftsmodell zu stark in Frage stellen. Agrarökologie basiert auf der Vielfalt. Im Mittelpunkt steht dabei ein ganzheitlicher Ansatz, der die Erfordernisse der landwirtschaftlichen Familienbetriebe, der Gemeinden und der Ökosysteme berücksichtigt, um lokale Bedürfnisse zu befriedigen. Agrarökologie fördert biologische Prozesse, damit weniger oder keine Mineraldünger, Pestizide oder fossile Brennstoffe benötigt werden. Ziele sind dabei die Stärkung lokale Strukturen, höhere Erträge, mehr Ertragsstabilität und weniger Abhängigkeit, um die Gefahr der Verschuldung einzudämmen.
Hungerbekämpfung als Teil einer stimmigen Politik. Die Bundesregierung macht schon einiges im Kampf gegen den Hunger. Sei es das BMZ mit der Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger oder das Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung BMEL in seinem Engagement bei der Welternährungsorganisation FAO. Aber es könnte mehr und besser abgestimmt sein mit den anderen Politikbereichen der Bundesregierung. Die haben politisch mehr Gewicht und konterkarieren leider zu oft die Bemühungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb sollte die Bundesregierung ihre Politik ressortübergreifend so gestalten, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht durch die Entscheidungen anderer Ressorts – Stichwort Waffenhandel und unfaire Handelsbeziehungen – zunichte gemacht wird. Sie sollte Waffenexportverbote viel strikter kontrollieren, so dass Waffen – besonders Kleinwaffen – nicht Konflikte anheizen und verlängern. Sie sollte Entwicklungsgelder nicht zur Abwehr von Flüchtlingen einsetzen und jede Umwidmung von Entwicklungsgelder für sicherheitspolitische Zwecke entschieden ablehnen. Sie sollte die Länder und Regionen, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen, bei dieser Aufgabe unterstützen. Sie sollte deutlich mehr für die Umsetzung der in Paris vereinbarten Klimaziele tun und die armen Länder bei der Bewältigung der Klimaschäden unterstützen. Sie sollte sich viel stärker als bisher für die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) einzusetzen und diese Ziele zur Richtschnur ihrer Politik zu machen. Dies würde im Kampf gegen den Hunger mitentscheidend helfen und weitere Rückschritte vermeiden.