„Neue Technologien beschleunigen unser Leben, machen es transparenter und effizienter. Mehr Menschen können mehr Wissen teilen. Wertschöpfungsketten werden neu gestaltet und Unternehmergeist in Garagen geweckt.“ (Bundesentwicklungsminister Gerd Müller).
Nicht nur der Minister für Entwicklung und Humanitäre Hilfe, auch zahlreiche nationale und internationale Wissenschaftler, Politiker sowie zivilgesellschaftliche Organisationen sehen in der Digitalisierung enormes Potential für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Der digitale Wandel bietet ihnen die Möglichkeit zur Bewältigung ihrer dringenden gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen.
Dass die Digitalisierung zahlreichen Menschen und Initiativen vielfältige Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten und zur Verbesserung ihrer Lebenslagen bietet, ist unbestreitbar. Wie hoch hingegen die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieser technologische Wandel auch die makroökonomischen Rahmenbedingungen für die Länder des globalen Südens langfristig verbessert, ist hingegen eine andere Frage. In der Entwicklungszusammenarbeit nahmen sie bislang eine untergeordnete Rolle ein. Beginnend mit diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, welche gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen sowie Risiken die Digitalisierung in sich birgt. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen die Bereiche Handel-, Umwelt- und Ressourcenpolitik sowie die Frage, vor welchen besonderen Herausforderungen die Entwicklungs- und Schwellenländer hinsichtlich der Automatisierung stehen. In einem späteren Beitrag werde ich erste Ansätze für eine faire politische Gestaltung der Digitalisierung zugunsten benachteiligter Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden aufzeigen.
Digitale Dividende – bislang ein leeres Versprechen!
Nachdem lange Zeit vornehmlich über erfolgreiche Initiativen aus dem Globalen Süden berichtet wurde, wie beispielsweise die in Ruanda eingesetzten Cargo-Drohnen zur Lieferung dringend notwendiger Medikamente oder das Handy-Bezahlsystem M-Pesa in Kenia, ist inzwischen die Frage nach der Digitalen Dividende stärker in den Mittepunkt entwicklungspolitischer Debatten gerückt. Dabei ist die Frage nach der Digitalen Dividende alles andere als neu. Die Weltbank hat sich bereits in ihrem Jahresbericht 2016 mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Chancen des Globalen Südens auf gesellschaftliche und ökonomische Teilhabe sich dank des digitalen Wandels vergrößern oder nicht.
Die Antwort war ernüchternd. Trotz aller Erfolge kam die Weltbank in ihrem Bericht zu dem Schluss, die positiven Auswirkungen seien insgesamt geringer als erwartet. „Digitale Technologien verändern zwar die Arbeitswelt. Auf den Arbeitsmärkten gibt es jedoch eine stärkere Polarisierung und in vielen Ländern nimmt die Ungleichheit zu“. Als Hauptursache werden, neben der digitalen Kluft, fehlende ordnungspolitische Maßnahmen genannt. Die Vorteile kämen bisher nur den (wenigen) gut ausgebildeten und vernetzten Bevölkerungsgruppen zugute. Außerdem stärkten sie die bereits etablierten Eliten.
Im Folgenden wollen wir uns, am Beispiel der Digitalisierung von Wertschöpfungsketten, mit den Ursachen dieser Fehlentwicklung auseinandersetzen. Wie der BMZ-Minister betonte, geht die Digitalisierung insbesondere mit dem Versprechen einher, globale Lieferketten effizienter, produktiver und transparenter zu gestalten; verbunden mit der Hoffnung, die Wertschöpfung erhöhe sich für Menschen, die am Anfang der Lieferkette stehen.
Digitale Wertschöpfungskette – Beispiel: ostafrikanische Teeproduzenten
Der gegenwärtige Tee-Markt ist gekennzeichnet von drei Entwicklungen: (1) Einer gestiegenen Nachfrage nach differenzierten Tee-Produkten (wie beispielsweise Fair-Trade-Tee), (2) einer zunehmenden Privatisierung des Tee-Sektors, die von multinationalen Tee-Unternehmen als Chance begriffen wird verstärkt Tochterunternehmen (unter anderem in Kenia und Ruanda) zu gründen sowie (3) einer Digitalisierung der Lieferkette.
Zahlreiche ostafrikanische Teeproduzenten sehen dies als Chance sich in den internationalen Markt zu integrieren. Erste Untersuchungen zu den Folgen für den ostafrikanischen Teesektor bestätigen ihre Hoffnungen. Durch die Anbindung ans Internet hat sich ihre Kommunikation mit anderen Akteuren aus der Lieferkette stark verbessert. Auch können sie ihre Arbeit effizienter gestalten. Und da immer mehr Daten zur Verfügung stehen, ist die Lieferkette transparenter geworden. Dies wiederum ermöglicht ein verbessertes Management sowie die verstärkte Kontrolle der gesamten Kette - einschließlich der Prüfung, ob Standards eingehalten werden. Wurden früher Anbau, Ernte, Verpackung und Verschickung regional koordiniert (zum Beispiel durch Tea Boards), so können diese Prozesse heutzutage unproblematisch über digitale Plattformen und Informationssysteme organisiert werden. Regionale Koordination ist nicht mehr erforderlich.
Mit anderen Worten: Das mit der Digitalisierung einhergehende Versprechen von mehr Effizienz, Transparenz und Produktivität innerhalb der Lieferkette hat sich, im Falle des ostafrikanischen Teemarktes, tatsächlich verwirklicht. Bleibt die Frage, ob die ostafrikanischen Teepflücker dadurch ihren Anteil an der Wertschöpfung erhöhen konnten?
Aus Untersuchungen geht hervor, dass die Digitalisierung, neben den eben genannten Folgen, noch weitere Auswirkungen auf die Lieferkette und ihre Akteure hatte: Zum einen werden die verschiedenen Arbeitsprozesse in noch kleinere Einheiten aufgeteilt als in analogen Lieferketten - und ihre Produkte stärker als bisher standardisiert. Zum anderen wird die Möglichkeit der Konsumenten, sowohl die Herkunft des Tees als auch die Anbaubedingungen (wie der Einsatz von Chemikalien oder faire Arbeitsbedingungen) besser zurückverfolgen zu können, zum Schlüsselfaktor für die Wertsteigerung. Große Konzerne investieren daher verstärkt in die Erhebung und Analyse von immer mehr Daten in den verschiedenen Anbauregionen - und zwar weltweit.
Diese wiederum führt dazu, dass sich die Anzahl ihrer potentiellen Lieferanten, die über gleichwertigen Tee verfügen, erhöht, und die global agierenden Unternehmen sich – auch kurzfristig - entscheiden können, bei wem sie den Tee kaufen. Die Teeproduzenten und -lieferanten treten somit verstärkt miteinander in Konkurrenz. Zunehmende Konkurrenz zwischen den Produzenten in Ostafrika und der Ausbau der Machposition der internationalen Händler führt, so das Ergebnis der Untersuchung, letztlich dazu, dass trotz fortschreitender digitaler Integration die Gewinne der lokalen Firmen nicht zu-, sondern abnehmen.
Das Zwischenfazit lautet: Die derzeitige Form der digitalen Integration stellt den Status Quo nicht in Frage – und erlaubt damit keine substantielle Transformation der ökonomischen Verhältnisse zwischen Nord und Süd.
Der folgende Beitrag ‚Digitaler Handel polarisiert‘ setzt sich mit dem Versprechen auseinander, der digitale Wandel würde den Wohlstand in den Entwicklungsländern steigern, da ganz neue, digitale Märkte mit hohen Wachstumsraten entstehen.