„Gelb ist meine Farbe für Brasilien“ steht auf dem T-Shirt, mit dem sich der frisch gewählte Präsident Jair Bolsonaro präsentiert. Auch der meist gewählte schwarze Abgeordnete seiner Partei, der bei Bolsonaros erstem Live Auftritt hinter ihm steht, trägt dieses Shirt. Gelb und grün, die Farben der brasilianischen Flagge, haben sich Bolsonaro und seine Anhänger zu Eigen gemacht. Gelb steht für die Erneuerung und es soll für eine ideologiefreie Politik stehen.
Bolsonaro wirft alles ab, was die Leute nicht mehr ertragen : Parteiprogramme, politische Aushandlungen, Arroganz der erfahrenen Politiker – er wird die Ärmel hochkrempeln und alles anders machen, lautet sein Versprechen. Sein Kabinett wird aus reinen Fachleuten bestehen. Dafür haben ihn die Leute gewählt. Insbesondere in Rio ist die Erwartung, dass er aufräumt, egal wie. Für Rio de Janeiro wurde gleich noch ein ebenso unbekannter Richter zum Gouverneur gewählt: Wilson Witzel, der sich im Wahlkampf als „Soldat Bolsonaros“ empfohlen hat.
Athayde Motta, Leiter der Partnerorganisation von Brot für die Welt IBASE, kommentiert die unfassbare Ruhe nach dem politischen Erdbeben in Brasilien am Sonntag: „Unter den Geschäftsleuten hier in der Innenstadt herrscht absolute Apathie. Niemand ist enthusiastisch über die Wahl Bolsonaros. Alle wollen nur ihre Ruhe haben. Während wir Vertreter von Nichtregierungsorganisationen uns fragen, wie wir mit dieser neuen Bedrohung umgehen sollen. Staatliche Repression gegen Oppositionelle ist schlimm, hat aber eine gewisse Berechenbarkeit. Jetzt, wo jeder Zivilist zukünftig Waffen tragen dürfen soll, wie sollen wir mit dieser neuen Dimension umgehen?“
Wie konnte es soweit kommen, dass jahrzehntelange Arbeit zur Sichtbarmachung der extremen sozialen Ungleichheit und Schaffung von Bewusstsein für Unrecht so brutal in Hass umschlägt auf alle und jede, die Teilhabe für Benachteiligte fordern? Wie konnte Propaganda so greifen, dass sie zur Akzeptanz eines Politikers führt, der seit fast 30 Jahren Hinterbänkler ist, auf seinen Wahlsieg zuerst mit einem Gebet antwortet und die Neubesetzung von Generälen in die Ministerien als ideologiefrei verkaufen kann?
Es wäre zum Verzweifeln, wäre da nicht auch das andere Brasilien. Das Brasilien derjenigen, die in den letzten 30 Jahren Demokratie aufgebaut haben, beziehungsweise die in diese hineingeboren wurden und nicht bereit sind, in die finstere Zeit der 60er Jahre zurück zu fallen. Jenseits der Berichte der großen Medien über den Hype um den Rechtsaußen, gibt es auch noch ganz andere Szenarien. Eine breite Allianz derjenigen, die ihn in jedem Fall verhindern wollten und in den letzten Wochen vor dem entscheidenden zweiten Wahlgang auf die Straße gingen. Hinter „Ele n@o - Er nicht“ haben sich sowohl die traditionellen sozialen Bewegungen der StudentInnen, der Wohnungs- bzw. Landlosen, der BäuerInnen, der Schwarzengemeinschaften und insbesondere der städtischen Frauenbewegungen, aber auch Gegner der Arbeiterpartei PT, kritische Evangelikale und sogar kritische Militärs gestellt. Sie alle warnten vor dem riskanten Unterfangen aus lauter Hass auf die PT, geradezu blind dem rechten Außenseiter freie Hand zu geben.
Um von diesen Aktivitäten zu erfahren, muss man wohl entweder dabei gewesen sein, oder zu entsprechenden Whats App-Gruppen gehören. Die großen Fernsehanstalten übertrugen den von mindestens 50.000 Menschen bejubelten Besuch Haddads in Recife, Salvador oder die Großdemonstration in Sao Paulo letzte Woche zumindest nicht. Aber wichtiger noch als dieses „Masse zeigen“ in der Öffentlichkeit, war der persönliche Wahlkampfeinsatz Einzelner. So trafen sich in der letzten Woche zu jeder Tageszeit unzählige Grüppchen von Freunden und Bekannten, um an zentralen Orten der Städte Passanten aufzuklären und selbst gemachte Flugblättchen zu verteilen. Andere wiederum konzentrierten sich auf ihre Nachbarschaft, KollegInnen oder Familie. “Viravotos“ war hier das Stichwort. Möglichst viele Leute umstimmen durch persönliche Ansprache. Und dieses Vorgehen mag belächelt und wie ein Akt der Verzweiflung anmuten, aber es hat offensichtlich Wirkung gezeigt, nur war der Zeitraum von drei Wochen bis zur Stichwahl zu kurz. Aber zumindest in den Städten hatte sich die Stimmung zugunsten von Haddad verändert. Er hat 2.810 Städte für sich gewinnen können, während nur 2.760 für Bolsonaro stimmten.
Für viele ist nach der Wahl, vor der Wahl. Hoffnungslose OptimistInnen? Im Gegenteil! Zwar stirbt die Hoffnung zuletzt, aber neben der Hoffnung regierte bei vielen dieser AktivistInnen seit dem ersten Wahlgang vor allem blanke Angst und Panik. Angst vor einer bleiernen Zeit, enormen sozialen Rückschritten, vor staatlicher Repression und vor allem vor Attacken durch Bolsonaro-Anhänger. Gerade für Frauen, Schwule und Lesben, Anhänger afro-brasilianischer Religionen und überhaupt politisch Andersdenkende ist diese Angst absolut berechtigt. Es brauchte dafür nicht mal den Sieg Bolsonaros an den Urnen, schon im Wahlkampf sahen sich Schlägertrupps legitimiert und Einzelpersonen ermutigt, Menschen zu bedrohen, deren Haltung (schwul, links, feministisch) ihnen noch nie gepasst hat. Sie tun es ihrem Vorbild gleich, der Frauen mit Vergewaltigung droht und alle „Roten“ auffordert das Land zu verlassen, wenn sie nicht ins Gefängnis wollen.
Spätestens bei solcher Hetzte fragt man sich, wo der Rechtsstaat agiert und warum die Justiz diese nicht rechtlich verfolgt? Das Durchgreifen aufgrund rechtlicher Anordnung ist jedoch aktuell anderer Natur: StudentInnen wurden an mindestens einem Dutzend Unis kriminalisiert, ihre Banner mit Parolen für Demokratie und gegen Faschismus beschlagnahmt, obwohl diese keinen direkten Bezug zu den Parteien nahmen. Die befürchteten Ausschreitungen bei der Wahl blieben aus, doch die aggressiven Bedrohungen gegen all jene, die ein rotes T-Shirt trugen, Intellektuell sind oder PT-nah stehen sind vorerst nicht abzusehen. Zur Entwarnung gibt es deshalb keinen Grund.