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EU-Topf für Nachbarschaft, Entwicklung & Globales

Die EU-Kommission schlägt vor, dass weniger Mitglieder mehr Geld für den Gemeinschaftshaushalt aufbringen. Ein neues "Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Kooperation" soll bewährte Budgets (für Menschenrechte, sowie Stabilität & Frieden) schlucken - und Migration eindämmen.

Von Dr. Martina Fischer am

Am 2. Mai stellten Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Haushaltskommissar Günther Oettinger ihre Vorschläge für den nächsten EU-Haushalt nach 2020 vor (Mitteilung der EU-Kommission). In den Verlautbarungen war viel vom "Brexit" und seinen Folgen die Rede. Schon im Vorfeld hatte Oettinger an die verbleibenden EU-Mitglieder appelliert, Haushaltssteigerungen mitzutragen. Der neue Haushalt soll nun 1,279 Billionen € für den Zeitraum 2021 bis 2027 umfassen (in inflationsbereinigter Kalkulation, nach heutigen Preisen sind es 1,135 Billionen), 186 Milliarden € (ca. 11 %) mehr als im "Mehrjährigen Finanzrahmen" 2014-2020 vereinbart worden waren. Mit dem mehrjährigen Finanzrahmen ("Multiannual Financial Framework", MFF) legen die EU-Mitglieder fest, wieviel Geld sie in einem bestimmten Zeitraum für Gemeinschaftsaufgaben bereitstellen wollen und welche Summen höchstens in die unterschiedlichen Politikbereiche fließen dürfen (vgl. Annex 2, pdf im Anhang zu diesem Blogbeitrag). Wegen der unterschiedlichen Berechnungsmethoden, aber auch, weil die EU-Kommission die Haushaltstitel neu gegliedert hat, ist ein direkter Vergleich der nun vorgeschlagenen Ausgabenposten mit der laufenden Finanzierungsperiode nahezu unmöglich.

Die Kalkulation der Kommission sieht mehr EU-Geld für die Verstärkung der Außengrenzen vor (allein die Zahl der Mitarbeitenden der Grenzschutzbehörde Frontex soll auf 6.000 Beamte erhöht und damit verfünffacht werden), sowie für Verteidigung, Forschung und Jugend. Fast alle anderen EU-Programme sollen Kürzungen erfahren, sogar die Ausgaben für den Agrarsektor und für strukturschwache Regionen (wenngleich diese beiden Posten unverändert mit 34,5% und 29,7% die größten Ausgabenbereiche bilden). Für Migration ("Asylum and Migration Fund") sieht der Entwurf der EU-Kommission 10.4 Mrd € vor und weitere 9.3 Mrd € sollen für einen "Integrated Border Management Fund" bereitgestellt werden. Ausgaben für "Sicherheit und Verteidigung" werden mit ca 18 Mrd € veranschlagt (darin schlägt der 2017 beschlossene "European Defence Fund" mit 13 Mrd € zu Buche). Ein neu zu schaffendes Instrument mit dem Titel "Neighbourhood, Development and International Cooperation" soll mit 89,5 Mrd € ausgestattet werden, weitere 11 Mrd € sind für Humanitäre Hilfe, 3 Mrd € für die "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" und 14,5 Mrd € für die Heranführungshilfe (in den EU-Beitrittsländern) eingeplant.

Neues Mega-Instrument für "Nachbarschaftshilfe, Entwicklung und internationale Kooperation"

Die Vorschläge für den Haushalt verknüpfen sich mit Plänen für eine umfassende Neuordnung der Finanzinstrumente. Zahlreiche Budgets, die zuvor Eigenständigkeit beanspruchten, sollen in Zukunft zusammengefasst werden. Das betrifft unter anderem auch die Finanzlinien für Entwicklung,  für Demokratie und Menschenrechte, sowie für Zivile Konfliktbearbeitung . In einem neuen Mega-Instrument für "Nachbarschaftshilfe, Entwicklung und internationale Kooperation" soll der European Development Fund (EDF) aufgehen, der bislang jenseits des Gemeinschaftshaushalts von den Mitgliedstaaten bereitgestellt wurde, und es sollen darin weitere Instrumente zusammengefasst werden, die im bisherigen mehrjährigen Finanzrahmen (2014-20) als eigenständige Fördertöpfe für internationale Aktivitäten geführt wurden. Dazu zählen unter anderem das Development Cooperation Instrument (DCI), die European Neighbourhood Initiative (ENI), das Instrument for Democraty and Human Rights (EIDHR), und das Instrument contributing to Stability and Peace (IcSP), das 2014 für die Unterstützung von Maßnahmen der Krisenprävention, zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung/Aussöhnung geschaffen wurde und mit dem zahlreiche und erfolgreiche Projekte zivilgesellschaftlicher Akteure in mehr als 70 Ländern gefördert wurden.

Die Auflösung des „Instruments für Stabilität und Frieden" (IcSP) wäre ein massiver Rückschritt für alle, die sich jahrelang beharrlich für die Stärkung von zivilen Ansätzen der Prävention und Friedensförderung auf EU-Ebene eingesetzt haben. Der Vorschlag ist schon von daher nicht nachvollziehbar, als eine 2017 fertiggestellte Evaluierung (Mid-term Review) dieses Instrument als sehr effizient und erfolgreich bewertet hat. Auch die Überführung des „European Instrument for Democracy and Human Rights“ (EIDHR) ist äußerst problematisch. Das EIDHR unterstützt in besonderer Weise lokale Initiativen, Zivilgesellschaft und Medien im gesellschaftlichen Dialog und kann wegen seines flexiblen Zuschnitts auch in prekären Kontexten wichtige Beiträge leisten, um Diskriminierung entgegenzuwirken und Menschenrechtsaktivisten zu schützen. Durch die Auflösung, bzw. den Verlust der Eigenständigkeit dieser Instrumente wird die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Projekten eingeschränkt. Schon jetzt ist es für NGOs, die an der gesellschaftlichen Basis arbeiten, extrem schwierig, Zugang zu EU-Förderungen zu bekommen. Die Zusammenfassung in einer größeren, umfassenderen Budgetlinie würde NGOs mit Sicherheit den Zugang erschweren, weil  die Mittelvergabe in noch größeren Tranchen erfolgen müsste und sich für die meist ad-hoc erforderliche Unterstützung in Notsituationen viel zu schwerfällig gestaltet. Angesichts der massiven Einschränkung von Handlungsspielräume, die zivilgesellschaftliche Organisationen in vielen Ländern erfahren, wäre es unverantwortlich, wenn die EU die Fördermöglichkeiten für diese Zielgruppen zusätzlich beschneidet. Daher wurden die Kommissionsvorschläge von Friedens-, Menschenrechts- und Entwicklungs-NGOs auf europäischer Ebene schon im Vorfeld massiv kritisiert.

Die Planungen für das neue Mega-Instrument bieten aber auch noch aus anderen Gründen Anlass zur Besorgnis, denn es werden Weichen gestellt für eine zunehmende Kanalisierung von entwicklungspolitischen Mitteln und zivilen Fördertöpfen für sicherheitspolitische Zielsetzungen.

Migrationsabwehr und "Ertüchtigung" von Partnerarmeen ...

Die Kommission hat in einer 100 Seiten langen Mitteilung vom 2.5.2018 erstmals genauere Hinweise für die zukünftige "Architektur" der Finanzierungsinstrumente geliefert. Auf den Seiten 79-83 wird das "Instrument für Nachbarschaftshilfe, Entwicklung und Internationale Kooperation" vorgestellt. Neben allgemeinen Aussagen über seinen Nutzen für die Herstellung von Frieden, Sicherheit, Entwicklung und Stabilität in der Welt jenseits der EU wird ausdrücklich hervorgehoben, dass "irreguläre Migration" und die "Bekämpfung ihrer Ursachen" zu den zentralen Aufgaben des Instruments gehören (S. 80). Weiter heißt es (auf S. 81): "Migration is a priority which will be identified and addressed across the instrument and in the different pillars, including by drawing on unallocated funds." 

Zudem wird im Text prominent hervorgehoben, dass über dieses Instrument in flexibler Weise ("rapid-response-pillar with worldwide scope") Programme für die Ausbildung und Ausrüstung von Sicherheitsapparaten in Partnerländern finanziert werden sollen (S. 82). Diese Ausgaben für "Capacity Building for Security and Development", die im deutschen Politikdiskurs gern mit "Ertüchtigung" bezeichnet werden, zielen auf die Ausstattung und das Training für Partnerarmeen vorwiegend im afrikanischen Raum, die wahlweise für den Antiterrorkampf, organisierte Kriminalität, Drogen- und Menschenhandel, Grenzmanagement und Migrationskontrolle "befähigt" werden sollen. Auch hier wird wieder auf die Möglichkeit hingewiesen, sogenannte "unallocated funds" (also nicht projektgebundene Reservemittel) schnell und flexibel zum Einsatz zu bringen: "to address migratory pressures ... but also to address unforeseen events, stability needs and new international initiatives and priorities." Weitere Ertüchtigungsprogramme sollen darüber hinaus auch jenseits des Gemeinschaftshaushalts ("off-budget") im Rahmen einer "European Peace Facility" finanziert werden (S. 99), to "widen the scope of the EU's support to peace-supporting military operations led by third countries and international organisations worldwide, and build the military capacities of third countries and international organisations to prevent conflicts, build peace and strengthen international security."

... ein neuer europäischer Minimalkonsens?

Die Etablierung des neuen "Instruments für Nachbarschaftshilfe, Entwicklung und Internationale Kooperation" lässt befürchten, dass bewährte und funktionstüchtige Instrumente wie die genannten Budgets für zivile Krisenprävention, Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit, die auf langfristige und nachhaltige Fördermaßnahmen zielen, kurzfristigen Politikzielen und außen-, bzw. sicherheitspolitischen Eigeninteressen der EU (vor allem migrationspolitischen Erfordernissen) untergeordnet werden. Konkret geben die Vorschläge der Kommission Anlass zu der Besorgnis, dass entwicklungspolitische Instrumente, die sich auf die Überwindung von Armut sowie wirtschaftliche und soziale Perspektiven in den bedürftigsten Ländern (LDC’s) richten sollten, mehr und mehr ihrem eigentlichen Zweck entfremdet werden. Wahrscheinlich ist, dass in diesem neuen Zuschnitt die Mittel vorrangig solchen Ländern zugute kommen, die bereit sind, mit der EU in der Abdichtung von Grenzen und Migrationsabwehr zu kooperieren. Dafür haben die EU und ihre Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Abkommen vor allem mit Regierungen in Nordafrika und der Sahelregion geschlossen, deren Menschenrechtspraxis extrem problematisch einzustufen ist. Auch das „Instrument für Stabilität und Frieden“, das für Prävention und Friedenskonsolidierung eingerichtet wurde, ist inzwischen teilweise für Grenzsicherung und „Migrationsmanagement“ umfunktioniert und - gegen den Wunsch entwicklungspolitischer NGOs und kirchlicher Hilfswerke - 2017 für Militärhilfeprogramme geöffnet worden. Offenbar war dies aber nur der Anfang einer neuen Schwerpunktsetzung, die sich zunehmend als prägend für die EU-Außenbeziehungen erweist: eine klare Prioritätensetzung auf "Sicherheit" und "Eindämmung von Migration", die sich möglicherweise als neuer Minimalkonsens in der EU und ihren Mitgliedstaaten abzeichnet.

Politische Forderungen und Alternativen

Zur Fundierung ihrer Pläne will die EU-Kommission in den kommenden Monaten ein Bündel von Gesetzesinitiativen vorlegen.  Die Bundesregierung unterstützt deren Ziele offenbar weitestgehend. Gleichwohl sollte man die politischen Mandats- und Entscheidungsträger hierzulande und auch in Brüssel/Straßburg auffordern, diese Pläne nochmals zu überdenken. Konkret muss man sie bitten, sich für folgende Alternativen einzusetzen:

  • Fortführung des „Instrument contributing to Stability and Peace“ (IcSP) und des  „European Instrument for Democracy and Human Rights“  (EIDHR) als eigenständige Instrumente, um die Finanzierung der zivilen - und der zivilgesellschaftlichen - Ansätze für die Prävention von Gewaltkonflikten und Friedensförderung und die Unterstützung von Menschenrechtsverteidiger/innen zu sichern;
  • Erhöhung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit und Beibehaltung eines eigenständigen, ausschließlich auf Entwicklung (Armutsbekämpfung, Bildung und Gesundheit usw.) zugeschnittenen Finanzierungsinstruments; dafür können EDF und DCI gegebenenfalls zusammengelegt werden;
  • Ausrichtung des Entwicklungsinstruments auf 100%ige Übereinstimmung mit den ODA-Kriterien der OECD bei den Ausgaben, und Erfüllung der international akzeptierten Entwicklungseffizienzprinzipien. Das Instrument sollte einen starken Fokus auf weniger entwickelte Länder (LDCs) richten und geographische Ausgewogenheit sicherstellen;
  • Etablierung von Kontrollmechanismen, mit denen sichergestellt wird, dass die Ausgaben für Entwicklungsmaßnahmen tatsächlich durchgängig ODA-kompatibel erfolgen und den Bedürftigen zugutekommen.

Zeitplan

Konkrete Gesetzentwürfe zum MFR 2021-27 wurden für Juni 2018 angekündigt, die Vorlagen für die Themen Migration, Entwicklung und internationale Kooperation werden im Zeitraum 12.-14.6. erwartet (vgl. Annex 1, pdf im Anhang zu diesem Blogbeitrag). Noch ist unklar, ob der Wunsch der EU-Kommission, das Volumen für den Finanzrahmen zu erhöhen, und damit den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten höhere Beiträge abzuverlangen, bei diesen Gehör finden wird. Skeptische Reaktionen kamen umgehend aus Schweden, Dänemark und Österreich. Oettinger drängt auf eine Einigung vor den Europawahlen im Mai 2019. Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass die Mitglieder den EU-Haushalt einstimmig beschließen müssen.

 

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