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Friedensgutachten: Diplomatie statt Rüstungsexport

Das Friedensgutachten 2018 empfiehlt, Deutschland solle seine Rolle in der Welt mehr auf Diplomatie gründen, statt auf militärische Stärke, und Rüstungsexporte einschränken. Mit Waffentransfers und Programmen der "Ertüchtigung" in Krisenregionen würde es sich diese Chance verbauen.

Von Dr. Martina Fischer am

Das "Friedensgutachten 2018" wurde am 12. Juni in der Französischen Friedrichstadtkirche in Kooperation mit der Ev. Akademie Berlin vorgestellt. Die aktuelle Ausgabe wird von vier deutschen Forschungseinrichtungen - dem Bonn International Center for Conversion, der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (Frankfurt), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und dem Institut für Entwicklung und Frieden (Universität Duisburg-Essen) herausgegeben. In diesem Jahr erschien es in neuem Format und Design, um sich noch stärker an der Zielgruppe auszurichten. Dazu zählen nach Aussage der Herausgebenden vorwiegend politische Mandats- und Entscheidungsträger/innen in Regierung, Parlament und Administration, aber zugleich richtet es sich auch an die breitere Öffentlichkeit.

Krise der Gewalt, des Multilateralismus und der liberalen Friedenskonzepte

In seiner Bestandsaufnahme ist das Gutachten - den globalen Umständen entsprechend - sehr ernüchternd. Die internationale Situation zeichnet sich demnach durch ein dreifaches Krisengeschehen aus:

(1) Eine umfassende Gewaltkrise mit zunehmender Anzahl und Intensität vor allem innerstaatlicher bewaffneter Konflikte. So sei die Anzahl der Bürgerkriege zwischen 2012 und 2015 von 32 auf 51 gestiegen und damit auf das höchste Niveau seit 1945; vielerorts (z.B. im Nahen Osten) sei das Konfliktgeschehen so vielschichtig, dass man es zunächst umfassend analysieren und verstehen müsse. Viele Gewaltkonflikte seien zunehmend durch regionale Vernetzung, Internationalisierung und dynamische Allianzen geprägt.

(2) Eine Krise des Multilateralismus, in dem z.B. der US Präsident nicht mehr nur einzelne Abkommen, sondern das Sytem multilateraler Absprachen als solches  in Frage stelle und damit zugleich faktisch auch normative Grundlagen im transatlantischen Verhältnis aufkündige.

(3) eine Krise der liberalen Friedenskonzepte, denn nicht nur bei Bürgerkriegen, sondern auch bei menschlicher und gesellschaftlicher Sicherheit sei ein "Negativtrend" zu beobachten. Seit 2012 stagniere die Demokratisierung, in vielen Ländern seien Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit gefährdet und die Räume für zivilgesellschaftliches Engagement eingeschränkt, und zwar nicht nur in autoritären Staaten.

Dazu heißt es in der Stellungnahme der Herausgebenden, auch die EU und Deutschland seien „nicht konsequent genug im Umgang mit repressiven Regimen, wenn es um kurzsichtige wirtschafts- oder sicherheitspolitische Interessen geht. Mittel- und langfristig schadet es dem ökonomischen Erfolg und der sicherheitspolitischen Stabilität Deutschlands, wenn Teile der Wirtschaft, der Rüstungsindustrie oder der politischen Führung Herrschaftsregime hofieren, die von Korruption in der Außenwirtschaft profitieren und Kräfte der demokratischen Kontrolle in Zivilgesellschaft, Parlament und Medien ausschalten wollen. Zudem finden sich unter den Migrationspartnerschaften Länder mit verheerender Menschenrechtslage. 'Fluchtursachenbekämpfung' wird nicht auf menschenrechtliche Folgen hin überprüft. Ägypten, Äthiopien, Libyen und Tschad sind offensichtliche Beispiele, bei der Türkei gibt es einen Schlingerkurs, der von Empörung (…) bis zu Stillschweigen(…) reicht. Menschenrechtliche Kohärenz ist aber eine zentrale Voraussetzung für tragfähigen Frieden: die Achtung von Rechtsstaatlichkeit, der Schutz grundlegender Menschenrechte und die Möglichkeit demokratischer Partizipation.“ (Friedensgutachten 2018, Stellungnahme, S. 10)

Die VN und ihre Regionalorganisationen stärken

Die Europäische Friedensordnung sehen die Herausgebenden angesichts der fortgesetzten Gewalt in der Ost-Ukraine in einer Sackgasse, die nur durch eine "entschlossene Dialog-Initiative" im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aufgelöst werden könne, die ähnlich wie frühere "Entspannungspolitik" nur mit einem langen Atem erfolgreich sein könne. Weiterhin plädiert das Gutachten dafür, die Vereinten Nationen und ihre Regionalorganisationen zu stärken. Während die USA Einsparungen im peacekeeping vornähmen, solle sich Deutschland umso aktiver mit eigenem Personal für UN-Einsätze und eine Reform des Sicherheitsrats einsetzen. Gleichzeitig solle die Bundesregierung das von 122 UN-Mitgliedstaaten unterzeichnete internationale Atomwaffenverbot unterstützen und sich für globale Rüstungskontrolle einsetzen, und vor allem ihre Rüstungsexportpraxis endlich restriktiv ausrichten (vgl. dazu auch die aktuelle Pressemitteilung der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, GKKE, die am 20. Juni veröffentlicht wurde). Auch mit der aktuellen Flüchtlingspolitik Deutschlands und der EU geht das Gutachten kritisch ins Gericht, und vor allem mit den zahlreichen  "Ertüchtigungsinitiativen" (Ausbildungs- und Ausrüstungshilfen für Militär und Polizei in Drittstaaten), die im Rahmen sogenannter Migrationspartnerschaften etabliert wurden.

"Mehr Demokratie - weniger Rüstungsexporte" - und "Ertüchtigung" auf den Prüfstand

Um dem globalen Krisengeschehen entgegenzuwirken und bewaffnete Konflikte zu stabilisieren, so die Empfehlungen des Friedensgutachtens, sollte die Deutsche Regierung auf "mehr Diplomatie" setzen. Deutschland solle sich als Brückenbilder und Vermittler global betätigen, so Prof. Tobias Debiel  (INEF) bei der Präsentation der Publikation. An dieser Stelle müsse man sich vor allem auch fragen, welche Rolle man der EU in der internationalen Entwicklung zuschreiben, und "welchen Fußabdruck" man hinterlassen wolle. Vor allem wird angeregt, bisherige fehlgeleitete Strategien militärisch geprägter "Stabilisierung" zu hinterfragen:

„Die Bundesregierung leistet in vielen Krisenregionen nennenswerte humanitäre Hilfe. Seltener tut sie sich allerdings mit diplomatischen Initiativen hervor, die darauf zielen, gewaltsame Konflikte beizulegen. Wegen ihrer zunehmenden Verwicklung durch Rüstungsexporte und die „Ertüchtigung“ von Militär in Konfliktgebieten beschneidet sie selbst ihre Möglichkeiten, glaubwürdig und über verfeindete Fronten hinweg zu vermitteln. Die Beteiligung an multilateralen Militäreinsätzen zeitigte in Afghanistan und Mali nicht die erhofften Wirkungen. Diese Einsätze gehören auf den Prüfstand. Die Ausstattungs- und Ausbildungshilfen im Bereich Polizei und Militär im Irak oder in Mali (sogenannte Ertüchtigungsinitiative) haben sich nicht bewährt. Politische Prozesse, die auf Rechtsstaatlichkeit, eine integrative Ordnung und Stabilität abzielen, wurden nicht eingeleitet; stattdessen kooperiert man etwa im Irak mit Militärapparaten, die ethno-regionalen oder konfessionellen Konfliktlinien folgen und weit von parlamentarischer Kontrolle entfernt sind. Daher sollten die Stabilisierungsmaßnahmen im Irak eingestellt werden. Kurzfristige Ertüchtigungsprojekte wurden bislang nicht in langfristige politische Strategien eingebettet; auch mangelt es an Unterstützung für gute Regierungsführung, um Reform und demokratische Kontrolle des Sicherheitssektors voranzutreiben. Hier sollte dringend die Lücke zwischen der Stärkung einzelner Sicherheitskräfte und umfassenderen Reformen des Sicherheitssektors (SSR) geschlossen werden." (Friedensgutachten 2018, Stellungnahme der Herausgebenden, S. 9) Ausbildungs- und Ausstattungsvorhaben müssten auf "klare politische Ziele und eine längerfristige Reformagenda" ausgerichtet und mit der Förderung demokratischer Kontrolle und guter Regierungsführung sowie mit wirksamer Bekämpfung von Armut verbunden werden. Nicht Terrorbekämpfung und Grenzsicherung sollten die primären Ziele sein, sondern die Sicherheit der Bevölkerung. Gleichzeitig müssten die Ressortzuständigkeiten der Bundesministerien geklärt und die Koordination verbessert werden. Vor allem müssten eine systematische Prozessbegleitung und politische Erfolgskontrollen solcher Programme sichergestellt werden, "um konfliktverschärfende Effekte zu vermeiden.“

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