Seit Jahresbeginn sind bereits mehr als 1500 Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen im Mittelmeer ertrunken- allein in den letzten zwei Monaten waren es mehr als 850 Kinder, Frauen und Männer. Dieser Fluchtweg führt immer mehr Menschen in denTod. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen gibt an, dass im Juni und Juli einer von 31 Mittelmeerflüchtlingen ums Leben kam oder als vermisst gilt, im Vergleich zu einem von 49 im vergangenen Jahr.
Europäische Politik lässt Opferzahlen in die Höhe schnellen
Die Arbeit von zivilen Seenotrettungsorganisationen wird immer systematischer verhindert und die Retter gar kriminalisiert: Italien hat Schiffen der Seenotretter das Anlegen in seinen Häfen untersagt, in Malta darf die „Lifeline“ nicht auslaufen. Gleichzeitig setzt die europäische Politik weiterhin auf die Auslagerung von Flüchtlingsschutz und Migrationskontrolle in nord-, west- und ostafrikanische Staaten mit verheerenden Konsequenzen für die Betroffenen, aber auch für die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Italien hat im Sommer mehrfach versucht, die Verantwortung für Rettungseinsätze an die libysche Küstenwache abzuschieben und möchte durchsetzen, dass Flüchtlinge, die von europäischen Schiffen aufgenommen werden, nach Nordafrika zurückgebracht werden. Dass sie dort u.U. unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert, vergewaltigt und malträtiert werden, wird ignoriert. Immer weniger EU-Mitglieds-Staaten zeigen sich bereit, Verantwortung für die Flüchtlinge und Migrierenden zu übernehmen. Rückdrängen, verdrängen, Verantwortung abwälzen , scheint die Devise in der EU – um jeden menschlichen Preis. Verantwortliche Politiker schielen angstvoll nach rechts und werden dabei ihren Angstgegnern immer ähnlicher. Auch so kann man den Kampf für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Werte – allen voran die Humanität –, für die die EU eigentlich steht, verlieren.
Vielfältiger Protest gegen die aktuelle Politik
Doch immer mehr Bürgerinnen und Bürger in Europa und auch in Deutschland protestieren lautstark und mit vielfältigen Aktionen gegen diese unerträgliche Situation. In zahlreichen deutschen Städten fanden in den vergangenen Wochen Demonstrationen und Kundgebungen mit vielen tausenden Teilnehmenden statt.
Mehrere, starke Petitionen kursieren im Internet, denen sich Hunderttausende namentlich anschließen, um ebenfalls deutlich zu machen: Genug ist genug! Im Zentrum steht bei allen die Forderung nach einem Ende des Sterbens im Mittelmeer, nach einer insgesamt humanen, an Menschenrechten messbaren und solidarischen Flüchtlings- und Migrationspolitik.
Die Kirche muss sich positionieren
Ich selber habe mich einer Petition aus dem Umfeld des Deutschen Evangelischen Kirchentages angeschlossen. Unter dem Titel „Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch” ermuntert sie Kirchenleitungen, sich beherzter, eindeutiger und nachdrücklich zu äußern. Von den Regierungen der EU fordert sie eine der Humanität und Ordnung verpflichtete Flüchtlingspolitik, statt weiterhin die Abschottung Europas voranzutreiben. Initiiert haben die Petition drei Mitglieder des Präsidiums des Evangelischen Kirchentags, Beatrice von Weizsäcker, Ansgar Gilster und Sven Giegold. Die Verfasser konstatieren: „Es ist richtig, über gemeinsame Grenzkontrollen festzustellen, wer nach Europa einreist und für eine faire Verteilung der Flüchtlinge zu sorgen. Aber es ist völkerrechtswidrig, Menschen in Seenot nicht zu retten. Es ist unverantwortlich, Menschen monatelang in Lagern festzuhalten, andere Staaten für die Abwehr von Flüchtlingen zu bezahlen und gefährliche Herkunftsstaaten für sicher zu erklären. Diese Abschottung schreitet seit Jahren voran und höhlt das internationale und europäische Flüchtlingsrecht aus. Dabei wissen wir aus der Geschichte: Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch. Diese Flüchtlingspolitik hat keine gute Zukunft. Diese Politik bedroht nicht nur die Flüchtlinge, sie setzt auch unsere eigene Humanität und Würde aufs Spiel. Die Kampagnen gegen jene, die sich für Flüchtlinge einsetzen – insbesondere die zivile Seenotrettung –, zeigen: Moral wird verunglimpft und Menschlichkeit kriminalisiert.“
Jetzt Gesicht zeigen
Wir stehen zu unseren Werten. Sie sind nicht verhandelbar.
Wir sind viele und wir wollen das deutlich zeigen. Mitmenschlichkeit ist nicht verhandelbar. Unsere Kirchen und Häuser müssen Zufluchtsorte für alle Menschen bleiben, die Hilfe, Schutz und Hoffnung suchen. Nicht nur, weil wir als Christinnen und Christen eine länderübergreifende Gemeinschaft sind. Sondern auch, weil in’s Zentrum unseres Glaubens gehört. in den Notleidenden, den Flüchtlingen Jesus Christus selbst zu erkennen und ihm zu dienen, indem wir den Menschen dienen, mit denen er sich solidarisiert hat.
Viele Kirchengemeinden beteiligen sich bereits an der bundesweiten „Aktion Seebrücke“ oder veranstalten Gottesdienste und Informationsveranstaltungen. Weitere Anregungen für Gemeinden, was praktisch für das Anliegen getan werden kann finden Sie hier.