Am 26. Juni 2018 hatten die Heinrich-Böll Stiftung, Misereor und Brot für die Welt zu einer gemeinsamen Veranstaltung in Berlin eingeladen. Thema war Erreichtes, Grenzen und Herausforderungen der international unterstützten Sondermechanismen in Mexiko, Guatemala und Honduras. Darüber diskutierten Iván Velásquez (Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala, CICIG), Marco Antonio Villeda (Mission zur Unterstützung gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras, MACCIH) Carlos Beristáin (vormals Interdisziplinäre Gruppe internationaler Experten, GIEI) sowie Paulo Abrão (Interamerikanische Menschenrechtskommission, CIDH).
Warum es Sondermechanismen braucht
Die Vertreter der Sondermechanismen zur Bekämpfung von Korruption und Straflosigkeit stellten deren wichtige Bedeutung als gesellschaftlichen Hoffnungsschimmer heraus. Lateinamerika ist geprägt durch eine extreme Ungleichheit sowie den höchsten Raten an ermordeten Menschenrechtsverteidigenden und Gewalt gegen Frauen. Besonders in den ländlichen Räumen nehmen Konflikte zu. Dabei geht es in der Regel um die Kontrolle von natürlichen Ressourcen und Land. Hinter der ausufernden Gewalt stehen als treibende Faktoren Korruption und Straflosigkeit, die den Rechtsstaat unterhöhlen und zu weiterer Gewalt führen. So scheinen die Staaten gefangen in einer Gewaltspirale, aus der es kein Entrinnen gibt. Das Gefühl von Machtlosigkeit, etwas an den bestehenden Strukturen verändern zu können, und Resignation machen sich in der Bevölkerung breit. Gleichzeitig verliert sie das Vertrauen in staatliche Institutionen, die Probleme zu lösen. Die in Mexiko, Guatemala und Honduras mit internationaler Unterstützung eingesetzten Sondermechanismen zur Bekämpfung von Korruption und Straflosigkeit sollen die Staaten dabei unterstützen rechtsstaatliche Prinzipien durchzusetzen und so, im besten Fall, den gesellschaftlichen Frieden wiederherzustellen. Die von ihnen aufgedeckten Fälle und ihre strafrechtliche Verfolgung kann man als internationalen Gradmesser verstehen, wie Ernsthaft nationale Regierungen den Kampf gegen Straflosigkeit und Korruption vorantreiben.
International und Unabhängig
In enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regierungen und nationalen Institutionen, unterstützen die Sondermechanismen Staatsanwaltschaft und Gerichte bei der Aufdeckung von Straffällen im Bereich Korruption und Straflosigkeit und geben Empfehlungen für strukturelle Veränderungen. Als internationale Mechanismen, deren Mandate bei den Vereinten Nationen, der Organisation Amerikanischer Staaten oder der Interamerikanischen Menschenrechtskommission angesiedelt sind, erhalten sie internationale Aufmerksamkeit. Die Gäste betonten, dass die Mandatsgeber eine entscheidende Rolle spielen, damit die Sondermechanismen unabhängig arbeiten können und möglichst keinerlei politischer Einflussnahme im Land zu unterliegen. Der internationale Faktor ist zudem wichtig, um die politischen Kosten im Fall der Behinderung ihrer Arbeit möglichst hoch zu halten. Die jeweiligen Mandate der Sondermechanismen werden mit den nationalen Regierungen ausgehandelt. Im Falle der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) wurde die CICIG 2006 vom guatemaltekischen Staat eingeladen und mit einem Mandat bis September 2019 ausgestattet. Die aktuelle Regierung in Guatemala versucht permanent den Vorsitzenden der CICIG, Iván Velásquez, des Landes zu verweisen bzw. die Kommission an ihrer Arbeit zu behindern. Der guatemaltekische Präsident Jimmy Morales hat an einer baldigen Beendigung der CICIG besonderes Interesse. Nachdem bereits sein Sohn und sein Bruder wegen Ermittlungen der CICIG vor Gericht stehen, hat die Kommission nun auch Hinweise auf illegale Wahlkampffinanzierung von Morales. Nur dank internationaler Unterstützung und der massiven Mobilisierung der guatemaltekischen Bevölkerung, die den Verbleib der CICIG forderten, konnte ein vorzeitiges Ende der Arbeit der CICIG bisher verhindert werden.
Wichtige Rolle der Zivilgesellschaft
An dem Beispiel der CICIG wird deutlich, welch wichtiger Faktor die zivilgesellschaftlichen Akteure darstellen. Besonders die Opfer von Korruption und Straflosigkeit haben ein großes Interesse an der Aufklärung der Straftaten. Wie Carlos Beristáin klarstellte, sind mit dem Begriff Opfer nicht nur die einzelnen Betroffenen gemeint, sondern die Gesellschaft, die durch die illegalen Machenschaften benachteiligt wird. Nur sie kann Transformationsprozesse und den dazu notwendigen Druck aufrechterhalten, auch wenn die Sondermechanismen nicht mehr im Land sind. Im Rahmen der Veranstaltung wurde zudem die Schaffung von Öffentlichkeit betont, die wichtige Aktionsräume für die Sondermechanismen erhält. Beristáin beschrieb, wie wichtig für die Interdisziplinäre Gruppe unabhängiger Experten (GIEI) der enge Kontakt zu den mexikanischen Studenten der Hochschule von Ayotzinapa und den Familienangehörigen der 43 verschwundenen Studenten war. Nur dank ihnen konnten sie wichtige Ermittlungshinweise geben. Ihre Hartnäckigkeit auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit verhindert bis heute, dass der Fall still und leise ohne Ergebnisse geschlossen wird. Mit den beiden Berichten der GIEI haben wiederum die Familienangehörigen und die sie begleitenden Organisationen wichtige Instrumente an der Hand, um ihre Forderungen wissenschaftlich und belegt zu untermauern. Bis heute wurde kein Ergebnis der GIEI widerlegt.
Machtinteressen und gegenseitiger Schutz der Eliten
Dennoch stoßen die Sondermechanismen allzu oft an Grenzen und Hindernisse, besonders wenn sie die nationalen Machteliten ins Visier nehmen. Marco Antonio Villeda von der MACCIH berichtete, wie in Honduras immer wieder neue Gesetze geschaffen werden, um der Strafverfolgung in Korruptionsfällen Einhalt zu gebieten. Nachdem honduranische Abgeordnete wegen Korruption angeklagt werden sollten, verabschiedete das Parlament ein neues Gesetz. Laut diesem hat der Oberste Rechnungshof drei Jahre lang Zeit zu entscheiden, ob Korruption in den Anzeigen vorliegt oder nicht. Bis dahin dürfen keine Güter konfisziert werden. Das Mandat der MACCIH läuft jedoch nur noch bis 2020. So gibt es die berechtigte Befürchtung, dass die angeklagten Parlamentarier die Situation aussitzen und nach dem möglichen Weggang der MACCIH auf Straflosigkeit hoffen.
Da die Sondermechanismen nicht die nationalen Strukturen ersetzen, sondern eng vor allem mit der Staatsanwaltschaft kooperieren und diese stärken sollen, ist die Besetzung ihrer Ämter extrem wichtig für die erfolgreiche Arbeit gegen Korruption und Straflosigkeit. Auch in Honduras steht im Juli 2018 die Neubesetzung der Staatsanwaltschaft an. Deren Vorsitz wird von der Mehrheit des honduranischen Parlaments gewählt. Villeda verdeutlichte, wie das Parlament politischer Einfluss auf die Besetzung nehmen und einen Vorsitz wählen kann, von dem es keine strafrechtliche Verfolgung fürchten muss.
Rolle der internationalen Gemeinschaft
Paulo Abrão, Generalsekretär der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, wies darauf hin, dass die Sondermechanismen auf einen politischen Wandel in der Region hinweisen: es kommt verstärkt zu einer Abwendung von Menschenrechten und Untergrabung rechtsstaatlicher Prinzipien. Umso wichtiger ist die Arbeit der Sondermechanismen und der internationalen Gemeinschaft, Menschenrechte weiterhin als wichtigen Referenzrahmen hoch zu halten und die Forderungen zur Bekämpfung der Straflosigkeit und Korruption aufrecht zu umzusetzen. Allerdings sollte die internationale Gemeinschaft Konsequenzen ziehen, wenn rechtsstaatliche Prinzipien nicht eingehalten werden. Ein Beispiel dafür sind die USA, die honduranischen Abgeordneten die visumsfreie Einreise entziehen, wenn diese mit Korruption und Straflosigkeit in Verbindung stehen. Auch die Zivilgesellschaft braucht klare Signale der Unterstützung seitens der internationalen Gemeinschaft und der solidarischen Zivilgesellschaft anderer Länder. Alle Gäste stellten bestätigten, dass finanzielle, politische und öffentliche Unterstützung der Sondermechanismen wichtig ist, um tiefgreifende gesellschaftliche Transformation anzuregen.
Zukunft der Sondermechanismen
Das Modell der Sondermechanismen hat sich bewährt. In Nicaragua wird derzeit über ein Modell diskutiert, das zum einen als eine Art neue GIEI die Straftaten bei den Demonstrationen gegen den Präsidenten Ortega untersuchen und zum anderen wie ein längerfristiger Mechanismus eingesetzt werden soll, der Korruption und Straflosigkeit im Land bekämpft. Am Ende der Veranstaltung blieb die Frage nach der Nachhaltigkeit der Sondermechanismen. Es wurde deutlich, dass sie nur wirksam sein können, wenn sie zu strukturellen Verbesserungen im Land führen. Damit dies geschieht müssen die nationale und internationale Gesellschaften weiterhin aktiv den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit einfordern, damit Reformen langfristig umgesetzt werden.