Von der Millionenstadt Tiflis sind es zwei Stunden bis Sobissi. Die letzte Strecke fuhr ich in einem klapprigen Taxi. Die Plattenbauten wurden immer seltener. Der Müll immer mehr. Hirten ließen ihre Kühe am Straßenrand grasen. Wir überholten Pferdewagen voller Obst und Gemüse.
Sobissi kann man kaum ein Dorf nennen. Eher ein paar Häuser entlang einer Schotterpiste. Die Organisation, bei der ich meinen Freiwilligendienst mache, vergibt Mikrokredite in ländlichen Regionen und hat in Sobissi eine Genossenschaft zur Herstellung von Apfelsaft aufgebaut. Ich darf dort mithelfen. Mit fünf anderen Frauen sortiere ich Äpfel, wir schweigen dabei, es ist sehr ruhig. Von dem Sortiertisch aus schaue ich auf ein paar Obstbäume. In der Ferne arbeiten Leute auf einem kleinen Feld. Und am Horizont lassen sich die Berge erahnen. Ich genieße die Stille nach den Monaten in der laut-hektischen Hauptstadt, die trotz großer Plattenbausiedlungen als hip, modern und aufstrebend gilt.
Ruhe, Idylle und hohe Arbeitslosigkeit
Aber natürlich weiß ich, dass das Leben hier alles anderes als idyllisch ist. Die Region um Sobissi war mal ein wichtiges Obstanbaugebiet, aber hat heute eine Menge Probleme: Nach dem Zerfall der Sowjetunion brachen viele Absatzmärkte weg. Seit dem Krieg um die nahe gelegene Region Südossetien ist die Wasserversorgung mangelhaft, denn das Wasser kommt überwiegend aus den dortigen Bergen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die jungen Leute haben keine Perspektiven. Sie wandern ab, suchen ihr Glück in den Städten, studieren in Tiflis oder im europäischen Ausland. Zurück kommt kaum einer, die Dörfer sterben aus. Der Taxifahrer, mit dem ich kam, meinte, ändern könne man doch hier eh nichts mehr. Ich hoffe, er sieht das falsch.
Text: Lotte Heitmann
Veröffentlicht in: chrismon plus 2-2018