Die Dokumentation "Spiel ohne Grenzen: Die Lüge vom freien Handel" (in der ARD Mediathek abrufbar!) vom Redakteur Tilman Achtnich entlarvt das Beklagen neoliberal ausgerichteter Marktbefürworter, dass der neue Protektionismus á la Trump dem freien Handel schadet, als pure Heuchelei. Denn die Europäische Union vertritt knallhart eigene Interessen in der EU-Handelspolitik und EU-Landwirtschaftspolitik – zum Schaden armer Länder, die sich vor der aggressiven Exportpolitik schützen müssen.
Nicht erst in den letzten Tagen wächst die Hysterie gegenüber Donald Trumps angekündigten und nun gegenüber der VR China beschlossenen Strafzöllen. Schon seit Beginn seiner Präsidentschaft vergießen europäische Freihandelsritter regelmäßig Krokodilstränen über seine Politik des Protektionismus. Eine Abkehr von weiterer Deregulierung, Zollsenkungen, Privatisierungen durch Freihandelsverträge führe in den Augen neoliberaler Marktbefürworter zum Untergang des Abendlandes. Neoliberaler Freihandel und Demokratie, so die Doktrin, gehören zusammen. Der Schutz und die Regulierung der Märkte sind der Vorbote von Arbeitslosigkeit und Verelendung – so liest man auf den Wirtschaftsseiten „kluger Köpfe“. Klimaschutz, Menschenrechte, soziale Sicherheit werden nur durch Angebot und Nachfrage geschützt. Wer das nicht sähe, stünde auf der Seite Trumps, so der grobe Vorwurf, der dann auch Brot für die Welt träfe. Denn Kritiker von unregulierten Märkten und neoliberalen Handelsabkommen wie TTIP, CETA oder die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (bekannt als EPA) zwischen der EU und Afrika werden verunglimpft als Unterstützer eines düsteren globalen Handelskrieges.
Heuchelei und Widersprüche in der EU-Handelspolitik
Die sehenswerte Dokumentation „Spiel ohne Grenzen“ des Autors und ARD-Redakteurs Tilman Achtnich entlarvt auf fast schon amüsante Art die Heuchelei der neoliberalen Trump-Gegner in der EU und deutschen Wirtschaft. Nehmen wir die deutsche Fahrradindustrie. Der Film zeigt, dass das viel beschworene Markenzeichen „Made in Germany“ in der globalisierten Industriewelt ein „Werbe-Fake“ ist. Der Ruf nach Schutz vor chinesischen Fahrrad-Billigimporten dient nur als Vorwand, um günstigere Produzenten mit Hilfe hoher Schutzzölle vom Markt fernzuhalten und damit auch den einheimischen Preis hoch halten zu können. Klingt doch ganz nach Trump, oder? So ist aber der Alltag, wie die EU-Handelskommission im Kampf gegen Konkurrenten verfährt. Sobald Vertreter von Industriezweigen Beschwerde einlegen, werden Verfahren gegen die schnöde Konkurrenz eröffnet.
Ein typisches Beispiel für die Heuchelei der EU-Handelspolitik ist die EU-Landwirtschaft der letzten 40 Jahre. Mit hohen Schutzzöllen ausgestattet konnte sie, stark subventioniert, mit Hilfe der Agrarchemiekonzerne eine hoch produktive Intensivlandwirtschaft entwickeln. Davon profitieren die VerbraucherInnen, denn die Preise für Nahrungsmittel liegen oft unter den Produktionskosten. Würden keine hohen Zölle auf brasilianisches Geflügelfleisch, argentinischen Weizen oder Milch aus Neuseeland erhoben, wäre die Preiskrise im EU-Markt noch viel größer. Dieser Außenzoll hilft aber auch dabei mit, dass die EU sich in den letzten 15 Jahren zu einem der größten Agrarexporteure der Welt entwickelt hat – mit welchen Produkten?
Wen wundert’s. Es sind die Produkte, bei denen sich die EU mit hohen Zölle schützt: Milch, Mehl und Fleisch und Gemüse!
Und was braucht die EU, um ihre Überproduktion exportieren zu können?
Märkte, die sich eben nicht so schützen, wie es die EU tut. Wo Mangel besteht wie in Ägypten an Weizen oder in China an Fleisch oder in Japan an Milch mag das keinen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Aber das reicht der EU-Agrarlobby nicht. So wie Trump sich jedes Land anschaut, das den USA hohe Zölle aufzwingt, schaut die EU danach, welche Länder sich des Glücks verweigern Milch, Hähnchen oder Brot aus europäischer Produktion zu verzehren.
Die Europäische Union verhandelt gegenwärtig über 20 Freihandelsverträge. Bei allen geht es meist – abseits der öffentlichen Debatten um undemokratische Regelungen wie Schiedsgerichte, Verletzung des Vorsorgeprinzips und regulatorischer Absprachegremien – immer auch um die Öffnung der Agrarmärkte. Nur beim Abkommen mit den Agrargiganten in Südamerika ist es umgekehrt.
Beim Freihandelsabkommen mit Vietnam werden bald die Zölle auf Schweinefleisch oder Milch ganz abgeschafft, Korea und Japan folgen. Indien wird wohl ebenfalls seinen großen Markt für deutsche Milch und deutsches Geflügel öffnen müssen, will es Hochtechnologie oder Dienstleistungen in der EU anbieten.
Dann ist da noch der afrikanische Kontinent. Seit 15 Jahren versucht die EU, sich mit den EPA den Zugang auf afrikanische Märkte zu sichern. Es ist nicht so, dass diese Abkommen für die EU im Augenblick oder in naher Zukunft wichtig wären. Selbst bei einer Verdoppelung des momentanen Anteils am Handel mit der EU würde Afrika als abgeschlagenes Schlusslicht im einstelligen Bereich verharren. Langfristig taugt aber Afrika als Investition in ein Rahmenwerk; zumindest die mineralischen Rohstoffe sind schon heute nicht unwichtig.
Vor allem Afrika zeigt, dass arme Länder vielmehr Grund hätten, eine „protektionistische“ Politik à la Trump zu übernehmen als die Wirtschaftsmacht USA.
In der Dokumentation der ARD wird auch die Widersprüchlichkeit der Handelspolitik afrikanischer Regierungen deutlich. Der Film zeigt anschaulich, welche positiven Folgen ein Schutz auf Importe für einen Agrarsektor haben können. Nach einer kämpferischen Bewegung von VerbraucherInnen und KleinbäuerInnen in Kamerun zu Beginn des Jahrtausends beschloss die Regierung in Kamerun 2006 quasi ein Verbot der Einfuhr von Hühnerteilen aus der EU. Zuvor waren die Importe in kurzer Zeit trotz eines Einfuhrzolls von 20 Prozent so stark angestiegen, dass die gesamte Geflügelwirtschaft des Landes, kleinbäuerlich häufig von Frauen organisiert, vor dem Kollaps stand. Auch ohne dass Hühnerreste für den Export subventioniert wurden, überschwemmten bald billigste Hühnerreste aus der EU ganz Westafrika. Wer sich dagegen nicht schnell genug gewehrt hatte, kann heute, wie in Ghana einheimische Hähnchen nur noch als Luxusprodukt genießen-
Anders in Kamerun. Der Film zeigt, wie sich seit dem nahezu vollständig eingehaltenen Importverbot nicht nur die Produktion wieder erholt hat, sondern der Sektor auch Kleininvestoren angezogen und die Produktion sich verfünffacht hat, auf heute fast 160.000 Tonnen im Jahr. Tausende Arbeitsplätze wurden geschaffen, inzwischen auch wieder für viele Frauen, die als Nebenerwerb mit 50 bis 500 Küken die kargen Einnahmen aus der Landwirtschaft aufbessern. Trotz einem von der EU erpresstem Handelsabkommen, damit kamerunische Bananen weiter zollfrei in die EU eingeführt werden, hält sich Kamerun nicht an die EPA-Regeln und bleibt beim Importverbot. Das ist so erfolgreich, dass selbst die Bundesregierung den Regelbruch nutzt und nun im Rahmen der Sonderinitiative EINEWELT ohne Hunger (SEWOH) die kamerunische Geflügelwirtschaft gemeinsam mit Partnern von Brot für die Welt unterstützt. Die Doku der ARD zeigt an diesem Beispiel, wie erfolgreich und notwendig Protektionismus für arme Länder sein kann.
Holland-Zwiebeln schaden den einheimischen Produzenten in Kamerun
Der Film verschweigt aber auch nicht das Gegenteil – gedreht wurde wieder in Kamerun. Das Land produziert vor allem im sehr armen und trockenen Norden Zwiebeln, die Kamerun und auch Nachbarländer versorgen. Also eigentlich gibt es in Kamerun keinen Absatzmarkt für holländische Exportzwiebeln. Aber Pustekuchen. Ähnlich wie bei den schädlichen Hähnchenresten führen die Niederlande seit einigen Jahren eine massive Offensive, um ihre Gemüseprodukte aus zweiter Wahl in Afrika loszuwerden. Zwiebeln, Karotten oder Kartoffeln überschwemmen zu Niedrigstpreisen die Märkte in Westafrika: immer im Angebot und billiger als die einheimischen Produkte, zumindest außerhalb der Erntesaison. Auch wenn Holland-Zwiebeln in Kamerun wahrscheinlich die große einheimische Produktionsmenge nicht ganz verdrängen werden, drücken die Importe auf den lukrativen Märkten der Großstädte Douala und Jaunde den Zwiebelpreis. Die Händler geben den Verlust über die Zwischenhändler an die Produzenten weiter. Was zunächst gut für die städtischen VerbraucherInnen klingt, kann sich schnell ins Gegenteil verkehren. Sollte es sich für lokale Produzenten nicht mehr lohnen, Zwiebeln in den Süden Kameruns oder in die Städte zu liefern, wird ein Importmonopol holländischer Zwiebeln sofort dazu führen, dass die Preise für Zwiebeln steigen werden. Das Prinzip funktioniert überall nach dem gleichen Muster. In Ghana, wo seit Jahren kaum noch einheimische Hähnchen gemästet werden, kosten die Importhähnchen 2,50 Euro pro Kilo, inzwischen so viel wie vorher ein Hähnchen aus einheimischer Produktion gekostet hat. Sobald die lokale Konkurrenz verschwunden ist, steigen die Preise für die importierten Produkte um bis zu hundert Prozent. So ist das mit Marktmonopolen. Klingt gar nicht nach freiem Markt!
Einfacher wäre es die Zölle anzuheben, aber das ist beiden Ländern gegenüber der EU selbst für solche Agrarprodukte verwehrt, die sie im EPA Vertrag wegen ihrer Bedeutung für die Ernährungssicherheit aus den verpflichtenden Zollsenkungen ausgeschlossen haben. Das nennt sich in den Verträgen „Stillstandsklausel“. Was für die Zölle, die in den nächsten Jahren nach und nach abgesenkt werden Sinn könnte, ist für die Produkte, die gar nicht Teil des Zwanges zur Zollsenkung sind, besonders unfair (Art. 15 (1) im Ghana und Art 21 (2) im Kamerun EPA).
Zurück zum Geflügelsektor in Kamerun. Die gesteigerte Produktion nach dem Importstopp führte zu einer stetigen Preissenkung, so dass in Kamerun das Kilo für einheimisches Geflügels durchschnittlich nur 2,20 Euro kostet. Das könnte noch günstiger werden, falls das Projekt der Bundesregierung im Rahmen der Grünen Innovationszentren dazu führt, dass die Kükensterblichkeit sinkt. Sogar deutsche Unternehmen der Wiesenhof Gruppe könnten sich engagieren, die Stall- und Hygienebedingungen zu verbessern. Das wird zuindest gerade im Rahmen des erwähnten Geflügelprojektes der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Kamerun verhandelt. Also auch für Investoren sind geschützte Märkte lukrativer, in diesem Fall wenn sie vor der eigenen (Wiesenhof-) Hähnchen Konkurrenz geschützt sind.
Kein Rückfall in eine protektionistische Handelswelt, aber effektiver Schutz muss möglich sein
Schlussfolgernd heißt das für die Debatte um die US-Handelspolitik à la Trump, dass eine stärkere radikale globale Marktöffnung aller Sektoren als Fortsetzung neoliberaler Strategien nicht die Alternative sein darf. Die Kritik gegen Trump ist dennoch wichtig und richtig. Es geht nicht nur um Stahleinfuhren aus der EU und China. Die USA ist gerade auch dabei, Entwicklungsländer zu erpressen und erfolgreichen Exportindustrien – auch in Afrika – die Luft abzudrehen. Ähnlich wie es die EU in der EBA-Initiative („Alles außer Waffen“) mit ihrer hundertprozentigen Zollfreiheit für Produkte aus den 50 ärmsten Ländern regelt, haben die USA ein sogenanntes Zollpräferenzsystem für eine Palette afrikanischer Produkte (AGOA). Trump hat z.B. Südafrika angedroht, dem Land die Zollfreiheit zu entziehen, falls es hohe Anti-Dumpingzölle auf Exporte von US-Hühnerresten erheben würde; und Kenia wird bedroht, keine Textilien mehr in die USA zollfrei exportieren zu dürfen, falls es sein Importverbot für Altkleider aufrechterhält.
Fazit auch der ARD Dokumentation: Ein Rückfall in eine totale protektionistische Handelswelt würde auch armen Ländern schaden. Diese Länder brauchen offene Weltmärkte, gerade für Fertig- und Zwischenprodukte, um damit Wertschöpfung und Arbeitsplätze schaffen zu können, statt nur Rohstoffe zu exportieren. Umgekehrt brauchen arme Länder aber auch effektive Schutzmöglichkeit, möglichst multilateral ausgerichtet, damit sie Kleinindustrien aufbauen können und die Nahrungsmärkte ihrer Länder mit kleinbäuerlichen Produkten auf einheimischen Märkten, besonders in den Städten, beliefern können. Das hat Trump sicher nicht im Sinn, wenn er von Protektionismus redet. Dazu hätte er bei der Tagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Buenos Aires im Dezember 2017 die Chance gehabt. Ihm geht es um ein radikales „America First“, was auch heißt, dass die anderen für amerikanische Produkte (auch Agrarprodukte, wie Weizen, Baumwolle, Hühnerfleisch) ihre Märkte öffnen müssen. Kommt einem als Europäer nicht ganz unbekannt vor.