Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem MERCOSUR sind gekennzeichnet durch eine extrem asymmetrische Struktur. Sie lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Die lateinamerikanischen Staaten beliefern die EU mit landwirtschaftlichen, mineralischen und fossilen Rohstoffen, um das rohstoffarme Europa in die Lage zu versetzen, diese - industriell weiterverarbeitet - auf dem Weltmarkt zu verkaufen, einschließlich dem MERCOSUR. Während annährend 80 Prozent der Gesamtexporte des MERCOSUR in die EU aus Rohstoffen bestehen, beläuft sich der Anteil der verarbeiteten Güter, welche die EU in diese Staaten exportiert auf mehr als 85 Prozent.
EU verschärft ungleiche Austauschbeziehungen
Diese asymmetrischen Beziehungen haben nicht nur eine 500jährige Tradition, sie sind auch das erklärte Ziel deutscher und europäischer Industrieverbände. Nicht zuletzt die deutsche Metallindustrie hat ein gesteigertes Interesse daran, dass Bundesregierung und EU Kommission sich im Rahmen ihrer Handelspolitik für einen freien Zugang zu den natürlichen Rohstoffen im globalen Süden stark machen. Die starke Abhängigkeit der europäischen Industrie von den mineralischen Rohstoffen aus den MERCOSUR-Staaten verdeutlicht u. a. der Export von Eisenerz: Über die Hälfte (55 Prozent) der gesamten EU-Importe von Eisenerz stammen allein aus Brasilien.
In den bisher vorliegenden Vertragstexten der beiden Wirtschaftsblöcke wird den MERCOSUR-Staaten untersagt, Ausfuhrbeschränkungen (wie beispielsweise Exportsteuern) auf mineralische (oder fossile) Rohstoffe zu erheben. Damit wird den Regierungen in Buenos Aires, Brasilia und Montevideo ein wichtiges handelspolitisches Instrumente genommen, um zum Beispiel ihre Erze, Kupfer etc. selbst weiter zu verarbeiten, um dann das verarbeitete Industrie- oder Konsumprodukt gewinnbringend auf dem Binnenmarkt oder auf dem Weltmarkt zu verkaufen.
Eine solche Politik würde nicht nur die Einnahmen der daran beteiligten (Industrie)Unternehmen erhöhen, sondern auch den Volkswirtschaften der MERCOSUR-Staaten in zweierlei Hinsicht zugutekommen: (1) Die Herstellung von verarbeitenden Güter für den eigenen Binnenmarkt verringert die Notwendigkeit des Imports dieser Produkte aus der EU, und trägt damit zu einer Verbesserung der Zahlungsbilanz bei. (2) Die Herstellung von verarbeiteten Gütern für den Export (in die EU) erhöht die Deviseneinnahmen und verbessert damit ebenfalls die Zahlungsbilanz. Bislang ist die Zahlungsbilanz aus der Perspektive des MERCOSUR eindeutig negativ: Der MERCOSUR exportiert Rohstoffe und Güter im Wert von 44,1 Milliarden Euro, und importiert aus der Europäischen Union Waren und Güter im Wert von 49,3 Milliarden Euro. Das Handelsbilanzdefizit beträgt demnach 5,2 Milliarden Euro.
Rückgang der Staatseinnahmen zu Lasten der Armen
Das Verbot von wirtschaftslenkenden Maßnahmen geht aber nicht nur zu Lasten des politischen Handlungsspielraums von Entwicklungsländern. Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay erzielen, wie viele Länder des Globalen Südens, einen nicht unerheblichen Anteil ihrer Staatseinnahmen aus Exportzöllen. Wird diese Möglichkeit durch Handelsabkommen eingeschränkt, dann können zentrale staatliche Ausgabenbereiche in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies betrifft auch politische Maßnahmen, die für die Umsetzung der Menschenrechten von Bedeutung sind. Brasilien finanzierte über viele Jahre Sozialprogramme, wie beispielsweise das Programm ‚Fome Zero‘, welches die Zahl der von Hunger betroffenen Menschen stark reduzierte.
Raubbau an Mensch und Natur: Wie lange noch?
Wie Partnerorganisationen von Brot für die Welt immer wieder berichten verändert eine Zunahme des Rohstoffabbaus massiv die Landnutzung, was (fast) zwangsläufig zu Umweltzerstörung und Landkonflikten führt. Aus einem mehrjährigen Dialogprogramm verschiedener lateinamerikanischer Partnerorganisationen, die sich intensiv mit dem Bergbau auf dem südamerikanischen Kontinent auseinandergesetzt haben, ging als eines der Ergebnisse hervor: Dem Boom an unzähligen Abbauprojekten steht ein überwiegend schwacher rechtlicher und institutioneller Rahmen gegenüber, der nicht in der Lage ist, den Bergbausektor so zu regulieren, dass er sozial- und umweltverträglich ist und der lokal betroffenen Bevölkerung zugutekommt. In einigen der untersuchten Länder zielt er lediglich darauf ab, privaten Unternehmen und Investoren alle erdenklichen Erleichterungen und Anreize zu bieten, um den Abbau natürlicher, nicht-erneuerbarer Ressourcen voranzutreiben. Darüber hinaus laufen die rechtlichen Normen im Bergbausektor konträr zu den grundlegenden Regeln des Schutzes der Umwelt und der natürlichen Ressourcen, was zu einer beispiellosen Verschlechterung der Umweltqualität geführt hat.
Der amerikanische Subkontinent ist seit seiner ‚Entdeckung‘ durch die Europäer geprägt vom Gebrauch und Missbrauch der Natur. Die zahlreichen linken Regierungen, die um das Jahr 2000 an die Regierung kamen, machten da keine Ausnahme – im Gegenteil. Gehörten sie während ihrer Oppositionszeit noch zu den (schärfsten) Kritikern eines Wirtschaftsmodells, welches durch den ‚Extraktivismus‘ des Bodens gekennzeichnet war/ist, beförderten sie diese Politik von dem Moment an, als sie auf der Regierungsbank Platz nahmen. Noch nie zuvor in der Geschichte Lateinamerikas haben mehr private und staatliche Akteure natürliche Rohstoffe abgebaut (gleich gilt für den Anbau landwirtschaftlicher Ressourcen!). Einer der Gründe (für diese Kehrtwende) waren die hohen Weltmarktpreise für ‚Commodities‘ und die Annahme, diese würden aufgrund des (rasanten) Anstiegs einer neuer globalen Mittelschicht zukünftig weiter in die Höhe gehen. Einige linke Regierungen nutzten die staatlichen Mehreinnahmen für Umverteilungsprogramme. Der spätere Rückgang der Rohstoffpreise ab 2013 beendete dieses (Erfolgszyklus) und leite das Ende der linken Regierungen und den Aufstieg neoliberaler Parteien ein.
Widerstand formiert sich
Je mehr sich der Extraktivismus in Lateinamerika ausbreitete, umso mehr formulierte sich auch die Kritik an dieser Politik, die in dreifacher Hinsicht nicht zukunftsfähig ist. Sie ist weder ökologisch, sozial noch ökonomisch nachhaltig. Ausgangspunkt einer kritischen Auseinandersetzung waren die Betroffenen vor Ort, die es oftmals nicht bei der Kritik beließen, sondern auch aktiven Widerstand leisteten, aus denen heraus sich eine Debatte entzündete, die nicht nur einen Stopp dieses Verdrängungsprozesses forderten, sondern sich Gedanken darüber machten, wie eine alternative Wirtschaftspolitik aussehen könnte. In Lateinamerika wurde insbesondere das Konzept des Buen Viver (des guten Lebens) als eines der Wege aus dem Extraktivismus diskutiert.
Auf dem Weltsozialforum, in Salvador, wird im Rahmen verschiedener Veranstaltungen über alternative Konzepte diskutiert. Diese Debatten sind nicht neu, im Gegenteil. Sie waren auch schon Bestandteil früherer Weltsozialforen. Im Unterschied zu damals haben sie aber an Kraft gewonnen bzw. ihre Stoßrichtung ein wenig verändert. Grund hierfür ist, erstens, dass mit dem Abgang der linken Regierungen, ein (möglicherweise: der) Legitimationsgrund für die Rohstoffausbeutung weggefallen ist: Die Finanzierung von sozialer Entwicklung und Armutsbekämpfung durch den Erlös aus dem Rohstoffverkauf. D. h. ein Ausspielen der sozialen Karte zu Lasten der Umweltkarte ist nicht mehr möglich.
Gut fünf Jahre nach der kritischen Auseinandersetzung mit der Green Economy und dem Einfordern einer Post-Wachstumsgesellschaft , im Rahmen der Rio+20-Konferenz, wird, zweitens, von einer wachsenden Anzahl von Akteuren die Notwendigkeit gesehen, sich konzeptionell stärker damit zu beschäftigen, wie die im Raum schwebenden alternativen Visionen, wie beispielsweise die sozial-ökologische Transformation, konkret umgesetzt werden könnte.
Die Rückkehr neoliberaler Regierungen macht, drittens, deutlich: Eine auf Rohstoffpolitik setzende Politik ist auch in ökonomischer Hinsicht zutiefst unemanzipatorisch. Akzeptiert sie doch die 500-jährigen Austauschbeziehungen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern und zementiert damit die (ökonomische) Abhängigkeit des Südens. Das EU-MERCOSUR-Abkommen ist Ausdruck dieser rückwärtsgewandten Politik, wie in Salvador deutlich wurde. Zugleich gibt es ein wachsendes Bewusstsein, dass solche Handelsabkommen die Konflikte (um Land) zwar verschärfen, die Verhinderung des Abkommens andererseits aber auch nur ein Teilerfolg wäre. Mindestens genauso wichtig ist es, die ihr zugrundeliegende Wirtschafts- und Industriepolitik in Frage zu stellen. Denn immer noch gilt die Reihenfolge: Handelspolitik ist ein Instrument der Außenwirtschaftspolitik (eines Landes), die wiederum im Dienste der nationalen Wirtschaftspolitik steht. Nicht umgekehrt! Lasst uns das Übel bei den Wurzeln packen!