Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament hatten NGOs aus Deutschland den Aufruf "Rettet das Friedensprojekt Europa" verfasst. Er wurde auch von Brot für die Welt mitgetragen. Anlass dafür war unter anderem das massive Missverhältnis zwischen den Ausgaben für militärische Kooperationen und für zivile Krisenprävention und Friedensförderung, das sich in den Plänen der EU-Kommission für den nächsten mehrjährigen Haushalt (2021-27) abzeichnete. 13 Mrd Euro sollen demnach in den neugeschaffenen "European Defence Fund" fließen und weitere 6,5 Mrd Euro für "Militärische Mobilität" ausgegeben werden - zusätzlich zu den Verteidigungsbudgets der Nationalstaaten. Gleichzeitig sollen die Aufgaben für zivile Krisenprävention und Friedensförderung, die im EU-"Instrument für Stabilität und Frieden" des laufenden Haushalts mit 2,3 Mrd Euro bedacht wurden, in den nächsten sieben Jahren mit weniger als 1 Mrd Euro auskommen. Der geplante Umbau der Finanzarchitektur sieht auch ein neues außenpolitisches Förderinstrument "Neighbourhood, Development and international Cooperation Instrument" (NDICI) vor, in dem bisher eigenständige und bewährte Instrumente für Entwicklung, aber auch Budgets zur Förderung von Zivilgesellschaft aufgehen sollen. Hier ist ein Mangel an Transparenz zu befürchten, zumal das neue Instrument auch den flexiblen Einsatz von Mitteln für "Migration" und die Unterstützung von Sicherheitsapparaten in Drittstaaten ermöglicht. So könnte sich der aktuelle Trend zur Versicherheitlichung der Entwicklungs- und Migrationspolitik in den kommenden Jahren noch verstärken, weil der Kommission ein flexibler Zugriff auf die Mittel gestattet wird. Über diese Gefahren und die Frage, wie ParlamentarierInnen und NGO-AktivistInnen damit umgehen sollen, wurde am 19.11. anlässlich der Unterschriftenübergabe in einem Fachgespräch diskutiert, das vom Forum Ziviler Friedensdienst in Kooperation mit der Europaabgeordneten Hannah Neumann (Greens/European Free Alliance) im Parlament veranstaltet wurde. 30 NGOs aus dem EU-Umfeld beteiligten sich an der Veranstaltung. Anschließend wurden die Pakete mit insgesamt 23.161 unterschriebenen Aufrufen an die Vizepräsidentin des EP, Katarina Barley, übergeben.
Kritik an der Versicherheitlichung von Entwicklungs- und Migrationspolitik
Dr. Martina Fischer (Brot für die Welt, Deutschland) und Dion van den Berg (Pax, Netherlands) stellten den Aufruf vor. Die Inputs thematisierten auch den problematischen Trend zur Umwidmung von entwicklungsbezogenen und zivilen Förderinstrumenten für die Ausstattung und Ausbildung ("Ertüchtigung") von Polizei und Armeen in sogenannten Drittstaaten. Im Fokus stand neben dem geplanten neuen Außeninstrument ("NDICI") auch die sogenannte "European Peace Facility", die von zahlreichen NGOs mit besonderer Sorge betrachtet wird. Die Mittel dafür sollen jenseits des EU-Haushalts von den Mitgliedstaaten bereit gestellt werden. Über diese Töpfe können dann - anders als mit dem Gemeinschaftshaushalt - auch Waffen und Munition an Partnerländer (z.B. auf dem afrikanischen Kontinent) geliefert werden, was sich zugleich jeglicher parlamentarischer Mitsprache und Kontrolle entzieht.
Friedenspolitischen Initiativen des Parlaments zur Umsetzung verhelfen
Die ReferentInnen und DiskussionsteilnehmerInnen kamen zu dem Schluss, dass eine große Diskrepanz existiert zwischen den friedenspolitisch konstruktiven Erklärungen von EU-Institutionen einerseits und den aktuellen Finanzplanungen andererseits. Zu den wichtigsten wegweisenden Verlautbarungen zählen z.B. der Gemeinsame Standpunkt zum Rüstungsexport von 2008, der verhindern soll, dass Rüstungsgüter aus EU-Ländern in Krisengebiete gelangen, und eine Resolution des EP vom November 2018, welche diese Restriktionen nochmals bekräftigt. Weiterhin gibt es eine Schlussfolgerung des Europäischen Rats, in der sich die Mitgliedstaaten zum Ausbau der zivilen Friedensmissionen verpflichten (Council Conclusion on Civilian Compact in CSDP, 2018). Und schließlich hat das Parlament im laufenden Jahr noch eine Erklärung zur Stärkung von Mediation und Präventionskapazitäten verabschiedet (Resolution on strengthening Mediation and other Conflict Prevention Capacities, 2019). Der gemeinsame Standpunkt zum Rüstungsexport müsste dringend von den Mitgliedstaaten in nationales Recht überführt werden (Rüstungsexportkontrollgesetz). Dem Appell zur Stärkung ziviler Missionen müssten Taten und vor allem Investitionen seitens der Mitgliedstaaten folgen, und auch die Bereitschaft zur Förderung von Mediations- und Präventionskapazitäten müsste sich faktisch in den Haushaltszahlen niederschlagen. Um diesen konstruktiven friedenspolitischen Ansätzen zur Umsetzung zu verhelfen, so lautete die Quintessenz der gestrigen Diskussionsrunde, sind weiterhin ein langer Atem und Allianzen zwischen ParlamentarierInnen und NGO-AktivistInnen erforderlich. Nur so gibt es eine Chance dafür, die EU als Friedensprojekt - in ihren zivilen Dimensionen und Kapazitäten als Brückenbauerin - wirklich zu entwickeln.