Wenn auch die UN-Staaten hauptverantwortlich für die Umsetzung der - nicht rechtlich verbindlichen – Agenda sind, so war doch bei der Verhandlung und Erstellung des Textes eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft möglich. In einem dreijährigen Prozess waren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an der Formulierung der Ziele beteiligt. Die 2015 verabschiedete Agenda 2030 ist seit 2016 in Kraft, und ihre Umsetzung wird in der jährlichen Berichtskonferenz High Level Political Forum (HLPF) überprüft. Das HLPF findet unter der Schirmherrschaft der UN-Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) statt.
Vielfältige Akteurslandschaft
Im Kontext des ECOSOC wurden klare Rechte für NGOs etabliert, sich an Diskussionen und Prozessen zu beteiligen. Aktuell gibt es ca. 3200 NGOs mit „Konsultativstatus“. Diese sind in „UN Major Groups and other Stakeholders - MGoS“ gruppiert, welche sich im Rahmen der Rio Konferenz 1992 gebildet haben. Zu ihnen gehören:
- Women
- Children and Youth
- Indigenous Peoples
- Non-Governmental Organizations
- Local Authorities
- Workers and Trade Unions
- Business and Industry
- Scientific and Technological Community
- Farmers
- Persons with disabilities
Die Vertreter_innen von NGOs mit Konsultativstatus – wie zum Beispiel Brot für die Welt – haben auch beim HLPF folgende Rechte:
- Teilnahme an offiziellen Treffen
- Zugang zu allen offiziellen Informationen und Dokumenten
- Wortmeldungen in offiziellen Sitzungen
- Unterlagen einreichen und schriftliche und mündliche Stellungnahmen vorlegen
- Empfehlungen abgeben
- am Rande des HLPF Durchführung eigener Veranstaltungen (Side Events und Roundtables) in Kooperation mit Mitgliedsstaaten und dem UN-Sekretariat.
Die in den Major Groups organisierten gesellschaftliche (Interessen-)gruppen repräsentieren von vornherein ein durchaus diverses, kontroverses und spannungsreiches Akteursfeld.
Die Privatwirtschaft verfügt im Rahmen der „Business and Industry Major Group“ über die gleichen Zugangs- und Beteiligungsmöglichkeiten wie alle anderen MGoS. So finden sich auch auf dem HLPF Veranstaltungen von privatwirtschaftlichen Akteuren, zusätzlich zu dem extra für sie eingerichteten „SDG Business Forum“.
Zunehmend sichtbar entwickeln sich auch Kooperationsformen von lokalen und regionalen Regierungen, Städten und Gemeinden, um die Umsetzung der Agenda 2030 voran zu bringen. Notwendig sind hier weitergehende strukturelle Überlegung, wie diese Aktivitäten miteinander verbunden und integriert werden können.
Fragmentierung mindern und Partizipation erhöhen - Berichterstattung auf dem HLPF
Jährlich wird auf dem HLPF sowohl zu einzelnen Nachhaltigkeitszielen als auch von verschiedenen Ländern zu deren nationaler Situation berichtet. Beide Berichtsformate sind leider nicht verbunden, weder thematisch noch zeitlich. Insbesondere die Thematisierung einzelne SDGs führt nach wie vor – wie auch schon bei der Erarbeitung der Agenda 2030 befürchtet – zu einer starken Fragmentierung der Konzepte und Entwicklungsansätze. Wichtig wäre hier ein viel stärkeres Nexusdenken, das ganzheitliche Konzepte beinhaltet und die Wechselwirkungen der Themenfelder, die Widersprüche und die möglicherweise gegenläufigen Ziele beinhaltet. Eine solche Herangehensweise würde dann auch die Vernetzung der einzelnen fachlichen „Communities“ befördern, denn noch immer sind sowohl die Fachpersonen als auch die NGO-Communities stark entlang sektoraler Kriterien organisiert. So trifft sich die Ernährungscommunity jährlich im Oktober beim Welternährungsrat CFS in Rom, die Gesundheitscommunity rund um die Weltgesundheitsversammlung WHA im Mai in Genf etc. Einzig das HLPF bietet die Chance auch einer stärkeren Vernetzung und konzeptionellen Zusammenarbeit dieser verschiedenen Communities und damit eine Minderung der sektoralen Fragmentierung.
Die Länder zeigen erfreulich starkes Interesse daran, auf dem HLPF zu berichten. Ihnen bleibt es frei, wie der Bericht gestaltet ist, welche Schwerpunkte gesetzt und welche Probleme thematisiert werden. Zur Qualität und Sinnhaftigkeit der Berichterstattung gibt es allerdings auch immer wieder Diskussionen und Ideen für eine Reform, denn das Berichten an sich ist noch keine Garantie für hohe Qualität und Vergleichbarkeit. Als roter Faden sollte sich die Berichterstattung am Prinzip »Niemanden zurücklassen« orientieren. Dies würde den Fokus auf das Kernelement der Agenda 2030 lenken und Erfolge und auch Herausforderungen sichtbar machen. Eine weitere Forderung nach Reform des HLPF bezieht sich auf die Mitarbeit der Zivilgesellschaft bei der Berichterstattung. Schattenberichte spielen bisher zwar inhaltlich eine wichtig Rolle, aber sie sind wenig sichtbar im Rahmen des HLPF. Ihnen sollte stärkere Präsenz und Relevanz als Teil des HLPF eingeräumt werden, wie diese z.B. beim UN-Sozialausschuss der Fall ist. Und auch die nationalen Parlamente sollten in den Prozess der Berichterstellung stärker eingebunden und z.B. im Voraus über die Berichtsentwürfe informiert werden.
Erwartungen an den Nachhaltigkeitsgipfel
Die Agenda 2030 ist derzeit im vierten Jahr ihrer Umsetzung. Klar ist, dass die Zielerreichung in verschiedenen Feldern in Frage steht, die Fortschritte zu langsam oder auch überhaupt nicht zu erkennen sind, wie zum Beispiel bei der Bekämpfung des weltweiten Hungers. Im September 2019 wird der 4-Jahres-Bericht Global Sustainable Development Report (GSDR) zur Erreichung der Ziele vorgelegt werden. Es wird damit zu rechnen sein, dass auch dieser Bericht zeigt: Mit einem „Weiter so“ wird die Agenda 2030 nicht realisiert werden.
Am 24. und 25. September 2019 wird im Rahmen der Generalversammlung der Nachhaltigkeitsgipfel in New York stattfinden. Teilnehmen werden – anders als beim HLPF – die Staats- und Regierungschefs. Was ist von diesem Gipfel zu erwarten?
Notwendig wäre ein erneuertes politisches Bekenntnis zur Vision: In was für einer Welt wollen wir leben? Der auf dem HLPF vorherrschende Arbeitsfokus muss ergänzt werden durch die Übernahme von politischer Verantwortung durch die Regierungen. Dies schließt die Finanzierung nach dem Prinzip: gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung (Common But Differentiated Responsibilities) mit ein. Die Diskussionen um Entwicklungsfinanzierung und die Nachhaltigkeitsagenda müssen verbunden werden.
Auf dem Gipfel ist mit einer politischen Erklärung zu rechnen, die das bisherige Instrument der Ministererklärungen ersetzt. Die Ministererklärungen wurden in den letzten Jahren bereits vor dem jeweiligen HLPF verfasst, so dass Ergebnisse des Forums kaum Eingang in die Erklärung gefunden haben. Die Forderung ist hier, auch die Inhalte des HLPF in die Erklärung einfließen zu lassen. Außerdem sollte zukünftig eine substanzielle Teilhabe der UN Major Groups bei der Verhandlung der Minister- / politischen Erklärung ermöglicht werden, ähnlich wie beim Welternährungsrat. Dort werden zum Beispiel FAO-Leitlinien zwar von den Regierungen verabschiedet, aber die Dokumente entstehen in einem intensiven Diskussionsprozess unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und des Privatsektors.
Die Finanzierung der Agenda 2030 wird auf dem HLPF als auch im öffentlichen Diskurs immer wieder mit dem Engagement der Privatwirtschaft verbunden. In diesem Zusammenhang muss deutlich die Unternehmensverantwortung thematisiert werden und durch ein verbindliches Regelwerk wie das UN Treaty for Business and Human Rights gesichert werden. An das Engagement der Privatwirtschaft im Kontext der Umsetzung der Agenda 2030 müssen darüber hinaus Fragen nach möglichen Interessenkonflikte zwischen Profitorientierung und Gemeinwohlorientierung gestellt werden. Sind die in diesem Kontext etablierten Projekte tatsächlich primär armutsorientiert, so wie es die Agenda mit ihrem Prinzip „leave no one behind“ einfordert?
Im September 2019 wird es neben dem Nachhaltigkeitsgipfel auch einen Klimagipfel einen Finanzierungsgipfel und ein High Level Meeting Gesundheit geben. Ganz im Sinne der Agenda 2030 sollten alle diese Ereignisse in einen mehrtägigen Transformationsgipfel überführt werden, der dem Anspruch „Transformation unserer Welt“ gerecht wird.
Das SDG-Denken
Hat sich Nachhaltigkeitspolitik seit der Verabschiedung der Agenda 2030 verändert? Gibt es ein neues "SDG-Denken"?
Die Agenda 2030 als politische Erklärung der UN-Mitgliedsstaaten ist Ausdruck des Bemühens, multilateral und über Sektoren hinweg Entwicklung weltweit zu denken. Dieses Anliegen sollte auf dem Gipfel im September 2019 erneut bestätigt werden.
Durch die Übertragung der Agenda 2030 auf die nationale Ebene werden Regierungen angehalten, die Umsetzung sowohl in ihren Ländern, als auch die externen Auswirkungen des eigenen Handels mitzudenken. In Deutschland hat sich dafür der Begriff „in, mit und durch“ Deutschland etabliert, der die Dimensionen in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie benennt. Dieses systematische Prüfen a) der internationalen Auswirkungen eigenen Handelns und b) des eigenen internationalen Agierens ermöglicht die Chance, Verflechtungen und gegenseitige Abhängigkeiten zu erkennen und gezielt für die weltweite Umsetzung der Agenda 2030 zu nutzen.
Die Agenda 2030 brachte vor allem in den Industrieländern, die nicht im Fokus der Millenniumsentwicklungsziele standen, neue Themen und ihre weltweite Entwicklungsrelevanz in den Blick. So ist es selbstverständlich, dass zum Beispiel die EU-Agrarpolitik im Kontext der weltweiten Nachhaltigkeitsziele zu überprüfen und anzupassen ist.
Die ganzheitliche Umsetzung der Agenda 2030 – alle Ziele sollen gleichermaßen in ihren Zusammenhängen und ihrer Verflechtung angegangen werden – bietet die Möglichkeit, sektorale Fragmentierung zu überwinden und die Kohärenz von Politikfeldern zu erhöhen. Auch institutionell ist dem zu entsprechen zum Beispiel durch interministerielle Gremien und Abstimmungsrunden.
Auch wenn die Zielerreichung noch längst nicht in Sicht ist, sollten die Chancen einer neuen Herangehensweise an weltweite Nachhaltigkeitspolitik, die in der Agenda 2030 liegen, genutzt werden!