Die ARTE Dokumentation „Armes Huhn – armer Mensch Vom Frühstücksei zur Wirtschaftsflucht“ von Simone Bogner und Jens Niehuss zeigt die ganze Palette der Missstände bei der Eier- und Geflügelproduktion in der EU mit fatalen Folgen für Mensch und Tier. Aber auch Alternativen zur Massentierhaltung werden aufgezeigt. Am Beispiel Ghana werden die entwicklungspolitischen Konsequenzen und die schädlichen Wirkungen der EU Exporte für die MästerInnen in Afrika dargestellt und durch Betroffene kommentiert.
Ghana ist für die deutsche Politik ein beliebter Partner -nicht erst seit den Bildern mit Geflüchteten von 2015. Ghana ist auch wichtiger Partner für Deutschland und die EU im Rahmen der großen Zahl von politischen Initiativen, deren Ziel es ist, die wirtschaftlichen Bedingungen in Afrika stark zu verbessern. Dies geschieht jedoch keinesfalls aus einem rein altruistischen Ansatz heraus, sondern dient dem Zweck, dass uns in Europa die Migration von dort dann erspart bleibt. Dabei setzt zum Beispiel die deutsche Regierung auf zwei Dinge: die deutsche Privatwirtschaft und afrikanische Musterstaaten. Letztere Bedingungen erfüllen solche Länder, die schon lange dem neoliberalen Credo von EU und Weltbank folgen und dementsprechend ihre Märkte öffnen, privatisieren und deregulieren. Sie etablieren Steuervergünstigungen für Investoren statt Sozialprogramme und setzen auf Agrarimporte und intensive Exportlandwirtschaft anstatt kleinbäuerliche Produktion für den einheimischen Markt zu fördern. Alle ghanaischen Regierungen seit den 1990 Jahren sind in dieser Hinsicht Musterknaben.
Ghana: Liebelingskind der neoliberalen Agenda
Ob „Marshallplan“, „Compact with Africa“ oder G8 Agrarinitiative: Ghana ist immer Lieblingsbeispiel für eine „marktorientierte“ Entwicklung Afrikas, die Investorenherzen höher schlagen lässt. Ghana schützt Investoren mit bilateralen Abkommen (z.B. mit Deutschland) und hat sich erpressen lassen, ein bilaterales Handelsabkommen mit der EU abzuschließen, um den zollfreien Zugang ghanaischer Agrarexporte auf dem europäischen Markt zu sichern. Es sollte seit 2000, dem Jahr der Wahl von A. Koffour zum Präsidenten, eigentlich ein Entwicklungsmotor der Region sein. Zumal Ghana seit 2010 auch noch zum Ölförderland avanciert und zusätzlich politisch stabil ist, demokratische Spielregeln und Menschenrechte achtet und Meinungs- und Pressefreiheit zulässt. Aber die Fassade vom „weißen Elefanten“ trügt. Während eine städtische Elite tatsächlich profitiert und ihr Wohlstand wächst, steigt die Armut und Arbeitslosigkeit auf dem Land und in den wachsenden Städten. Aber vor allem die Neuverschuldung Ghanas, durch ausgebliebene Öleinnahmen aufgrund eines Preisverfalls, steigt in erschreckendem Maße. Viele Großprojekte liegen auf Eis, trotzdem zwingt die Bodenspekulation rund um die Hauptstadt Accra die Menschen dazu, fruchtbares Land aufzugeben. Dazu kommt, dass die „alten“ Probleme durch die radikale Marktöffnung von Ende der 1990 Jahre verursacht, nicht gelöst sind. Billigwaren aus allen Industriestaaten überschwemmen den ghanaischen Markt und lassen den Aufbau von Kleinindustrien kaum zu, sieht man einmal von der giftigen Suche nach Edelmetallen in den Müllhalden für europäischen Elektroschrott ab, welcher als Gebrauchtgüter oder Nothilfe dort landet und verbrannt wird.
Ausländische Nahrungsmittel überfluten Ghanas Märkte
Besonders markant seit Jahren ist aber die Flut ausländischer Nahrungsmittel, die vor allem in den großen Städten die lokale Nahrungsmittelvielfalt verdrängt. Vielfach beschrieben wurde zum Beispiel die unfaire Konkurrenz italienischer Tomatenerzeugnisse (in Form von Dosen, Tetrapacks oder Plastikverpackungen), obwohl Ghana selbst der größte Tomatenproduzent Afrikas ist (jüngst auch in einer ZDF Dokumentation beschrieben.) beschrieben). Ein anderes fast schon sprichwörtliches Beispiel sind die immer noch steigenden Importe von Hühnerteilen aus der EU, den USA und Brasilien. Die Leidtragenden sind die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Ghana, die, der unfairen Preiskonkurrenz ausgesetzt, ihren Absatzmarkt verlieren. Dabei schafft die Landwirtschaft noch immer die meisten Arbeitsplätze und die größte Wertschöpfung im Land. Doch sie ist für die ghanaischen Eliten und Investoren aus Europa weniger interessant, denn schnelle Gewinne lassen sich nur in Plantagen und Monokulturen machen. Wenn also in Landwirtschaft investiert wird, dann in eine industrielle Intensivlandwirtschaft die Agrarexporte fördert, zeitgleich aber nicht nur den Böden und der Umwelt schadet, sondern auch Arbeitsplätze abschafft und Menschen von ihrem Land vertreibt. Das steigert zwar die Gewinne der Investoren, vergrößert aber die Armut auf dem Land.
Marie Winter, Praktikantin bei Brot für die Welt, gibt im Folgenden noch weiterführende Informationen, warum dieses Beispiel so exemplarisch das Dilemma einer EU Politik beschreibt, die Investoren nach Ghana locken will, aber gleichzeitig durch Marktöffnung für Billigimporte, selbst diesen Investoren den einheimischen Markt verschließt.
Marie Winter:
Die Kumpanei von Ghanas Eliten, Importeuren und der EU
„Die europäische Handelspolitik und ihre negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft und Bevölkerung von weniger entwickelten Ländern werden schon lange von zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter auch Brot für die Welt kritisiert. Das „globalisierte Huhn“ ist dabei ein gutes Beispiel, um auf die wirtschaftsfreundlichen politischen Regelwerke der bi- und multilateralen europäischen Abkommen aufmerksam zu machen.
Schon seit Mitte der 1990er Jahre exportiert die europäische Union tiefgekühlte Hühnerteile nach Afrika, darunter auch nach Ghana. Obwohl die weitreichenden negativen Entwicklungen, die mit den europäischen Exporten einhergehen, heute allseitig bekannt sind, hat sich bisher nichts an den Exportpraktiken der EU geändert. Vielmehr forciert die EU mit bilaterale Handelsabkommen ein „Weiter so“ und steigert die Exportzahlen durch vertraglich vereinbarte Niedrigzölle – ganz im Sinne des Credos eines liberalen Freihandels und vor allem zum Vorteil der europäischen Wirtschaft.
„Angebot und Nachfrage bestimmen die Preise“ – oder doch nicht?
Aufgrund der Preiskonkurrenz auf dem internationalen Markt können die Hähnchenteile verhältnismäßig günstig in Ghana importiert werden. Dennoch belegte die Summe der Ausgaben für Geflügelimporte im Jahr 2017 mit $150 Millionen den ersten Platz unter den Top 5 Importprodukten Ghanas. Für die ghanaische Bevölkerung war schon vor den Importen das einheimische, frisch geschlachtete ganze Hähnchen meist zu teuer. Heute ist das einheimische Fleisch eine Rarität, denn kaum noch jemand mästet Hähnchen - die Produktionskosten sind hoch und somit der Verkaufspreis zu teuer, als dass mit der Importware konkurriert werden könnte.
Ein Kilo europäischer Exportware, also Hähnchenreste die bei uns nicht mehr vermarktungsfähig sind (Schlegel, Keule, Hals, Innereien), kostet auf dem ghanaischen Markt oft noch nicht einmal 1,70€ pro Kilo. Ein einheimisches Huhn mit ca. 2kg Gewicht kostet hingegen mit rund 8,50€ mehr als das Doppelte. Den großen Gewinn am Importgeflügel macht der ghanaiche Importeur, denn er bezieht das tiefgekühlte Fleisch für durchschnittlich nur rund 70 Cent das Kilo aus den USA, Brasilien oder der EU; wenn er es für 1,60€ an die Marktfrauen weiterverkauft, beläuft sich sein Gewinn (abzüglich Zoll) auf circa 0,60€ pro Kilo (berechnet mit 35% Zoll auf 1kg Ware).
In den letzten Jahren sind die Importpreise für Hähnchenteile in Ghana relativ stabil geblieben, während der Preis auf den Märkten mit dem langsamen Verschwinden eines lokalen Angebotes kontinuierlich steigt und damit die Gewinne der Importeure. Inzwischen haben sich die Fleischimporteure eine Monopolstellung „erarbeitet“, sie erlaubt es ihnen den Kilopreis "nach Lust und Laune" zu verändern. Mit jeder allgemeinen Erhöhung der Nahrungsmittelpreise schlagen sie auf oder sie verzichten auch darauf, wenn der Preis nicht durchsetzbar ist, weil anderes Fleisch oder Fisch billiger sind. So wurde die 2015 Erhöhung des Importzolls von 20% auf 35%, aufgrund der Einführung eines Gemeinsamen Außenzolls der westafrikanischen Union, nicht weitergegeben. Der EU Exportpreis für die Hähnchenreste ist demzufolge nicht markt- oder kostengebunden und inflationsunabhängig, was den Aspekt der „Entsorgung via Export“ noch einmal verdeutlicht. Sollten einheimische Mäster wieder versuchen den Markt zu betreten und ihre Hähnchen anzubieten, ist es ein Leichtes für die Importeure ihre Waren wieder billiger anzubieten und somit die Mäster ein weiteres Mal vom Markt zu verdrängen. Daher ist es schon fast zynisch, wenn Entwicklungsagenturen (US-AID), aber auch die ghanaische Regierung immer wieder Projekte initiieren, um die lokale Geflügelwirtschaft neu aufzubauen, zum Beispiel durch bessere Ausbildung oder gar Subventionen für die Futtermittel oder Eintagesküken. Mit den Importpreisen aus den Resterampen der EU, USA und Brasiliens von durchschnittlich 0,70 Cent pro Kilo könnte auch eine Massentierhaltung in Ghana mit Billigsoja aus Südamerika, wie in den USA oder der EU nicht konkurrieren. Ein Kilo geschlachtetes Geflügelfleisch verursacht in der EU schon Kosten von mindestens 1,10 Euro ab Schlachthaus. Der Mäster in der EU erhält pro Kilo 79 Cent für seine Kosten vom Schlachthaus und für einen kleinen Gewinn von eins bis zwei Cent.
Solange die Importeure sich absprechen und das importierte Fleisch trotz des niedrigen Importpreises so hoch halten, dass sie große Gewinne abschöpfen und dennoch so niedrig anbieten, dass ein lokales Angebot nicht konkurrieren kann, bleiben sie die einzigen „afrikanischen“ Gewinner der Importe. Die VerbraucherInnen zahlen viel mehr, als die Importkosten ausmachen und die einheimischen Tierhalter sind ruiniert. Abgesehen von den Gesundheitsrisiken, die gefrorenes Fleisch ohne Kühlkette mit sich bringt. Mit der Verdrängung einheimischer Mastbetriebe und dem strukturellen Abstieg der ghanaischen Geflügelwirtschaft ist aber auch ein wichtiger Arbeitgeber verloren gegangen, wie in der ARTE Dokumentation aufgezeigt wird.
Handelsabkommen zementieren die Kontrolle afrikanischer Märkte und Ressourcen durch europäische Konzerne
Hier kommen nun auch die europäischen Freihandelsabkommen ins Spiel: die Economic Partnership Agreements (EPAs). Sie sollen die Armut in den Partner- und Vertragsländern des globalen Südens reduzieren und das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Unter diesem Vorwand versucht die EU seit 2002, ein regionales EPA mit der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) abzuschließen. Nach Jahren zäher Verhandlung und massiven Drucks aus Brüssel wurde 2014 der gemeinsame Verhandlungstext angenommen. Nach Unterzeichnung aller Regierungs- und Staatschefs hätte das ECOWAS-EPA ratifiziert werden können. Nigerias Präsident verweigert jedoch bis heute die Unterschrift, weil er die nigerianische Wirtschaft, die weitaus stärkste in Westafrika, durch die Freihandelsregelungen bedroht sieht. Als hätte die Europäische Kommission dies geahnt, drohte sie allen anderen westafrikanischen „mittleren Einkommensländern“, neben Cote d’Ivoire auch Ghana, mit Strafzöllen und dem Verlust ihres präferenziellen Marktzugangs sollten sie die bereits 2008 ausgehandelten bilateralen Zwischen-Abkommen nicht zeitnah ratifizieren (die WTO „erlaubt“ Industriestaaten nur den 50 ärmsten Staaten der Welt -LDCs- einen einseitigen zollfreien Marktzugang zu gewähren, das heißt ohne gegenseitige Marktöffnung). Die EU nennt ihre Präferenz „Alles außer Waffen“. Da Ghana nicht zu den ärmsten Staaten gehört, kann die Europäische Union Zölle auf ghanaische Waren erheben. Wegen des Drucks der Eliten im eigenen Land, welche meist große Anteile im Agrarrohstoffexportgeschäft in die EU besitzen, ratifizierte Ghana dieses Zwischenabkommen.
Zollerhöhungen gegen billige EU Agarexporte nicht mehr erlaubt
Das Freihandelsabkommen wird langfrisitg einen weitestgehend gegenseitigen zoll- und quotenfreien Marktzugang ermöglichen. Aus Angst vor einer Importflut europäischer Waren, hat sich die ghanaische Regierung in den Verhandlungen für das Interims-EPA das Recht erkämpft, insbesondere auf landwirtschaftliche Produkte aus der EU einen Zoll zu erhalten, um den einheimischen Markt zu schützen. Für dieses Zugeständnis wurde jedoch gleich die „Stillhalteregelung“ (Artikel 15) in den Vertrag geschrieben- sie verbietet es den Vertragsparteien die Zölle anzuheben, wie es normalerweise innerhalb bestimmter Grenen von der WTO erlaubt ist. Das bedeutet, dass Ghana zwar den vereinbarten Zoll auf EU-Agrarprodukte weiter erheben kann, anders als für 80% der restlichen Produkte, deren Zölle innerhalb von 20 Jahren ganz abgebaut werden müssen. Aber Ghana darf seine Agrarzölle nicht mehr gegenüber der EU anheben, außer in Ausnahmefällen, wenn plötzlich neue bllige EU Produkte den Markt überschwemmen. Die Souveränität, weiterhin über ein notwendiges flexibles Zollinstrument zu verfügen, wurde der ghanaischen Regierung also verweigert. Zusätzlich darf die ghanaische Regierung ihren Zoll mit der EU auf den gemeinsamen ECOWAS-Außenzoll nicht angleichen. Die Folge: In der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft werden unterschiedliche Außenzölle fällig. Die Zoll- und Handelsunion wird dementsprechend geschwächt und in Stücke zerpflückt. Während in allen Ländern Westafrikas 35% Zoll auf Hühnerfleisch erhoben wird, dürfen EU Hühner für 20% in Ghana importiert werden, so sieht es das EPA vor! Die Hühnerteile aus den USA und Brasilien zahlen aber weiter 35%. Die Markteroberung von EU Fleischteilen beschränkt sich aber nicht auf Ghana, sondern wegen dem Fehlen von Zollgrenzen zu den Nachbarstaaten eben auch auf den ganzen westafrikanischen Wirtschaftsraum.
Die Inkohärenz zwischen europäischer Handels- und Entwicklungspolitik wird hier sehr deutlich: Die Förderung und Entwicklung nachhaltiger Strukturen wird zugunsten der Sicherung zukunftsfähiger Absatzmärkte für europäische Unternehmen einfach ausgehebelt.