Über diese Bedrohung, ihre Folgen und mögliche Handlungsoptionen, um dem Trend entgegenzuwirken, diskutierten die Teilnehmenden der Konferenz Diakonie und Entwicklung (KDE) am 9. und 10. Oktober in Düsseldorf mit verschiedenen Gästen aus dem In- und Ausland. Die Konferenz ist das höchste Beschlussgremium des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung (EWDE), zu dem die Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe gehören.
Repressionen gegen Menschenrechtsverteidigerinnen
Einen Überblick über die Situation der Gewalt und Repression gegen Frauen und Frauenbewegungen weltweit gab Marusia Lopez Cruz, Frauenrechtsaktivistin und Mitglied des internationalen feministischen Netzwerks Jass (Just Associates). Frau Lopez Cruz setzte den Fokus auf Menschenrechtsverteidigerinnen in Lateinamerika, die unter höchstem persönlichem Einsatz gegen die Zerstörung ihrer Umwelt und Gemeinschaften durch internationale Bergbau-, oder Ölkonzerne kämpfen. Sie werden in vielen Ländern von Militär, Polizei und anderen Staatsorganen bedroht, verhaftet, misshandelt - und sogar ermordet. Häufig werden solche Verbrechen auch von organisierten Kriminellen oder paramilitärischen Milizen begangen. Auch männliche Menschenrechtsverteidiger sind von Gewalttaten betroffen. Aktivistinnen sind jedoch besonders gefährdet. „Sie sind persönlichen Diffamierungen und Hass ausgesetzt, leider auch in ihren eigenen Familien und Organisationen. Dem müssen wir entgegenwirken“, sagte Frau Lopez Cruz. Durch ihren Aktivismus brechen die Frauen mit der traditionellen Rolle, was Widerstand hervorruft. Die gegen sie ausgeübte Gewalt ist häufig sexualisiert und soll ihr Engagement verhindern.
Der Mord 2016 an der Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres, die sich für die Rechte indigener Völker und den Erhalt ihrer natürlichen Umwelt in Honduras einsetzte, ist leider nur ein Fall unter vielen. Allein in Mexiko und Zentralamerika wurden zwischen 2012 und 2016 mindestens 42 Menschenrechtsverteidigerinnen ermordet. Die meisten von ihnen mussten sterben, weil sie ihr Land verteidigten, gegen Gewalt und Straflosigkeit kämpften und/oder Menschenrechtsverletzungen anprangerten. Vielerorts in der Region ist das ohnehin geringe Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Organe völlig verloren gegangen. Frauen suchen Alternativen zum Kapitalismus, weil er sie besonders ausbeutet. Der Neoliberalismus in Lateinamerika hat dazu geführt, dass soziale Rechte und staatliche Führsorge drastisch abgebaut wurden. Eingesprungen sind die Frauen, um die entstandenen Lücken zu füllen. Sie sind es, die sich in dieser Situation an die Spitze zivilgesellschaftlicher Initiativen setzen und nach alternativen Lebensformen suchen. Frau Lopez Cruz berichtete von einer Gemeinschaft in Honduras, die sich von ihrem Land inmitten einer Ölpalmenplantage nicht vertreiben lässt und den Kontakt zu sämtlichen staatlichen Stellen und Institutionen abgebrochen hat. Frauen in Lateinamerika suchen nach Wegen, Leben und Natur in Einklang zu bringen und zu schützen. Das ist gemeinschaftsbezogener Feminismus für sie.
„Deutschland ist kein Vorbild für Gleichberechtigung“
Das war das Fazit von Prof. Dr. Ulrike Lembke, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt Universität zu Berlin. Sie wies darauf hin, dass sich Geschlechterstereotype in Deutschland eher verfestigen als auflösen. Das zeigt sich bei der Berufswahl. Frauen wählen nach wie vor schlecht bezahlte frauentypische Berufe. Die damit verbundene geschlechtliche Prägung beginnt im Kindesalter. Von der Industrie wird dies kräftig unterstützt, indem sie parallele Märkte schafft, für Mädchen und für Jungen. Das ist lukrativ und setzt sich deshalb in den Angeboten für Erwachsene fort. Rechtspopulist*innen nutzen die auf diese Weise verfestigten Stereotype als Brücke in die Mitte der Gesellschaft, in der traditionelle Geschlechterrollen und Arbeitsteilung verankert sind und die Verteidigung der aus Vater, Mutter und Kind bestehenden Familie in auf viel Zustimmung trifft.
Frau Lembke nannte eine gesicherte Existenz, Freiheit von Gewalt und persönliche Autonomie als Voraussetzung für demokratische Teilhabe. Sie führte aus, dass die existierenden gesetzlichen Grundlagen in Deutschland nicht ausreichen, um Frauen volle demokratische Teilhabe zu ermöglichen. Als Beispiele nannte sie die Regelungen zur Elternzeit oder das neue Gesetz zur Brückenteilzeit, die traditionelle Geschlechterrollen nicht genügend aufbrechen und eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen nicht gewährleisten. Ebenso wenig ist es in Deutschland gelungen, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Die Zahl der Frauenmorde hat auch in Deutschland zugenommen. Die rechtlichen Regelungen sind größtenteils wirkungslos geblieben, was auch an fehlender Finanzierung beispielsweise der Frauenhäuser liegt. Stattdessen ist besonders seit der Silvesternacht in Köln 2015/16 eine rassistische Vereinnahmung der Gewalt zu beobachten, von der wir uns deutlich abgrenzen müssen. Außerdem ist es bisher nicht gelungen, gegen digitale Gewalt, besonders gegen sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Netz, wirksam vorzugehen.
Das Verschwinden der Frauen aus der Lokalpolitik, die in der Regel nach Feierabend stattfindet, wenn sich noch immer mehrheitlich Frauen sich um Kinder kümmern, bezeichnete Frau Lembke als „Alarm für die Demokratie.“ Auch im Bundestag sind Frauen mit nur 31 Prozent unterrepräsentiert, in den Landtagen sind sie zwischen 20 und 40 Prozent vertreten. Demokratische Teilhabe in Deutschland ist für Frauen, die nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern wegen einer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Hautfarbe und/oder ihres Migrationshintergrundes benachteiligt werden, besonders schwer zu erreichen. Sie müssen jedoch ebenfalls Gleichberechtigung erfahren und am öffentlichen Diskurs teilnehmen können, wenn Demokratie funktionieren soll.
Die Gleichstellungspolitik der Europäischen Union (EU) ist aktuell ebenfalls wenig fortschrittlich. Das war nicht immer so. Frau Lembke berichtete von einer Initiative der Europäischen Union, eine innovative Gleichstellungspolitik auf den Weg zu bringen. Leider scheiterte der Versuch u.a. aufgrund des Widerstandes der damaligen Bundesregierung. Es bleibt abzuwarten, ob sich daran in Zukunft etwas ändern wird.
Feminismus im Visier von Rechts
Der im rechten Milieu grassierender Antifeminismus zeigt sich besonders deutlich im Umgang mit Frauen im Netz. Während Beiträge, die von Männern stammen, zwar kritisch kommentiert werden, bleiben die Kommentare in der Regel jedoch sachlich. Dagegen machen Frauen, besonders Journalistinnen und Politikerinnen ganz andere Erfahrungen. Sie werden als Personen diffamiert und abgewertet, auf sexualisierte Weise angegriffen und mit Vergewaltigung und Mord bedroht. Der Journalist und Autor Christian Jakobs bestätigte den Bericht von Marusia Lopez Cruz mit Beispielen aus Deutschland und Europa.
Rechtspopulismus und der ihm innewohnende Antifeminismus bedrohen Frauenrechte. Viele Regierungen, Parteien und Gruppierungen, die eine offene und lebendige Zivilgesellschaft bekämpfen und einschränken möchten, sind gleichzeitig antifeministisch. Sie fallen durch heftige Gender-Kritik auf und halten an tradierten Geschlechterverhältnissen und -rollen fest – auch in Deutschland. Herr Jakob erinnerte an die Publikation eines Lehrbuchs über sexuelle Vielfalt einer Kassler Wissenschaftlerin. Sie wurde danach massiv bedroht und musste ihr Büro schließen. Auch in Frankreich sind die Gender-Wissenschaften und ihre Vertreter*innen ins Visier rechter Populist*innen geraten. Im Ungarn Viktor Orbans wurden Gender Studies inzwischen sogar ganz aus den Universitäten verbannt, weil sie angeblich eine Bedrohung für die traditionellen Werte, besonders der Familie darstellen. Sexualaufklärung für Jugendliche, das Recht auf Abtreibung sowie geschlechtliche und sexuelle Vielfalt stehen im Zentrum der antifeministischen Attacken. Sie gehen von der Lebensschutz-Bewegung aus, von Kirchen, Populist*innen und Rechtsextremen. Gemeinsam ist all diesen Gruppierungen eine völkische Perspektive. Die Übergänge zwischen den Gruppierungen sind dabei fließend.
Wir sind es gewohnt, rechte Bewegungen mit Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit in Verbindung zu setzten. Der Antifeminismus ist jedoch ein weiteres Element des rechten Diskurses. Darauf wies Dr. Ines Kappert, Leiterin des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung hin. Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus dienen dazu Menschen als „fremd“ und als „anders“ abzuwerten. „Feminismus wird als Meinung diskreditiert“, sagte Frau Kappert. Dabei haben feministische Perspektiven und Ansätze gesellschaftspolitische Debatten befeuert und bereichert. Feministische Perspektiven und Wissenschaft zielen darauf ab, (geschlechter)gerechte demokratische Gesellschaften zu verwirklichen - vielfältig und offen. Feminismus dient der Erfüllung eines Verfassungsauftrags, nämlich dem der Gleichberechtigung, der von demokratischen Institutionen umgesetzt werden muss. Dies geschieht jedoch nicht. Wie Frau Lopez, wies auch Frau Kappert darauf hin, dass die eigenen Institutionen in den Blick genommen werden müssen, um zu prüfen, ob sie nicht einen Resonanzraum für rechte Bewegungen darstellen. Bisher ist die institutionelle Ebene vernachlässigt worden und entsprechend fehlen hier die notwendigen Antidiskriminierungskompetenzen.
Dem Trend entgegenwirken
Aktivistinnen haben Netzwerke geschaffen, die gegenseitige Unterstützung und Solidarität ermöglichen. Frau Lopez Cruz erwähnte als Beispiel ein mittelamerikanisches Netzwerk von Menschenrechtsverteidigerinnen (Iniciativa Mesoamericana de Mujeres Defensoras de Derechos Humanos). In der Regel wissen die Frauen, wie sie sich schützen können. Auf institutionelle Veränderungen, Zufluchtsorte und Notfallfonds können sie trotzdem nicht verzichten. Vor diesem Hintergrund ist es alarmierend, wenn das deutsche Innenministerium Aktivist*innen aus Krisengebieten keine Visa erteilt. Diese Erfahrung hat beispielsweise die Heinrich-Böll-Stiftung gemacht. Die Rückkehrprognose der Eingeladenen ist wichtiger gewesen als der Austausch. Hier findet eine Verschiebung von Prioritäten statt, auf die die kritische Zivilgesellschaft mit verstärkter Lobbyarbeit reagieren muss.
Lobbyarbeit ist ebenfalls notwendig, um die weltweite Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, die auch durch den Einsatz von europäischem Kapitel geschehen. Auch deutsche Unternehmen sind der Einhaltung von Menschenrechten im Ausland verpflichtet. Eine Lieferkettenkampagne, an der Brot für die Welt beteiligt ist, fordert diese Verantwortung ein.
Das Ausmaß sexualisierter Gewalt im Kontext der Digitalisierung nimmt zu, dient der Einschüchterung von Aktivist*innen und erfolgt ohne Regulierung und straffrei. Schlimmste Beleidigungen und Drohungen werden als zulässige Meinungsäußerungen gewertet. So jedenfalls stufte das Landgericht Berlin kürzlich die Diffamierungen der Grünen-Politikerin Renate Künast bei Facebook ein. Obwohl Betroffene Anzeige erstatten und die Kommentare zurückverfolgt werden können, verlaufen die meisten Anzeigen im Sand, weil die Justiz sie nicht priorisiert. Hier besteht Handlungsbedarf, den zivilgesellschaftliche Akteure bei der Politik konsequent einfordern sollten.
Die Diskussionsveranstaltung in Düsseldorf machte wiederholt deutlich, dass der Antifeminismus dem rechten Diskurs eine Brücke in die Mitte der Gesellschaft baut. Alle demokratischen Kräfte müssen sich von diesem Diskurs deutlich abgrenzen. Netzwerke und Bündnisse erhöhen dabei die Sichtbarkeit. Kirche und Diakonie dürfen sich nicht zurückhalten. Sie müssen ihre politischen und theologischen Argumente schärfen und sich mit klarer Spreche nicht nur gegen Antisemitismus und Rassismus positionieren, sondern auch den Antifeminismus anprangern. Wie wichtig es ist, dabei auch die eigenen Institutionen kritisch in den Blick zu nehmen und als Vorbild zu fungieren, wurde in der Diskussion mehrfach betont.
Wir brauchen feministisches Wissen und Expertise für die Gestaltung von Demokratie. Geschlechtergerechtigkeit ist eine politische und gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, die uns alle angeht.