Herr Tiwana, CIVICUS weist in diesem Jahr fast doppelt so viele Staaten wie 2017 aus, in denen der Raum für die Zivilgesellschaft „offen“ ist. Achten so viele Regierungen neuerdings die Grundrechte?
Nein. In einigen Ländern gibt es zwar Lichtblicke. Doch dass es heute mehr Länder gibt, die wir als „offen“ einstufen, liegt an einer geänderten Methodik des CIVICUS-Monitors. (Erläuterung siehe unten)
Birgt das nicht die Gefahr, dass Menschen denken, die politische Lage sei besser geworden?
Wir wollen unsere Methodik optimieren, wann immer das möglich ist. Die Entscheidung fiel nach einer Überprüfung der Formel durch einen externen Spezialisten für quantitative Datenanalyse.
Die Fallzahlen im CIVICUS-Monitor sind eher niedrig. Fürchten Sie nicht, dass Menschen sagen: Oh, im ganzen Jahr wurden auf der Welt nur 125 Demonstrationen von der Polizei aufgelöst – das ist kein allzu großes Problem?
Im CIVICUS Monitor präsentieren wir nur illustrative, von uns einzeln überprüfte Fälle. Diese Fallzahlen selbst mögen klein erscheinen. Aber sie sind beispielhaft für die weltweite Erosion der Grundfreiheiten. Die hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Möglichkeiten zu politischem Widerstand.
Wenn Sie an die jüngsten Entwicklungen in Italien, Ungarn und Polen denken – verliert Europa derzeit selbst seine Achtung vor den Grundfreiheiten?
Die Entwicklungen in diesen Staaten sind in der Tat besorgniserregend – auch, weil die EU ein Verfechter der Menschenrechte und der demokratischen Werte auf der ganzen Welt war. Solche Entwicklungen schwächen natürlich die Botschaft der EU zur Notwendigkeit, den Civic Space zu schützen.
Wie kann eine Organisation wie „Brot für die Welt“ ihren bedrängten Partnerorganisationen helfen?
Wir dürfen niemals die Macht der Solidarität über die Grenzen hinweg unterschätzen. Vielen Aktivistinnen und Aktivisten sowie Organisationen hilft in Krisenzeiten allein schon, dass ihre Kollegen auf der ganzen Welt die Legitimität ihres Kampfes anerkennen und für sie aufstehen. Auch Druck durch demokratische Regierungen und multilaterale Institutionen sind von entscheidender Bedeutung, denn auch Regierungen, die wenig Respekt vor den Menschenrechten zeigen, wollen sich auf der internationalen Bühne nicht schämen.
Mandeep Tiwana leitet den Bereich Politik und Forschung bei der globalen zivilgesellschaftlichen Allianz CIVICUS in New York.
Über die neue Berechnungsmethode
CIVICUS hat im März 2018 die Berechnungsmethode minimal modifiziert. Die Grunddaten des Monitors, die auf Berichten aus der ganzen Welt basieren sowie Recherchen von CIVICUS, werden seitdem mit der veränderten mathematischen Berechnungsformel aufbereitet. Sie vermeidet nun Ungenauigkeiten beim Auf- und Abrunden. Das wirkt sich auf die Einteilung von Staaten aus, die knapp an der Grenze zu einer anderen Kategorie lagen. Die deutlichsten Veränderungen gab es zwischen den Kategorien „offen“, „beeinträchtigt“ und „beschränkt“.
2018 wurden 44,6 Prozent aller Staaten in die Kategorien „offen“ und „beeinträchtigt“ eingruppiert. Nach der neuen Berechnungsmethode ist ihr Anteil leicht gesunken auf 43,9 Prozent.