„Wir merken, dass sich unsere Welt rapide verändert. Die internationale Ordnung gerät ins Wanken, die friedenssichernden Systeme der Vereinten Nationen sind an ihre Grenzen geraten, die Kluft und Ungleichheit zwischen arm und reich wächst weltweit an, neue Waffensysteme machen die Welt unsicherer. Europa ist umgeben von Krisen und Kriegen. Sicherheit erreichen wir nicht durch militärische Gewalt. Es gibt Alternativen – und dafür müssen gerade wir Kirchen einstehen.“
Mit diesen Worten begründete Renke Brahms, Friedensbeauftragter beim Rat der EKD, die inhaltliche Schwerpunktsetzung des diesjährigen Synodentreffens. Die Friedenssynode solle „ein weiterer Schritt dahin sein, das Schlüsselthema Frieden zu diskutieren und mit starker Stimme in die Gesellschaft zu wirken“. Es bestehe ein dringender Bedarf für eine friedenspolitische Positionierung seitens der EKD. Brahms stellte am 11. November einen Entwurf für die spätere Kundgebung vor, der sich auf die Expertise aus kirchlichen und kirchennahen Forschungsinstituten, Hilfswerken und Friedensnetzwerken stützte, denn die EKD hatte diese in einen zweijährigen Konsultationsprozess eingebunden. Er wies darauf hin, dass sich der Text eng an der Denkschrift der EKD "Aus Gottes Frieden leben - Für gerechten Frieden sorgen" (2007) orientiere. „Das Leitbild des gerechten Friedens, die enge Verbindung von Frieden und Gerechtigkeit und von Frieden und Recht, der Vorrang der zivilen und gewaltfreien Instrumente der Konflikttransformation und der Einsatz militärischer Mittel als äußerstes Mittel (ultima ratio) unter engen Kriterien prägen diese Denkschrift.“ Sie habe 2007 wichtige Grundlagen geliefert, diese müssten jedoch immer wieder neu auf aktuelle politische Herausforderungen bezogen werden. Seither habe sich „die Welt und damit die friedensethische Herausforderung schon wieder verändert“. Eine Kundgebung müsse zu Selbstvergewisserung und Selbstverpflichtung beitragen und sich zugleich in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs einbringen, wenn die Kirche mit diesem Thema glaubwürdig sein wolle. „Was für den Frieden als Prozess und Weg insgesamt gilt, gilt auch für einen solchen Text: wir sind auf dem Weg. Wir ringen um die richtigen Antworten auf die vielfältigen Herausforderungen. (...) Als Kirche sollten wir gerade in den aktuellen Kontexten einen Raum für eine konstruktive Auseinandersetzung bieten und damit auch die Demokratie stärken.“
Kundgebung: „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“
Zwei Tage lang wurde recht kontrovers debattiert. Auf weite Teile der Kundgebung konnte man sich einigen und hat diese dann vor allem redaktionell geschliffen. Eindeutig verhält sich die Kundgebung zur „Klimagerechtigkeit“, wobei sich die EKD für ein entschiedenes Engagement von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ausspricht, die ökologischen Grenzen des Planeten wahrzunehmen und diesen zu schützen. "Eine gerechtere, ressourcen-schonendere und die Würde aller Menschen achtende Weltordnung ist der wichtigste Beitrag für mehr globale Sicherheit und weniger Konflikte", so heißt es in der Präambel. Einige Teile des Entwurfs jedoch erwiesen sich als strittig und wurden neu formuliert. Das betraf vor allem die Frage, ob die deutsche Regierung den Atomwaffenverbotsvertrag, der inzwischen von 122 UN-Mitgliedsstaaten getragen wird, ebenfalls unterzeichnen und den Abzug der noch auf deutschem Boden befindlichen Atomwaffen betreiben sollte. Einige kirchliche Gruppen und Organisationen - darunter das ökumenische Netzwerk „Church and Peace“ und die „Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden“ - hatten sich dafür stark gemacht und die Synode aufgerufen, sich zu dieser Frage eindeutig zu verhalten. Die Synodenkundgebung, die nun von der EKD veröffentlicht wurde, hat den Erwartungen aus der kirchlichen Friedensbewegung allerdings nicht entsprochen. Sie enthält zu dem brisanten Thema nur eine unverbindliche Richtungsangabe.
Ächtung von Atomwaffen und Killer-Robotern
In der Kundgebung wird ausgeführt, Atomwaffen seien Massenvernichtungswaffen und damit „eine existentielle Bedrohung des gesamten menschlichen Lebensraums.“ Politisches Ziel bleibe eine Welt ohne Atomwaffen. (…) Je länger Atomwaffen produziert, modernisiert, weiterentwickelt und einsatzbereit gehalten werden, desto größer ist die Gefahr, dass es zu einem Einsatz von Atomwaffen oder zu einem katastrophalen Unfall kommt. Es hat sich gezeigt, dass der Atomwaffenbesitz vor Angriffen mit konventionellen Waffen nicht schützt. Dass auch vom deutschen Boden (Büchel) atomare Bedrohung ausgeht, kann uns nicht ruhig lassen. Die Tatsache, dass es noch immer ca. 16.000 Atomsprengköpfe auf der Welt gibt und in den vergangenen Jahren keine Abrüstung im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages gelungen ist, zeigt, dass der Atomwaffenverbotsvertrag überfällig ist, der 2017 aufgrund einer Resolution der UN-Generalversammlung ausgehandelt wurde.“ Der Text der Kundgebung beschränkt sich auf die Empfehlung an die Bundesregierung, „konkrete Schritte einzuleiten mit dem Ziel, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen“. Dies setze „Gespräche und Verhandlungen mit den Partnern in NATO, EU und OSZE voraus“, über eine Weiterentwicklung des Atomwaffenverbotsvertrags und seine Überprüfungsmechanismen, über ein Aussetzen der Modernisierung, und über neue Bemühungen für Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Der letzte Abschnitt der Kundgebung bezieht sich auf neue Waffentechnologien. Hier wünscht sich die EKD eine völkerrechtliche Ächtung von "autonomen Waffen, die der menschlichen Kontrolle entzogen sind" und sie appelliert an die Bundesregierung, sich für ein verbindliches Verbot von autonomen Waffensystemen einzusetzen. Außerdem unterstützt sie die internationale Kampagne „Stop Killer Robots“ zur Ächtung sogenannter Killer-Roboter.
Gewaltfreiheit, Nachhaltigkeit und Europäische Verantwortung
Die Kundgebung beginnt mit der Jahreslosung „Lass ab vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps 34,15) und stellt fest, "als Christinnen und Christen, die sich im Gottesdienst und im Gebet in den Frieden Gottes stellen, haben wir Anteil an der Friedensbewegung Gottes in diese Welt hinein. Sie bildet den Ausgangspunkt und den Kern der Friedenstheologie und -ethik, die wir als christliche Kirchen in das Ringen um den Frieden in der Welt einbringen.“ Die Präambel umreißt aktuelle Friedensgefährdungen, ethische Prinzipien und spirituelle Herausforderungen, mit denen die Kirche sich und die Gläubigen konfrontiert sieht: die Krise des Multilateralismus, Terrorismus, Bürgerkriege, gravierende Menschenrechtsverletzungen, hybride Kriegsführung, Kriegsführung im Cyberraum, Entwicklung autonomer und teilautonomer Waffensysteme, Konflikte in Folge des Klimawandels, sowie eine starke Ernüchterung angesichts militärischer Interventionen. Aber auch eine wachsende Erfahrung und Kompetenz in ziviler Konfliktbearbeitung gehörten zu diesen Entwicklungen.
In einem Abschnitt zur Gewaltfreiheit knüpft die Kundgebung an die Positionen der EKD-Denkschrift von 2007 an. Es wird betont, das Leitbild des Gerechten Friedens setze die Gewaltfreiheit an die erste Stelle: „Das wollen wir im Gebet, im eigenen Friedenshandeln und im gesellschaftlichen Dialog immer weiter einüben. Wir rufen die politisch Verantwortlichen dazu auf, militärische Gewalt und kriegerische Mittel zu überwinden. Vom Gerechten Frieden her zu denken heißt, den Grundsatz zu befolgen: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor.“ Deshalb setzen wir uns mit ganzer Kraft für die Vorbeugung und Eindämmung von Gewalt ein.“ Aufgrund der positiven Erfahrungen mit Prävention und ziviler Konfliktbearbeitung sollten Ausbildung und Einsatz von Friedensfachkräften gestärkt werden, und für den Ausbau der Friedens- und Konfliktforschung müsste die dafür notwendige finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Weiterhin heißt es: „Prävention ist die nachhaltigste Form der Friedenssicherung. Deshalb fordern wir die Priorisierung von Haushaltsmitteln des Bundesetats – mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes – für entwicklungspolitische Maßnahmen, für die Bekämpfung von Gewaltursachen, für Krisenprävention, für gewaltfreie Konfliktbearbeitung und für Nachsorge und zivile Aufbauarbeit in Krisenregionen.“
Im Abschnitt Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz heißt es, die Kirche müsse sich für das Erreichen der von den Vereinten Nationen 2015 in Paris beschlossenen Klimaziele einsetzen und auch „das eigene kirchliche Klimaschutzhandeln“ konsequent weiter entwickeln. Die Kirche engagiere sich für eine Ethik, eine Ökonomie und einen Lebensstil des Genug und für eine Verzahnung von Friedens- und Nachhaltigkeitsdiskursen in Kirche und Gesellschaft. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „die im Koalitionsvertrag gesetzten Klimaschutzziele endlich entschieden umzusetzen. Die bislang getroffenen Maßnahmen, verabschiedeten Gesetze wie auch die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie reichen bei weitem nicht aus. (…) Weiterhin muss die Bundesregierung ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden und dauerhaft ausreichende Mittel für die internationale Klimafinanzierung, insbesondere für die Prävention vor und die Kompensation von klimabedingten Schäden und Verlusten, zur Verfügung stellen." Im Abschnitt zum gesellschaftlichen Frieden wird ein entschiedenes Vorgehen gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung gefordert und auf die Friedenspotenziale der Religionen hingewiesen. Die Kirche verpflichte sich selbst, Initiativen im Bereich der Friedenspädagogik, zivilen Konfliktbearbeitung und politischen Bildung zu ergreifen, und fordere entsprechende Anstrengungen für einen Ausbau dieser Ansätze in Schulen und Bildungseinrichtungen.
Auch im Hinblick auf die Europäische Verantwortung für den Frieden betont die Kundgebung die Notwendigkeit, zivile Ansätze auszubauen: „Die Stärke der EU sehen wir darin, mit zivilen, diplomatischen Mitteln Krisen vorzubeugen, zur Beilegung von Gewaltkonflikten beizutragen und kriegszerstörte Gesellschaften im Wiederaufbau zu unterstützen. Dauerhafter Frieden ist nur zu erreichen, wenn auch die Sicherheit anderer in den Blick genommen wird. Vertrauensbildende Maßnahmen und eine internationale gültige Rechtsordnung spielen dabei eine entscheidende Rolle.“ Gemeinsam mit der Gemeinschaft Europäischer Kirchen in Europa (GEKE) und der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) setze sich die EKD für die Ziele der Charta Oecumenica“ (2001) ein. Weiterhin wird gefordert, „dass die EU vor allem die Institutionen unterstützt, die der Friedensförderung dienen. In Abstimmung mit den Vereinten Nationen, der OSZE und dem Europarat sollte sie die Instrumente für Mediation, Gewaltprävention, zivile Konfliktbearbeitung und Nachsorge sowie für den Friedensaufbau systematisch ausbauen und finanziell deutlich besser ausstatten.“ Zudem solle „die gesamte EU-Politik und insbesondere die EU-Nachbarschaftspolitik (ENP) durch faire Handelsbeziehungen, eine gerechte Agrarpolitik sowie glaubwürdige Klima- und Umweltpolitik friedensverträglich und im Sinne globaler Solidarität ausgestaltet werden“. Weitere Forderungen richten sich auf einen anderen Umgang mit Flucht und Migration: „Wir fordern die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu auf, ihre Schutzverantwortung für Flüchtlinge konsequent wahrzunehmen. EU-Missionen zur Seenotrettung sind dringend erforderlich. Es müssen sichere und legale Wege für Schutzsuchende in die EU sowie ein gemeinsames Asylsystem mit fairer Verteilung und möglichst hohen Verfahrens- und Aufnahmestandards geschaffen werden. Das in Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta verankerte Recht auf Asyl muss garantiert werden. Wir unterstützen die Bundesregierung dabei, im europäischen Zusammenhang für den Globalen UN-Migrationspakt als Rahmen für eine gemeinsame Regelung migrationspolitischer Fragen zu werben.“
Und last but not least wird gefordert, dass Regeln der EU zur Rüstungsexportkontrolle – im Einklang mit dem „Gemeinsamen Standpunkt der EU“ von 2008 – restriktiver umgesetzt werden und deren Einhaltung effektiver überwacht wird: "Hier sind alle Mitgliedstaaten gefordert, ihre nationale Gesetzgebung und Kontrollinstanzen entsprechend auszurichten.“ Die Bundesregierung wird aufgefordert, ein Rüstungsexportkontrollgesetz in Deutschland vorzulegen und im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft 2020 glaubwürdig dafür zu werben. Abschließend wird festgestellt: „Sowohl Exporte in Krisenregionen als auch militärische Kooperationen mit Drittstaaten außerhalb der Nato, die Menschenrechte und Demokratie missachten, untergraben die internationale Friedensordnung.“
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Auch wenn im Text nicht alle Anregungen aus der kirchlichen Friedensbewegung aufgegriffen wurden, so enthält die Synodenkundgebung viele Aussagen, die friedensethische Orientierung bieten und gleichzeitig Empfehlungen für die aktuelle politische Praxis. Sie kann sich somit als wichtiges Referenzdokument für friedenspolitisches Engagement erweisen.
Brot für die Welt trug zur inhaltlichen Vorbereitung der Debatten bei
Brot für die Welt hat sich in vielfältiger Weise an der inhaltlichen Vorbereitung der Synode beteiligt. Das Referat Menschenrechte und Frieden (Dr. Martina Fischer) wirkte mit an der zweijährigen Konsultation, die 2018 zur Vertiefung friedenspolitischer Diskurse vom Friedensbeauftragten ins Leben gerufen wurde und Grundlagen für den Kundgebungstext erarbeitet hat. Eingeladen waren RepräsentantInnen kirchennaher NGOs und Netzwerke, der Landeskirchen, der Evangelischen Akademien und ExpertInnen aus wissenschaftlichen Einrichtungen. Deren Expertise schlug sich auch in einer Buchpublikation "Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens" nieder, die im September 2019 vom EKD-Kirchenamt veröffentlicht und an die Synodenmitglieder versandt wurde. Dieser Sammelband analysiert aktuelle Friedensgefährdungen und bewertet politische Prozesse aus friedensethischer Perspektive. Bei der Badischen Landeskirche wurde inzwischen ein interaktives Diskussionsforum eingerichtet, damit die Beiträge von einem breiten Publikum diskutiert werden können.
Gleichzeitig wurden von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg in den vergangenen drei Jahren intensive Konsultationen zwischen Menschen aus der Friedensforschung, -praxis und –politik durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in 20 Bänden zu unterschiedlichen friedensethischen Themen dargelegt (Konsultationsprozess Orientierungswissen zum Gerechten Frieden). Auch an diesem Prozess war das Referat Menschenrechte und Frieden von Brot für die Welt mit diversen Beiträgen beteiligt.
Zudem ermöglichte Brot für die Welt einer Reihe von Synodalen Einblicke in die friedens- und entwicklungspolitische Praxis im Rahmen einer Reise zu Projektpartnern in Kenia.
Juni 2019: Synodale trafen friedensaktive Partner von "Brot für die Welt" in Kenia
Anlässlich des 60jährigen Jubiläums von Brot für die Welt lud Dr. h.c. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, Mitglieder der EKD-Synode im Vorfeld der „Friedenssynode“ zum Besuch friedensaktiver Partnerorganisationen in Kenia ein. Elf Synodale begaben sich Anfang Juni mit auf die Reise nach Ostafrika (diese wurde in einem kurzen Videofilm dokumentiert). Bei der „Diakonie Katastrophenhilfe“ in Nairobi erhielten sie Informationen zur Situation der Menschen in Flüchtlingslagern (z.B. Dadaab, wo ca. 230.000 Schutzsuchende aus Somalia teilweise in dritter Generation im Provisorium leben) und im Überschwemmungsgebiet Mosambik, wo die Zerstörung von Lebensgrundlagen massive Gesundheitsbedrohungen zur Folge hatte. Ein Workshop, der von Dr. Agnes Abuom (Vorsitzende des Weltkirchenrats) moderiert wurde, vermittelte umfassende Einblicke in das friedenspolitische Engagement christlicher Organisationen auf dem afrikanischen Kontinent. Neben der Hauptstadt besuchten die Synodenmitglieder ländliche Gebiete in der Küstenregion. Der Anglican Development Service“ (ADS Pwani, Entwicklungsabteilung der Anglikanischen Kirche in Kenia), eine langjährige Partnerorganisation von Brot für die Welt, koordiniert dort seit 1991 Gemeindeentwicklungsprojekte in den Bezirken Kwale, Kilifi, Taita-Taveta, Tana River, Mombasa und Lamu.
Entwicklungsdefizite und Gewaltpotenziale
Die Küstenregion Kenias ist besonders benachteiligt und die Infrastruktur jenseits touristischer Einrichtungen äußerst schwach entwickelt. Entwicklungsindikatoren zeigen vor allem beim Zugang zu sozialen Dienstleistungen (Erziehung, Gesundheit und Wasser) große Defizite. Unklare Landrechte und fehlende Rechtstitel an Grund und Boden, Zuwanderung, staatliche An- und Umsiedlung von Menschen aus anderen Landesteilen begünstigen soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Zugang zum „Recht“ wird durch Korruption staatlicher Institutionen und Gerichte erschwert. Seitdem kenianische Truppen 2011 in Somalia intervenierten kommt es immer wieder zu Vergeltungsmaßnahmen somalischer Milizen, häufig auch gegen religiöse Einrichtungen. Misstrauen belastet das Zusammenleben der christlichen und muslimischen Gemeinden. Die Radikalisierung von Jugendlichen trägt zu weiterer Polarisierung zwischen den Religionsgruppen bei. Steigende Unsicherheit und Überfälle haben wirtschaftliche Aktivitäten eingeschränkt und einen Rückgang des Tourismus bewirkt. Armut und Ausgrenzung treffen Jugendliche und Frauen besonders hart. Frauen tragen die Hauptlast als Ernährerinnen der Familien, sie erledigen etwa 80% der landwirtschaftlichen Tätigkeiten. Auch in anderen produktiven Bereichen ist die Teilnahme der Männer sehr gering.
Kombination von Entwicklungs- und Friedensarbeit
Das Engagement von ADS Pwani zielt auf einkommensschaffende Maßnahmen und eine Verbesserung der Ernährungssituation. Darüber hinaus bemüht man sich, Möglichkeiten der Selbsthilfe – v.a. auch von Frauen und Mädchen - zu stärken und gewaltsame Konfliktaustragung zu reduzieren. In der Gemeinde Garashi engagiert sich ADS mit einer Kombination entwicklungs- und friedenspolitischer Ansätze, die landwirtschaftliche Produktion, Wasserversorgung und Infrastruktur verbessern, den Zusammenhalt in der Gemeinde stärken und Alternativen zum gewaltsamen Konfliktaustrag aufzeigen soll. Es geht auch darum, Gewalt in der Familie und Gewaltkriminalität zu reduzieren. Gemeindemitglieder berichteten vom Rückgang von Gewaltverbrechen, auch von alltäglicher Gewalt gegen Frauen, selbstbewussterem Engagement der Menschen für eigene Rechte und Einsatz für Belange der Gemeinde. Gemeindevertreterinnen aus dem Bezirk Magarini berichteten über die Rekrutierung Jugendlicher durch al-Shabaab Milizen, ethnische Konflikte, genderbasierte Gewalt und interreligiöse Gegensätze. Sie diskutierten Ansätze zur Deeskalation durch Dialog und Möglichkeiten der Herstellung von Resilienz auf Gemeindeebene. Schließlich kam die Reisegruppe noch mit dem „Coast Interfaith Council of Clerics“ (CICC) in Watatu zusammen, um sich über die Aktivitäten von Glaubensgemeinschaften in der Gewaltprävention und in der konstruktiven Bearbeitung von Konflikten zu informieren. Dieser „Interreligiöse Rat“ wurde von Mitgliedern christlicher und muslimischer Gemeinschaften und traditionellen Glaubensrichtungen angesichts von gewaltsamen Ausschreitungen zwischen christlichen und muslimischen Jugendlichen gegründet. Er bemüht sich um Stärkung der Dorfgemeinschaften und Beteiligung der Zivilgesellschaft an Entscheidungen auf lokaler Ebene in Kombination mit Ernährungssicherung. So konnte der Rat maßgeblich zur Deeskalation der Konflikte beitragen und neuen Gewaltausbrüchen vorbeugen.
Fazit
Die Eindrücke, die von den Reisenden in diversen Reflexionsrunden geteilt wurden, lassen sich ungefähr so zusammenfassen:
- Um gewaltsamer Konfliktaustragung vorzubeugen und den Zusammenhalt in den Gemeinden zu stärken, bedarf es einer Kombination von Maßnahmen für Ernährungssicherheit, für Infrastrukturaufbau und für Bildung; Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit müssen also zusammengebracht werden, um präventive und nachhaltige Wirkung zu erzielen; hier sich hat das Leitbild des „Gerechten Friedens“ in der Praxis manifestiert.
- Maßnahmen zur Gewaltprävention sind dann erfolgversprechend, wenn sie frühzeitig ansetzen und sich auf die Überwindung der Ursachen von Gewaltkonflikten (Konflikttransformation) richten; religiöse WürdenträgerInnen können bei der Transformation von Konflikten eine wichtige Rolle spielen, wenn sie gemeinsam handeln und die Ursachen in den Blick nehmen.
- Friedens-und Entwicklungszusammenarbeit müssen gender-sensibel gestaltet und Frauen in ihren Potenzialen des Friedenshandelns unterstützt werden.
- Gleichzeitig werden wichtige Erfolge zur Sicherung der Lebensgrundlagen und des Friedens auf lokaler Ebene, die die Gruppe vor Ort erleben konnte, von den Auswirkungen des Klimawandels wieder unterlaufen: die besuchten Regionen sind massiv von außergewöhnlichen Dürren und Ernteausfällen bedroht.
- Fazit: Zum Handeln für „gerechten Frieden“ gehört untrennbar der Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung, und es ist nötig, die eigenen Anteile an den Strukturen des Unfriedens – z.B. den Beitrag unserer Wirtschaftsweise zum Klimawandel, unfaire Handelsbeziehungen und Agrarpolitik, die zur Verarmung von Gesellschaften im globalen Süden beitragen, zu erkennen, zu skandalisieren und zu überwinden.