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Ernährung und Gerechtigkeit

Wenn lokale Wirtschaftssysteme und -kreisläufe der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ausgebaut, Frauenrechte gestärkt und die Interessen armer Bevölkerungsgruppen durchgesetzt werden, sind soziale und ökologische Fortschritte möglich. Dann kann der Hunger besiegt werden.

Von Dr. Bernhard Walter am

Feldarbeit in Angola

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ruft im Ziel 10 der nachhaltigen Entwicklungsziele  auf, Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu reduzieren. Dies ist unbedingt notwendig, um den Hunger zu überwinden (SDG 2). Wie sehr beides zusammenhängt, wird bei einem Blick auf die Zahlen deutlich. 2018 haben bei einer Weltbevölkerung von 7,6 Milliarden Menschen 822 Millionen gehungert, zwei Milliarden fehlte es an lebenswichtigen Mikronährstoffen und Vitaminen. Gleichzeitig sind diejenigen, die Nahrung produzieren – also die Menschen auf dem Land – besonders betroffen: Bis zu 80 Prozent der Menschen, die hungern müssen, leben von der Landwirtschaft oder den natürlichen Ressourcen.

Dabei produzieren Millionen von Kleinbäuerinnen und -bauern, Hirtinnen und Hirten, Fischerinnen und Fischer wie auch Indigene auf kleinsten Flächen den größten Teil aller weltweiten Lebensmittel, in vielen Ländern in Afrika und Asien bis zu 80 Prozent. Und die (klein-)bäuerliche Landwirtschaft ist häufig die einzige Wirtschaftsform, um die Existenz vieler Menschen zu sichern. Immerhin leben 2,6 Milliarden Menschen von ihr. Liegt die bewirtschaftete Fläche unter zwei Hektar, spricht man von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Darunter fallen 83 Prozent der weltweit 537 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe. Sie bewirtschaften etwa 60 Prozent der weltweiten Ackerflächen – häufig jedoch qualitativ schlechte und nicht bewässerungsfähige Böden – und leisten den größten Teil der Agrarinvestitionen.

Doch die Durchschnittsgröße der kleinen Betriebe sinkt. Mittlerweile liegt sie in Asien bei 1,06 Hektar und in Afrika bei 1,3 Hektar. Dadurch ist es vielen Kleinbäuerinnen und -bauern nicht mehr möglich, ihre Familie durch den eigenen Anbau ausreichend zu versorgen. Sie müssen sich zusätzliche Arbeit suchen. Dabei ist in vielen Ländern genügend Land da, jedoch ungerecht verteilt. Eine gerechte Verteilung von und der Zugang zu Land durch Land- und Agrarreformen ist Grundlage für eine stabile und nachhaltige Ernährungssicherung.

Die Wirtschaftsweise bäuerlicher Familienbetriebe verstehen

Lokale Wirtschaftssysteme können nur dann tragfähig sein, wenn sie berücksichtigen, dass sich die Wirtschaftsweise bäuerlicher Familienbetriebe in erster Linie an Sicherheit und Nachhaltigkeit orientiert. In Tansania zum Beispiel nutzen Bäuerinnen und Bauern wieder stärker einheimische, widerstandsfähige und nährstoffreiche Sorten und setzen auf die Vorteile von Mischkulturen und natürlicher Bekämpfung von Schädlingen. Und sie schonen ihre knappen natürlichen Ressourcen. Regenwasser wird kostengünstig über die Dachrinnen der Häuser in Zisternen gesammelt und für den Gemüseanbau verwendet. So entschärfen sie Verteilungskonflikte um Wasser und Land. Die Produzentinnen und Produzenten brauchen weniger Kapital und sind nicht mehr so abhängig von externen Betriebsmitteln. All das hat die Ernährungssituation der Bevölkerung deutlich verbessert. Gleichzeitig muss der Zugang zu ausreichendem und sauberem Wasser für den Verbrauch und die Landwirtschaft erstritten und staatlich gewährleitstet werden. Wasser ist ein Menschenrecht.

Agrarökologische Prinzipien in der bäuerlichen Landwirtschaft etablieren

Fossile Energieträger und wichtige Nährstoffe wie Phosphat und Kalium werden in Zukunft immer knapper und teurer werden. Die Erträge durch stärkere chemisch-mineralische Düngung zu steigern, stößt an ökologische Grenzen. Und für viele kleinbäuerliche Betriebe ist es nicht rentabel, noch mehr Energie und Maschinen einzusetzen. Deshalb müssen die Anbaumethoden verbessert, regional erzeugtes Saatgut eingesetzt, die Fruchtbarkeit des Bodens aufgebaut, Unkraut mechanisch bekämpft, Pflanzen biologisch geschützt sowie Anbaumethoden genutzt werden, die Wasser sparen. So kann es gelingen, die Produktion umweltschonend und im Einklang mit den vorhandenen natürlichen Ressourcen zu intensivieren. Kleinbäuerlicher Landwirtschaft muss daher im Fokus staatlicher Agrarförderung stehen und eine gerechte Verteilung der für die Landwirtschaft zur Verfügung stehenden Mittel muss für sie sicher gestellt werden – nicht nur für große Agrarkonzerne.

Wenn Bäuerinnen und Bauern dafür qualifiziert werden und wenn sie genügend Land, Wasser und Arbeitskraft haben, werden sie sogar einen höheren Nährwert pro Hektar erzielen als die industriell organisierte Landwirtschaft. In vielen Ländern des Südens können die Erträge im Ackerbau noch deutlich gesteigert werden – ohne der Umwelt zu schaden. Diese agrarökologischen Produktionsmethoden sollten gemeinsam erprobt und weiterentwickelt werden. Wie zum Beispiel in Tansania. Dort beraten über 40 kleinbäuerliche Verbände, organisiert im panafrikanischen Netzwerk PELUM (Participatory Ecological Land Use Management) kleinbäuerliche Betriebe in diesen Anbaumethoden und setzen sich in ihrer Lobbyarbeit auf nationaler und internationaler Ebene für agrarökologische Landwirtschaft ein.

Frauenrechte und die Interessen der Produzentinnen und Produzenten stärken

Agrarökologie und regionale Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften sind in ein umfassendes Konzept ländlicher Entwicklung einzubinden. Dazu gehört, das Handwerk auf dem Lande in seiner Vielfältigkeit weiterzuentwickeln und zu stützen sowie Kleingewerbe und Kleinindustrie aufzubauen. Soll das Wirtschaftssystem für alle effizient und gewinnbringend umgestaltet werden, ist auch die systematische Teilhabe von Frauen unabdingbar. Meist sind sie es, die das komplexe Anbauwissen von Generation zu Generation weitergeben, die Produkte vermarkten und die Hauptverantwortung für die Existenzsicherung ihrer Familien tragen. Allerdings muss hier auch darauf geachtet werden, dass dies nicht dazu führt, die Mehrfachbelastung von Frauen noch zu verstärken. Geschlechtergerechtigkeit ist nur möglich, wenn Frauen und Männer gleichermaßen Verantwortung übernehmen und gemeinsam gestalten.

Und Ungerechtigkeiten können nicht abgebaut werden, ohne die kollektiven Rechte der Produzentinnen und Produzenten zu stärken und ihnen in einer politischen Interessensvertretung eine Stimme zu geben. So haben sich über 200 Millionen Bäuerinnen und Bauern in dem weltweit agierenden Verband La Via Campesina zusammengeschlossen. Ziel ist es, der ländlichen Bevölkerung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Agrarökologische Anbaumethoden – eingebettet in eine Politik der Ernährungssouveränität und der Verwirklichung des Rechts auf Nahrung – ist ein wichtiger Baustein für mehr Gerechtigkeit und für mehr Ernährungssicherheit.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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