Beitrag von Caroline Kruckow und Andreas Dieterich, Referent*innen im Friedensteam von Brot für die Welt.
Wer den Frieden fördern und bewahren will, muss für Gerechtigkeit sorgen und die sozialen Spannungen ausgleichen. Denn ungleiche Verteilung oder Zugangschancen bedrohen ihn ständig – in einzelnen Ländern und weltweit. Friedensarbeit bedeutet daher immer auch, sich in gesellschaftliche, politische und ökonomische Machtverhältnisse einzumischen, die vielfach Ursachen für Gewalt und/oder Kriege sind. Gewaltfreiheit und -prävention sind dabei Herausforderung und Grundlage des Handelns.
Im biblischen Zeugnis sind Gerechtigkeit und Frieden nicht voneinander zu trennen: „Die Frucht der Gerechtigkeit wird Frieden sein und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit auf ewig“, verheißt der Prophet Jesaja (Jesaja 32,17). Die Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf stellte im Jahre 1966 fest, dass Gerechtigkeit und Frieden nicht nur „Aufgaben für die jeweiligen nationalen Gesellschaften [sind], sondern auch für das Verhältnis zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern“. Damit ist ein Bereich gemeinsamer Verantwortung beschrieben: „Gerechtigkeit und Frieden in einer interdependenten Welt" wurde seit der Weltkirchenkonferenz 1968 zum Leitthema kirchlicher Entwicklungszusammenarbeit. Schon in der Entwicklungs-Denkschrift der EKD von 1973 heißt es: „Da wir heute die Lage der Menschen in der ganzen Welt kennen und auch über die Mittel verfügen, gibt es keine Entschuldigung mehr. Es ist eine Welt, und die ungeheuren Ungleichheiten zwischen den Menschen verschiedener Nationen und verschiedener Kontinente sind so unentschuldbar wie die großen Unterschiede innerhalb von Nationen.“
Dabei wurde der Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit konkret formuliert: "Dieser Einsatz für Gerechtigkeit in der ganzen Welt ist zugleich ein wirkungsvoller Beitrag zum Frieden. Denn im umfassenden Sinn der biblischen Verkündigung wie auch der politischen Wirklichkeit bedeutet Friede mehr als das Ruhen der Waffen oder auch das ständig bedrohte Gleichgewicht hoch gerüsteter Mächte. Ungerechte Verhältnisse im innenpolitischen wie im weltpolitischen Bereich stellen eine ständige Bedrohung des Friedens dar. Die Friedensbemühungen der Menschen müssen daher die Suche nach mehr Gerechtigkeit und den Ausgleich der sozialen Spannungen durch weltweite Entwicklungsprogramme miteinschließen. Entwicklungsverantwortung, Eintreten für Gerechtigkeit und dauerhaften Frieden sind infolgedessen unmittelbar miteinander verknüpft."
Mit der scheinbaren Auflösung des Ost-West-Konfliktes und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entstanden neue globale Herausforderungen an die Friedens- und Sicherheitspolitik, denen sich auch die Kirchen stellen mussten. Die EKD stieß dazu einen Diskussionsprozess an, der 2007 in der Friedensdenkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ mündete. In der Einleitung heißt es: „Friede ist keine Selbstverständlichkeit. Ihn zu wahren, zu fördern und zu erneuern, ist eine immerwährende Aufgabe“. Die Denkschrift von 2007 hebt die Notwendigkeit der Prävention, den Vorrang der Gewaltfreiheit und die Bedeutung des zivilen Friedensdienstes und der Entwicklungsdienste hervor, um einen nachhaltigen Frieden zu fördern, zu bewahren oder wiederherzustellen. Außerdem entwickelte sie die Leitidee des „gerechten Friedens“. Gerechtigkeit wird hier als „Kategorie einer sozialen Praxis der Solidarität“ verstanden, „die sich vorrangig den Schwachen und Benachteiligten zuwendet und sich im Gebot der Nächsten- und Feindesliebe erfüllt“. Frieden wird als gesellschaftlicher Prozess gesehen, in dem Gewalt ab- und (politische und soziale) Gerechtigkeit zunimmt.
Konflikte offenlegen und konstruktiv überwinden
Dies ist auch für Brot für die Welt handlungsleitend. Die kirchliche Entwicklungsarbeit berücksichtigt den engen Zusammenhang zwischen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Unser Leitwert vom gerechten Frieden orientiert sich am ganzheitlichen Ansatz, den die internationale ökumenische Bewegung und der Weltkirchenrat in den vergangenen Dekaden formuliert haben („Friede in der Gemeinschaft, Friede mit der Erde, Friede in der Wirtschaft, Friede zwischen den Völkern“). Gerechtigkeit ist in diesem Verständnis eng mit Verteilungsgerechtigkeit und Zugangschancen verknüpft, bedeutet aber auch, dass es keine Gewalt und Unterdrückung gibt.
Das Grundanliegen von Brot für die Welt ist es, Menschen dabei zu unterstützen, ihr Leben aus eigener Kraft zu verbessern, selbst zu bestimmen und würdevoll zu gestalten. Beispielhaft dafür, dass Frieden von innen wachsen muss und lokale Gemeinschaften am besten wissen, was Frieden für sie bedeutet und auf welchem Weg Gerechtigkeit herzustellen ist, steht die Arbeit einer Brot für die Welt-Partnerorganisation in der Demokratischen Republik Kongo. Sie setzt sich für die Mitbestimmung der Gemeinden bei der Gewinnung und Nutzung von Rohstoffen wie beispielsweise Coltan ein. Ziel ist es, die negativen und konfliktschürenden Auswirkungen der Rohstoffgewinnung für die lokale Bevölkerung wie Umweltverschmutzung, Korruption oder Kinderarbeit zu mindern und die gewonnenen Ressourcen verstärkt für die eigene Entwicklung zu nutzen.
Aber Friedensarbeit bedeutet auch im Globalen Norden Verantwortung für die Folgen unseres Lebensstils und unserer Politik zu übernehmen. Dafür müssen auch die internationalen Rahmenbedingungen und das Handeln in allen Politikfeldern im Sinne von globaler Gerechtigkeit und Friedensförderung verändert werden. So setzt sich Brot für die Welt gemeinsam mit seinen Partnerorganisationen in Deutschland, Europa und weltweit für eine ökologische und soziale Wertschöpfungskette ein. Dabei fordern wir von der Bundesregierung, dass sie deutsche Unternehmen gesetzlich verpflichtet bei ihren Geschäften die Menschenrechte zu achten, über die ganze Lieferkette hinweg, bis hin zur Coltan-Mine im Kongo.
Politische Arbeit im Globalen Süden wie auch Lobby- und Advocacyarbeit im Globalen Norden tragen dadurch dazu bei, Konflikte offenzulegen, diese konstruktiv zu bearbeiten und Ungerechtigkeiten als Konfliktursachen zu überwinden. Ganz besonders wichtig ist dabei immer ein geschlechterspezifischer Blick. Männer und Frauen haben in den jeweiligen Gesellschaften verschiedene Zugänge zu Macht und bringen unterschiedliche Potentiale und Einflussmöglichkeiten ein, die entweder friedensfördernd oder konfliktverschärfend wirken können. So verstanden bedeutet Entwicklungsarbeit für Frieden und Gerechtigkeit immer auch, sich in gesellschaftliche, politische und ökonomische Machtverhältnisse einzumischen, die vielfach Ursachen für Gewalt und/oder Krieg sind. Die Arbeit an Konflikten, gewaltfrei und konstruktiv, bildet daher eine zentrale Herausforderung in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit, die in der Gerechtigkeitsdebatte nicht fehlen darf.
Dieser Beitrag ist Teil der Publikation "Gemeinsam für Gerechtigkeit". Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie unter diesem Link.