Die Agenda 2030 ist derzeit eine der wichtigsten Referenzen in der Debatte um die Gestaltung unserer Zukunft. Zwar ist sie streng genommen das Ergebnis von Aushandlungen zwischen Staaten, doch in dem dreijährigen Prozess ihrer Erarbeitung sind gleichzeitig auch viele Aspekte von Wissenschaft und Zivilgesellschaft in das Dokument eingegangen. Die im September 2015 von den UN-Mitgliedsstaaten verabschiedete Agenda kann als ein Versuch verstanden werden, im Angesicht von Klimawandel, Ungerechtigkeit, Armut und Krieg die notwendigen Umgestaltungen hin zu einer global nachhaltigen Entwicklung zu konkretisieren. So heißt das Dokument auch nicht umsonst: „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“.
Sicherlich ist es auch der Handhabbarkeit dieser großen Aufgabe zuzurechnen, dass die Agenda in 17 zumeist sektorale Ziele gegliedert wurde ‒ die Sustainable Development Goals (SDGs). Diese Gliederung hat allerdings auch dazu beigetragen, dass die ohnehin zu fachlichen Silos neigende Entwicklungsdebatte verstärkt wurde, und nun im vierten Jahr der Umsetzung zunehmend Stimmen laut werden, die das stärkere Zusammendenken der einzelnen Entwicklungsziele fordern. Die jüngsten Erkenntnisse des ersten globalen Nachhaltigkeitsberichtes „Global Sustainable Development Report“ führen sehr deutlich vor Augen, wie sich einzelne Ziele gegenseitig unterstützen, jedoch noch häufiger in ihrer Erreichung behindern. Wege und Ansätze der Zielerreichung müssen sich an einem ganzheitlichen Denken orientieren, das sich an Menschenrechten und globaler Gerechtigkeit ausrichtet.
Die Idee von Gerechtigkeit kommt ‒ ohne definiert zu werden ‒ in vielen der einzelnen Ziele und auch im ausführlichen Einstiegstext der Agenda 2030 vor. Es geht um „gerechte und inklusive Gesellschaften“. Die Vision der Agenda ist eine Welt, „in der die Menschenrechte und die Menschenwürde, die Rechtsstaatlichkeit, die Gerechtigkeit, die Gleichheit und die Nichtdiskriminierung allgemein geachtet werden“. Von „Umweltgerechtigkeit“ ist die Rede, es wird die „gerechte Aufteilung der Vorteile durch die Nutzung genetischer Ressourcen“ gefordert, natürlich soll „Geschlechtergerechtigkeit“ hergestellt werden, und auch der Zugang zu Trinkwasser und zu Sanitärversorgung soll „gerecht“ gestaltet sein. Sogar ein „gerechtes, multilaterales Handelssystem“ wird gefordert.
Was heißt aber Gerechtigkeit konkret?
Die vielfältige Nutzung des Begriffes in der Agenda 2030 geht mit einer gewissen Unbestimmtheit einher. Dies zeigt sich auch daran, dass im offiziellen deutschen Text der Agenda 2030 die englischen Begriffe „just“, „equitable“ und „fair“ mal mit „gerecht“, mal mit „fair“, mal mit „ausgewogen“ übersetzt werden. Und auch für das englische „justice“ gibt es mehrere Übersetzungsmöglichkeiten: „Justiz“ oder „Gerechtigkeit“, beides kommt im deutschen Text vor. Das ist kein Zufall: Tatsächlich wird unter „Gerechtigkeit“ je nach Kontext und nach fachlicher und politischer Debatte etwas anderes verstanden.
Dies ist auch in der Arbeit von Brot für die Welt nicht anders.
Die Vielfalt der Projekte von Brot für die Welt und die zahlreichen fachlichen und politischen Arbeitsfelder spiegeln die aktuelle Debatte und das Ringen um weltweite Gerechtigkeit wider.
Gleichzeitig sind die Kernbotschaften zur 60. und 61. Aktion von Brot für die Welt die Basis unserer Arbeit:
- Eine Welt frei von Hunger und Armut ist möglich,
- Jeder Mensch hat das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben,
- Der Schutz der Menschenrechte ist Voraussetzung für eine gerechte Welt.
In der vorliegenden Publikation geht es darum, die Diskussionen um Gerechtigkeit aufzuzeigen, zu bereichern ‒ sei es in den Bereichen Klima, Fischerei, Handel, Migration, Geschlechtergerechtigkeit, Biodiversität oder Tourismus ‒ und diese nutzbar zu machen für die fachliche Auseinandersetzung, für die internationale Partnerarbeit, für die Diskussion in Öffentlichkeit und Kirchengemeinde und für die politische Lobbyarbeit.