Die Vielfalt der Natur ist stark vom Klima und den geologischen Eigenschaften abhängig. Deswegen ist sie nicht gleichmäßig auf der Erde verteilt. Daher stellt sich die Frage, wie der Zugang zu Biodiversität für alle und der Austausch von biologischen Ressourcen gerecht geregelt werden kann. Die Länder des Globalen Südens kämpfen vor allem darum, die Souveränität über ihre Biodiversität wiederzuerlangen, die ihnen in der Kolonialzeit geraubt wurde.
Die Biodiversität auf unserem Planeten ist sehr ungleich verteilt. Das liegt unter anderem an den unterschiedlichen klimatischen und geologischen Gegebenheiten, an die sich die Natur über Jahrtausende angepasst hat – gerade durch diesen Prozess zeichnet sich Biodiversität in ihrer Vielfalt aus. So können zum Beispiel semi-aride Regionen besonders reich an Biodiversität sein, da die Natur dort viele Möglichkeiten hat, sich in verschiedenen Nischen einzurichten und sich in diverse Richtungen zu entwickeln. Um diesen Diversifizierungsprozess innerhalb und zwischen den verschiedenen Arten in den unterschiedlichen Regionen gerecht zu erfassen, spricht man heute von Zentren der Diversität.
Im Gerechtigkeitsdiskurs zu Biodiversität geht es um die Frage, wie ein gerechter Zugang zu Biodiversität gesichert und der Austausch von biologischen Ressourcen erfolgen kann.
Die gerechte Nutzung der Biodiversität ist ein zentrales Thema der Menschheit
Biologische Vielfalt ist ein Segen und kann den Menschen großen Wohlstand bringen. Schon seit Jahrtausenden streben sie danach, Zugang zu der biologischen Vielfalt aus anderen Regionen zu erhalten oder sie zum gegenseitigen Nutzen untereinander zu tauschen. So verbreitete sich zum Beispiel der Ackerbau aus dem heutigen Nahen Osten. Gleichzeitig ist der Zugang zu biologischer Vielfalt und das Wissen über sie häufig mit Macht und Konflikten verbunden. Auch diejenigen, die Ackerbau betrieben, geraten mit Gruppen aneinander, die die Natur anders nutzen wollten. In diesem Fall stehen Ackerbäuerinnen und -bauern gegen nomadische Viehalterhalterinnen und Viehhalter und/ oder Jäger und Sammler – eine Jahrtausende alte Auseinandersetzung zwischen Menschen um die gerechte Nutzung der Biodiversität. Ihre Aktualität wird in unserer Gesellschaft, die vom Ackerbau und nun vor allem global zunehmend städtisch geprägt ist, zu Unrecht kaum beachtet. Somit ist auch das Verständnis für viele Konflikte um Gerechtigkeit, die zurzeit den Planeten prägen, verstellt.
Die Bibel befasst sich intensiv mit dem Streben nach Gerechtigkeit bei der Nutzung der Biodiversität in den Auseinandersetzungen zwischen Hirten und Ackerbäuerinnen und -bauern. In der Schöpfungsgeschichte mahnt sie außerdem, dass die Natur und ihre Vielfalt ein Recht darauf haben, vom Menschen bewahrt und geschätzt zu werden. Brot für die Welt versteht die Bewahrung der Schöpfung daher als eine ihrer Kernaufgaben und als ein zentrales Anliegen bei der Verwirklichung von Gerechtigkeit.
Die Kolonialmächte haben die Biodiversität rücksichtslos für sich genutzt
Bisher wird in Europa zu wenig beachtet, wie stark der Kolonialismus davon geprägt war, Kontrolle und Herrschaft über die Biodiversität anderer Länder und Regionen zu erlangen. Ziel war es, Macht und Überlegenheit zu gewinnen, Kapital anzuhäufen und damit den eigenen Eliten und ihrem Herrschaftsanspruch zu dienen. Mit welcher Systematik und Rücksichtslosigkeit die Kolonialmächte dabei gegenüber Menschen, Biodiversität und Kultur vorgingen, beschreibt der Historiker Sven Beckert eindrücklich in seinem Buch „King Cotton“ am Beispiel Baumwolle. Sie erfassten die Biodiversität laut Beckert strategisch und zerstörten oder okkupierten gleichzeitig die lokalen Wissenssysteme. So lagert noch heute ein Großteil des Wissens zur biologischen Vielfalt in Einrichtungen der Staaten des Nordens. Die Staaten des Südens, aber auch bäuerliche Bewegungen wie Via Campesina und indigene Gruppen, versuchen nun, die Souveränität über die Biodiversität wiederzuerlangen, die ihren Ursprung in ihren Regionen hat. Sie wollen damit Gerechtigkeit schaffen und erreichen, dass es zu einem fairen Vorteilsausgleich kommt, wenn ihre biologischen Ressourcen genutzt werden.
Das wissenschaftliche Verständnis von Biodiversität lässt traditionelles Wissen außen vor
Die kolonialen Sammlungen haben den Vorteil, dass sie die Biodiversität mit den Mitteln und im Kontext ihrer Zeit erfasst haben. So können wir heute den Verlust der vergangenen Jahrhunderte ermessen. Gleichzeitig entstand ein wissenschaftliches Verständnis von Biodiversität, das sehr stark von Nutzungs- und Inwertsetzungsgedanken geleitet ist. Es versucht, Biodiversität – geleitet vom Paradigma der Industrialisierung – immer besser nutzbar und wissenschaftlich verstehbar zu machen.
Dieses Verständnis lässt traditionelles Wissen und Spiritualität außen vor. Aus der Gerechtigkeitsperspektive ist das problematisch, denn damit werden häufig gerade die Gruppen ausgeschlossen, die die Biodiversität über Jahrtausende maßgeblich geprägt und auf ihrer Basis Wissenssysteme aufgebaut haben. Die wissenschaftliche Perspektive ist dabei nicht bereit, diese komplexen Wissenssysteme auf Augenhöhe in den eigenen Diskurs zu integrieren.
Verschärft werden die Probleme durch neue industrielle Konzepte der Inwertsetzung der Natur wie zum Beispiel der Bioökonomie. Ihr Ziel ist es, der industriellen und digitalen Wachstumsgesellschaft eine neue „Ressourcenbasis“ zu geben - eine „natürliche Ressourcenbasis“. Dafür wird die Biodiversität erneut und systematisch auf ihren Nutzen und ihre Inwertsetzungsmöglichkeiten hin unter- und durchsucht und selektiert. Nur die effizientesten Pflanzen wie Mais, Soja, Reis, Weizen und Ölpalme werden immer großflächiger angebaut. Gleichzeitig werden Produkte der Biodiversität als molekulare oder genetische Einzelprodukte betrachtet und aus ihrem natürlichen Kontext gerissen. Mit Hilfe von neuer Gentechnik (CRISPR/Cas) wird Biodiversität als beliebig veränderbare Kombination der Bausteine der DNA im Dienst der Wachstumsgesellschaft begriffen.
Damit indigenen Gruppen, bäuerlichen Bewegungen, aber auch der Biodiversität selbst mehr Gerechtigkeit widerfährt, unterstützt Brot für die Welt seit Jahrzehnten bäuerliche Organisationen, indigene Gemeinschaften und NGOs. Brot für die Welt hilft ihnen dabei, ihr Recht auf Gerechtigkeit im Rahmen internationaler Vertragswerke wie der Biodiversitätskonvention CBD und nationalen Diskursen einzufordern.
Gleichzeitig setzt sich Brot für die Welt seit Jahrzehnten dafür ein, die Agrarökologie als holistisches Konzept, das den Schutz und die Nutzung der Komplexität der Agrarökologie im Zentrum ihres Ansatzes verfolgt, zu fördern. Agrarökologie strebt nach einem gerechten und einvernehmlichen Interessensausgleich zwischen Mensch und Natur und ist somit ein zentraler Baustein bei der Bewahrung der Schöpfung.
Der Artikel erschien in der Brot für die Welt Publikation Profil 24 Gemeinsam für Gerechtigkeit. Siehe Link