Aleksandra Kolodziejczyk von Brot für die Welt Österreich nahm an der 63. Tagung der Frauenrechtskommission in New York teil. Hier ihre Eindrücke:
Die Ankündigung der Verhandlungsleiterin Koki Muli Grignon, dass der letzte Paragraph und somit das gesamte Abschlussdokument beschlossen seien, kam für die meisten etwas überraschend. Der Applaus setzte deshalb nur zögerlich ein. Selbst die Verhandler_innen schienen am Ende den Überblick über den Stand der Verhandlungen verloren zu haben. Nicht verwunderlich bei den langen und polarisierenden Verhandlungen, die teils bis tief in die Nacht gingen und bei denen jeder Paragraph bis auf einzelne Wörter diskutiert wurde.
Zwischen 11. und 22. März 2019 haben sich auf der 63. Tagung der Frauenstatuskommission zahlreiche Vertreter*innen der UN-Mitgliedstaaten und rund 5.000 Mitglieder der globalen Zivilgesellschaft in mehr als 700 Veranstaltungen ausgetauscht und vernetzt. Die CSW ist seit der letzten Weltfrauenkonferenz 1995 die größte frauenpolitische Zusammenkunft auf globaler Ebene, die ein Mal jährlich im Hauptquartier der Vereinten Nationen stattfindet.
Die wichtigsten Ergebnisse der Abschlusserklärung
In den agreed conclusions einigten sich die Delegierten der UN-Mitgliedstaaten auf Strategien zur Förderung der Geschlechtergleichstellung und zur Stärkung der Stellung von Frauen und Mädchen in den diesjährigen Schwerpunktbereichen der CSW: soziale Sicherungssysteme, Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und nachhaltige Infrastruktur. Geschlechtsspezifische Barrieren beim Zugang zu Rechten von Frauen und Mädchen werden in den agreed conclusions von der Frauenstatuskommission anerkannt, wie u.a. alle Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die Feminisierung von Armut und die negativen Auswirkungen des Klimawandels. Es werden auch konkrete Handlungsaufforderungen an die UN-Mitgliedstaaten formuliert, um die Rechte von Frauen und Mädchen in den Schwerpunktbereichen zu verwirklichen, wie u.a.:
- Den Zugang zu sicherem und erschwinglichen Trinkwasser, Sanitäranlagen und Hygiene sicherzustellen, die den Bedürfnissen von Frauen und Mädchen entsprechen
- Maßnahmen zu setzen, um die von Frauen und Mädchen erbrachte unbezahlte Fürsorge- und Haushaltsarbeit anzuerkennen, zu reduzieren und umzuverteilen und ihnen somit die Wahrnehmung ihrer Menschenrechte zu ermöglichen
- Den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen für unbezahlte Pflegepersonen allen Alters zu gewährleisten wie zu Gesundheits- und Altersvorsorge
Zähe Verhandlungen der UN-Mitgliedsstaaten
Die Verhandlungen rund um das Abschlussdokument waren durch stark polarisierende Positionen der UN-Mitgliedstaaten geprägt. Dort, wo keine Einigung erzielt werden konnte, wurde auf bereits beschlossene Formulierungen von früheren Tagungen zurückgegriffen. Aber auch diese wurden oft zur Diskussion gestellt. Begriffe und Konzepte wie u.a. “multiple und intersektionale Formen von Diskriminierung”, “Gender-Identitäten”, „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte und Dienstleistungen“ sowie „umfassende Sexualerziehung“ (comprehensive sexuality education) wurden von einigen Mitgliedstaaten infrage gestellt und abgelehnt mit der Begründung, sie seien mehrdeutig, unpassend und fragwürdig. Besonders stark war die Ablehnung von Begriffen, die mit Schwangerschaftsabbruch in Verbindung gebracht wurden. Dabei haben die USA selbst die Begriffe health care und health care services mit Schwangerschaft assoziiert und die Forderung erhoben, Schwangerschaftsabbruch dürfe keine Form der Familienplanung sein (was jedoch von niemanden gefordert wurde). Somit wurde der Schulterschluss zwischen den Trump-regierten USA, Russland, der arabischen Staatengruppe und dem Vatikan noch enger als im Jahr zuvor. Das Beharren auf dem Konzept der Familie vs. Familien und der Verankerung von familienorientierten Politiken wurde zu einer Zerreißprobe für die Verhandlungen.
Cybergewalt als neue Dimension der Einflussnahme
Die versuchte Einflussnahme durch rechte und fundamentalistische Gruppen auf die Verhandlungsergebnisse hat inzwischen eine neue Dimension erreicht. Erstmals in der Geschichte der Frauenstatuskommission / Frauenrechtskommission, die seit 1946 jährlich tagt, war die Verhandlungsleiterin Cybergewalt ausgesetzt. Koki Muli Grignon aus Kenia hat während der Verhandlungen rund Tausend Anti-Schwangerschaftsabbruchs- und Anti-Gender-Nachrichten auf ihr persönliches Mobiltelefon und ihre E-Mail-Adresse erhalten. „Es ist inakzeptabel, dass ein Mitgliedstaat, der eine Führungsrolle bei den Vereinten Nationen übernimmt, schikaniert wird. Wir müssen das Gefühl haben, dass die UNO ein sicherer Ort ist“, sagte Koki Muli Grignon bei der Abschlussveranstaltung der CSW. Nach Bekanntgabe des Angriffs auf Koki Muli Grignon wurde ein von der Zivilgesellschaft verfasstes Unterstützungsstatement online verbreitet. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Vorfall ein Einzelfall bleibt und die Vereinten Nationen diesem Fall von Cybergewalt nachgehen.
Die politische Arbeit geht weiter
Zusammenfassend ist das Abschlussdokument der 63. Frauenstatuskommission – die agreed conclusions – ein Ergebnis teils kontroverser Standpunkte und nicht in allen Punkten so fortschrittlich, wie es sich zahlreiche Frauenrechtsaktivistinnen wünschen würden. Nichtsdestotrotz ist die zweiwöchige Tagung der UN-Frauenstatuskommission der wichtigste Ort für den Austausch und die Vernetzung der globalen Frauenrechtsbewegungen. Die agreed conclusions stellen für Frauenrechtsaktivist*nnen ein wichtiges Instrument für ihre politische Arbeit dar. Es liegt nun an ihnen, die Staaten dazu zu bewegen, den Worten auch Taten folgen zu lassen.