Blog

Interview zu Digitalisierung mit Uniterre

Interview mit Stig Tanzmann geführt von Ulrike Minkner, Uniterre Schweiz.

 

Von Stig Tanzmann am
Blühender Ruccola zum Nachbau von Saatgut

Blühender Ruccola zum Nachbau von Saatgut

In Ihrem Bericht im Kritischen Agrarbericht 2018 sprechen Sie davon, dass die Debatte rund um die Digitalisierung in der Landwirtschaft fast euphorische Züge angenommen hat, was meinen Sie damit?

Weltweit steht die Landwirtschaft, besser der Agrarsektor, seit Jahren vor enormen Herausforderungen. Der Hunger nimmt wieder zu, die Welternährungskrise wird in immer komplexer wahrgenommen, der Klimawandel mit seinen Konsequenzen für die Landwirtschaft  tritt immer deutlicher zu Tage, der Biodiversitätsverlust wird immer stärker thematisiert, ebenso die negativen Konsequenzen des übermässigen Einsatzes von chemischen Düngemitteln und  Pestiziden. Gleichzeitig nimmt die Teilung zwischen Stadt und Land immer weiter zu und die Arbeit auf den bäuerlichen Betrieben wird finanziell und sozial immer unattraktiver. Kurz, es gibt eigentlich unglaublich viele sehr komplexe und vor allem auch soziokulturelle Fragen, auf die dringend Antworten gefunden werden müssten. Diese Fragen stellen aber bestehende Muster und Strategien in der Agrarpolitik sowie der Entwicklungspolitik und vor allem auch der Geschäftsmodelle und Geschäftsstrategien im Agrobusiness grundlegend in Frage. Aber auf einmal scheint es wieder eine Antwort zu geben und die heisst: „Digitalisierung in der Landwirtschaft“. Fast nach dem Motto: Nennen Sie mir die Frage, Digitalisierung ist die Antwort. Teilweise werden völlig illusorische Erwartungen geweckt sowie abseits jedes Faktenchecks argumentiert. Auch wird so getan, als wäre Digitalisierung in der Landwirtschaft etwas völlig Neues. Wenn behauptet wird, auf einmal für selbst die komplexesten Probleme eine zentrale Lösung zu haben, aber keine kritischen Fragen mehr gestellt werden, dann hat es für mich viel von einem euphorischen Hype.

Wo sehen Sie die Gefahren dieser doch ziemlich unkontrolliert ablaufenden Entwicklung?

Ein grosses Problem ist ganz klar, dass absolut grundlegende Fragen nicht mehr gestellt werden. Für die Landwirtschaft im globalen Norden wäre die erste Frage: Ist die Digitalisierung in der Landwirtschaft ein neues Phänomen? Wohl eher nicht. Melkroboter, digital gesteuerte Tierställe und mit Computern ausgerüstete und an GPS angebundene Traktoren kennen wir schon seit mehr als 15 Jahren. Wieso also die Euphorie? Noch kritischer wird es rund um die Fragen der Welternährung. In Afrika haben 75% der Menschen keinen Zugang zum Internet und damit keinen Zugang auch nur zu den einfachsten digitalen für die Landwirtschaft nützlichen Anwendungen, wie Beratung und Kommunikation. Von digital optimierten Maschinen sprechen wir hier noch nicht einmal. Die kann sich ohnehin keine Bäuerin leisten, die von weniger als zwei Dollar am Tag leben muss.

Ganz kurz, knapp und bitter: Die Menschen, die von Hunger betroffen sind und die gleichzeitig für die Bekämpfung des Hungers zentral sind, also die Bäuerinnen und Bauern im ländlichen Raum in den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt, werden schlicht weg von der Digitalisierung nicht erreicht. Insbesondere Frauen, also Bäuerinnen sind hier besonders betroffen, weil sie besonders geringen Zugang zu digitalen Anwendungen haben; dies bestätigen Studien und selbst die FAO. Bei nicht wenigen RegierungsvertreterInnen wächst die Erkenntnis, dass die Entwicklung in den letzten Jahren viel zu unkontrolliert laufen gelassen wurde und die Regierungen sich gleichzeitig zu sehr auf Angaben oder Behauptungen grosser Konzerne verlassen haben, ohne diese zu prüfen. Gerade auch für konservative BehördenvertreterInnen, die klar und massgeblich auf nationale oder regionale Ernährungssicherung, sowie sie staatliche Souveränität schauen, ergeben sich in der Folge massive Zweifel am Nutzen der Digitalisierung in der Landwirtschaft, solange diese nicht zu einem Mindestmass kontrolliert und international reguliert erfolgt.

Ein Resultat dieser Gedanken ist aus meiner Sicht das Communiqué des Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) vom Januar 2019 in Berlin. Dieses von 74 AgrarministerInnen aus aller Welt mitgetragene Dokument setzt sich für eine Regulierung der Digitalisierung in der Landwirtschaft im Rahmen der Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen der FAO ein.    

Wo sehen Sie Ansätze der Digitalisierung, die uns Bäuerinnen und Bauern auf lange Sicht tatsächlich etwas bringen könnten?

Insbesondere in der Kommunikation, Beratung und im Wissensaustausch gibt es aus meiner Sicht ein grosses Potential, vor allem für die Länder des Südens. Aber wichtig ist auch hier zu beachten: Es müssen Kommunikationskanäle sein, die die bäuerliche Souveränität wahren und stärken. Eine Kommunikations- oder Beratungsplattform, die von einem Konzern wie z.B. BASF oder Bayer-Monsanto dominiert wird, halte ich für sehr gefährlich. Gleichzeitig muss man sich auch immer vor Augen halten, dass die Landwirtschaft ein praktischer Beruf bleibt und dass ohne eine gute analoge und praktische Grundlage/Ausbildung/ Struktur auch die besten digitalen Anwendungen nichts nutzen. Ich sehe Digitalisierung eher als hilfreiches Zusatzinstrument denn als Ersatz von bäuerlichen Tätigkeiten. Ein interessantes Beispiel ist aus meiner Sicht der Melkroboter. Er kann bäuerliche Familien extrem entlasten, weil der Zwang des täglichen Melkens wegfällt und es so viel mehr Flexibilität im Alltag und mehr Zeit auch für soziale Aktivitäten gibt. Weiter kann es auch für die Tiere gesundheitsfördernd sein, selbst Einfluss darauf zu haben, wann sie gemolken werden. Aber trotz all der Daten, die der Melkroboter erfasst, bleibt es unerlässlich, die Tiere genau und gut zu beobachten, um die Tiergesundheit im Griff zu behalten. Für all dies braucht man aber wieder Menschen, die gut und direkt am und mit dem Tier ausgebildet sind und auch selbst melken können, vor allem für den Fall, dass der Melkroboter einmal ausfällt. Und auch hier stellt sich die Fragen, was mit den erfassten Daten passiert, an wen sie weitergeleitet werden und wem sie gehören.

Alle reden von der Digitalisierung, beim Lesen der Berichte fällt auf, dass zwar von Chancen und Risiken gesprochen wird, aber niemand weiss so richtig, wie man die Risiken minimieren könnte. Sind die Regierungen der Entwicklung dieser Technologie hilflos ausgeliefert? Oder wissen sie schlicht nicht, was zu tun wäre? Wie ist Ihre Einschätzung?

Nein, die Regierungen haben einfach jahrzehntelang das Handeln verweigert. Doch langsam wachen sie auf. Das GFFA Communiqué von 2019 ist ein guter Ausdruck dieser Entwicklung, nicht nur wird die Regulierung der Digitalisierung in der Landwirtschaft unter Federführung der FAO eingefordert - erste Ergebnisse sollen auf dem nächsten GFFA im Januar 2020 diskutiert werden, sondern es wird auch eine Technikfolgenabschätzung der Digitalisierung mit Blick auf Nutzen und Risiken durch die FAO gefordert. Gerade so eine Technikfolgeabschätzung halte ich für essentiell, um die Entwicklung überhaupt endlich einmal realistisch einschätzen zu können und die richtigen Vorschläge zur Regulierung entwickeln zu können. Ich will aber auch nicht missverstanden werden, im dem GFFA Text stehen nicht nur gute Dinge. Aber viel Grundlegendes, das den Staaten und vor allem Bäuerinnen und Bauern sowie uns als Zivilgesellschaft dringend benötigte Handlungsoptionen offenlegt, wenn wir denn bereit sind, uns aktiv in die Debatte um die positive Gestaltung der Digitalisierung einzumischen.    

In Ihrem Text sprechen Sie über die Rolle der Landmaschinenhersteller. Traktoren sind ein zentrales Element unserer täglichen Arbeit, sie können vieles erleichtern.  Worauf basiert ihre Skepsis?

An die Bedürfnisse von Bäuerinnen und Bauern angepasste Landmaschinen sind ein großer Segen für die globale Landwirtschaft, denn sie erleichtern die Arbeit oder machen sie überhaupt erst möglich. Technischer Fortschritt, Technikanpassung an neue Bedürfnisse und Innovationen in diesem Bereich sind sehr wichtig und begrüssenswert. Ein riesiges Problem ist aber, dass viele Landmaschinen der großen Hersteller wie AGCO, John Deere oder Claas extrem digitalisiert sind und über ihre Sensoren extrem viele Daten erfassen, sammeln und in die Datenbanken der Konzerne einspeisen, wenn die Maschinen im Einsatz sind. Diese Maschinen erfassen und geben Daten weiter, die klar als bäuerliches Wissen bezeichnet werden müssen und schützenswert sind. Der Schutz bäuerlichen Wissens ist ein zentraler Bestandteil der UN Erklärung zu den Rechten der Bäuerinnen und Bauern und anderer im ländlichen Raum arbeitenden Menschen. (UNDROP). Es gibt einfach zu wenig Diskussion darüber, ob dieses Sammeln von Daten überhaupt richtig ist und welche legalen Konsequenzen es hat und haben kann. Viele dieser Daten werden von den Konzernen genutzt, um Anwendungen und Programme zu entwickeln, die dann wieder an Bäuerinnen und Bauern verkauft werden. Oder aber potentiell einem Nachfolger zur Verfügung gestellt werden, der den Betrieb übernimmt, womöglich einem Grossinvestor, der sich auf diese Weise schnell zentrale Betriebsdaten und traditionelles bäuerliches Wissen aneignen kann. Dies ist eine gefährliche Entwicklung. Hinzu kommt die Problematik, dass die digitalen Landmaschinen gar nicht mehr von den Bäuerinnen selbst repariert werden können. Selbst die Landmaschinenhändler, die die Maschinen verkaufen, müssen immer die neuesten Software Updates kaufen, um in der Lage zu sein, die Maschinen zu reparieren, die sie vertreiben. Auch hier gibt es die Gefahr grosser Abhängigkeiten.

Konkret: Wie immer heisst es, die Digitalisierung kommt sowieso, also machen wir doch besser mit. Wo und was können wir konkret tun, um unsere Rechte auf unser Wissen und unsere Daten zu behalten?

Wichtig ist es erst einmal sich von der Technologie nicht einschüchtern zu lassen. Die Digitalisierung ist nur so mächtig, wie wir sie werden lassen. Und sie dient denen, die sie kontrollieren und bisher haben die verschiedenen Konzerne die Kontrolle. Dies aber vor allem auch, weil wir uns sowohl als BürgerInnen und aber auch als Bäuerinnen und Bauern nicht genügend eingemischt und bemüht haben ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was überhaupt passiert. Ja, wir müssen unbedingt bei der Digitalisierung mitmachen. Aber mitmachen ist viel mehr als passiv Programme anzuwenden, Drohnen oder andere digitale Landmaschinen zu steuern. Mitmachen bedeutet eigene Ansprüche zu formulieren und Regeln einzufordern. Wenn man nicht mitmacht, werden dies weiterhin andere für einen tun. Eine wichtige Forderung für das Mitmachen ist aber definitiv auch, analoge Landwirtschaft muss weiter möglich sein und darf nicht benachteiligt werden.

Das Interview erschein in der Juli Ausgabe der bäuerlichen Zeitung von Uniterre in der Schweiz.

Kasten mit den Forderungen

Digitalisierung: Folgerungen & Forderungen

(aus dem kritischen Agrarbericht 2018, Stig Tanzmann / brot-fuer-die-welt.de)

 

- Die bisherige Debatte über die Digitalisierung im Agrar- und Ernährungsbereich wird zu einseitig geführt; sozioökonomische Risiken sowie Auswirkungen auf die bäuerliche Landwirtschaft, vor allem im globalen Süden, werden nicht hinreichend untersucht.

- Die Konzentration von Anbaudaten in der Hand weniger Großkonzerne ist nicht zuletzt mit Blick auf die weltweite Ernährungssicherheit und -souveränität problematisch; die Staaten müssen dringend die Hoheit über zentrale Daten der Welternährung zurückgewinnen und diese von den Konzernen einfordern.

- Die Digitalisierung im Agrar- und Ernährungsbereich muss länderübergreifend im UN-System und seinen verschiedenen Gremien diskutiert und vor allem reguliert werden.

- Der im Rahmen der Agenda 2030 etablierte Technology Facilitation Mechanismus würde sich zur Bündelung dieser Anstrengungen eignen.

- Flankierend muss mit der Umsetzung der UN-Declaration on Peasant Rights begonnen werden.

- Um die Macht der von Megakonzernen wie Bayer- Monsanto regulieren und begrenzen zu können, muss ein UN-Wettbewerbsrecht etabliert werden.

Jetzt spenden Unterstützen Sie uns

Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

Hinweis: Die Spendenbeispiele sind symbolisch. Durch Ihre zweckungebundene Spende ermöglichen Sie uns dort zu helfen, wo es am dringendsten ist.

56 € (Spendenbeispiel) Mit 56 € kann zum Beispiel ein Hygiene-Paket für eine geflüchtete Familie finanziert werden.

100 € (Spendenbeispiel) Mit 100 € kann zum Beispiel Gemüse-Saatgut für die Bewirtschaftung von ca. 10 Feldern bereitgestellt werden.

148 € (Spendenbeispiel) Mit 148 € kann zum Beispiel ein Regenwassertank mit 2.000 Liter Fassungsvermögen gekauft werden.

Hinweis: Die Spendenbeispiele sind symbolisch. Durch Ihre zweckungebundene Spende ermöglichen Sie uns dort zu helfen, wo es am dringendsten ist.

56 € (Spendenbeispiel) Mit 56 € kann zum Beispiel ein Hygiene-Paket für eine geflüchtete Familie finanziert werden.

100 € (Spendenbeispiel) Mit 100 € kann zum Beispiel Gemüse-Saatgut für die Bewirtschaftung von ca. 10 Feldern bereitgestellt werden.

148 € (Spendenbeispiel) Mit 148 € kann zum Beispiel ein Regenwassertank mit 2.000 Liter Fassungsvermögen gekauft werden.

Bitte eine gültige Eingabe machen

Als Fördermitglied spenden Sie regelmäßig (z. B. monatlich)