Die sozialistische Republik Vietnam mit seinen ca. 95 Millionen Einwohnern ist schon heute schwer vom Klimawandel betroffen. Mit einer Küstenlänge von 3.444 km ist Vietnam besonders vom Meeresspiegelanstieg bedroht: Salzwasser dringt bei Flut die Flüsse hinauf immer tiefer ins Land vor, und auch die Küsten- und Flussufererosion stellen große Probleme dar. Die Intensität von Extremwetterereignissen hat in den letzten 40 Jahren zugenommen, so zum Beispiel tropische Wirbelstürme, Sturmfluten und Überschwemmungen aufgrund von Starkregen.
Bei dem Besuch eines Mangrovenschutzprojektes einer Partnerorganisation von Brot für die Welt und Gesprächen mit der Provinzbehörde wurde offensichtlich, wie stark das Mekong Delta bereits unter dem Meeresspiegelanstieg, Versalzung und Küstenerosion leidet. Der Klimawandel ist in dieser Region bereits Alltag und kein Zukunftsszenario mehr. Durch Anpassungsmaßnahmen wie Küstenschutz und Mangrovenaufforstung wird versucht, den zerstörerischen Kräften des Klimawandels entgegenzuwirken. Und bei allen Bemühungen wird deutlich, wie sehr es an Finanzierung für Anpassung mangelt ebenso wie der Bereitstellung von Finanzmitteln um klimabedingte Schäden und Verluste zu bewältigen.
Vor diesem Hintergrund hat Brot für die Welt in Hanoi zu einer Konferenz inklusive eines Workshops eingeladen, um gemeinsam mit Partnerorganisationen, Vertretern der Regierung, Hilfsorganisationen sowie Stiftungen die Möglichkeiten einer angemessenen Klimarisikofinanzierung für Vietnam zu diskutieren. Am 8-9 April 2019 sind ca. 80 Gäste der Einladung von Eva-Maria Jongen, der Direktorin des vietnamesischen Büros von Brot für die Welt gefolgt, um sich über nationale, regionale und internationale Perspektiven, Ideen, Projektbeispiele und politische Ansätze auszutauschen. Grundlage der Diskussionen bildete die dort vorgestellte Studie von Brot für die Welt: „Climate Risk Financing - A Brief Analysis of Financial Coping Instruments and Approaches to Close the Protection Gap“. Die Studie wurde während des Workshops durch Thomas Hirsch, Direktor von Climate & Development Advice vorgestellt, den Leitauthor der Studie, die bestehende und mögliche künftige Mechanismen der Klimarisikofinanzierung beleuchtet und Empfehlungen abgibt, wie die Klimarisiko-Schutzlücke geschlossen werden kann. Als weiterer internationaler Gast konnte Angelo Kairos Dela Cruz, Institute for Climate and Sustainable Cities, Philippinen, das Beispiel des philippinischen „People`s Survival Fund“ vorstellen, der zur Grundabsicherung der Bevölkerung der Philippinen im Falle eines Extremwetterereignisses beiträgt.
Die vietnamesische Regierung hat ebenso Vorsorge getroffen für die Bevölkerung. Jedoch ist Vietnam wie auch die Philippinen sowie zahlreiche andere Entwicklungsländer im Angesicht einer Zunahme von klimabedingten Schäden und Verluste auf internationale Hilfe angewiesen und wird diese Aufgabe alleine nicht stemmen können. In den Diskussionen herrschte Einigkeit, dass man alle Vorsorge- wie Nachsorgemaßnahmen ergreifen müsse, um die Bevölkerung zu schützen. Gemäß dem Verursacherprinzip müssten die Verursacher der Klimakrise die Geschädigten bei der Folgenbewältigung technologisch wie finanziell unterstützen.
Bisher ist es den Industrieländern gelungen, alle Verpflichtungen für die Bereitstellung von Finanzmitteln für die Bewältigung von Klimaschäden in armen Ländern weg zu verhandeln. Die einzige Verpflichtung die sie eingegangen sind, sieht vor ab dem Jahr 2020 jährlich 100 Mrd. USD für Maßnahmen für die Minderung von Treibhausgasen und für die Anpassung an den Klimawandel in armen Ländern bereitzustellen. Aber die Dringlichkeit auch der finanziellen Kompensation für erfolgte Schäden steigt. Zu einer besonderen Gerechtigkeitsfrage wird dies im Falle vulnerabler Bevölkerungsgruppen: Sie haben die Klimakrise nicht verursacht, müssen sie aber ausbaden.
Auf internationaler Verhandlungsebene kämpfen die verletzlichsten Staaten um Klimagerechtigkeit
Zeitgleich zur Konferenz in Hanoi tagte in Bonn das Exekutiv-Komitee des Internationalen Warschau Mechanismus (WIM) für klimabedingte Schäden und Verluste zum neunten Mal. Mit der Gründung des WIM fanden klimabedingte Schäden und Verluste bereits 2013 bei der 19. Klimakonferenz als eigenständiger Verhandlungsstrang Eingang in die UN-Klimaverhandlungen. Auch nach dem neunten Treffen ist es jedoch nicht gelungen eine Lösung zu finden für die Kompensation der Betroffenen von klimabedingten Schäden und Verlusten. Nur wenige Wochen vor dem Treffen in Bonn fegte Zyklon „Iday“ mit bis zu 190 Stundenkilometern über Mosambik, Simbabwe und Malawi und hinterließ Zerstörungen von katastrophalem Ausmaß - Anlass genug, um sich ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, wie die ärmsten und verletzlichsten Staaten bei der Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten unterstützt werden können. Nach 24 Jahren Klimaverhandlungen sollte die Zeit hierfür mehr als reif sein, zumal der letzte Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) zu 1.5 Grad globaler Erwärmung deutlicher als je zuvor die Dringlichkeit darlegt, in den nächsten zehn Jahren eine massive globale Trendwende beim Klimaschutz und der Klimaanpassung zu vollziehen. Anderenfalls, so der IPCC, wird es nicht mehr möglich sein, die globale Erwärmung auf die erforderlichen 1.5°C zu begrenzen und die Ziele nachhaltiger Entwicklung zu erreichen.
Mehrfach betonten die VerhandlerInnen aus dem Globalen Süden sowie anwesende BeobachterInnen die dringende Notwendigkeit, die Finanzierungsfrage in den Mittelpunkt der Verhandlungen zu klimabedingten Schäden und Verlusten zu stellen. Immerhin will das UNFCCC Sekretariat bei den kommenden Zwischenverhandlungen im Juni 2019 das sogenannte „Technical Paper on Finance“ vorstellen, in welchem aktuell zur Verfügung stehende Finanzquellen analysiert werden. Das Dokument dokumentiert damit lediglich den Status Quo. Bedarfsanalysen zur Deckung zukünftiger Kosten oder mögliche Instrumente und Mechanismen, durch welche sich zusätzliche Mittel generieren ließen, werden leider nicht berücksichtigt. Schlussendlich wurde der Arbeitsstrang “Enhancing cooperation and facilitation in relation to action and support, including finance, technology and capacity building to address loss and damage” – und damit auch die Auseinandersetzung mit möglichen Finanzierungsinstrumenten klimabedingter Schäden und Verluste - auf 2020 verschoben.
Der WIM wird auf der kommenden COP 25 in Chile im Dezember 2019 evaluiert. Die Ergebnisse werden das zukünftige Mandat des WIM sowie dessen Finanzierungsmöglichkeiten maßgeblich bestimmen und sind deshalb von großer Bedeutung im Umgang mit klimabedingten Schäden und Verlusten. Es ist dringend erforderlich, bei der Evaluierung zu verdeutlichen, dass Finanzquellen erhoben und ein Finanzmechanismus geschaffen werden muss, damit die Schutzlücke bei Klimarisiken für die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen nicht noch weiter aufklafft. Die Klimaverhandlungen in Bonn im Juni bieten Raum, um den Arbeitsauftrag für die Evaluierung des WIMs zu bestimmen. Hier muss das politische Momentum geschaffen werden, auch die Bereitstellung von Finanzmittel für die Bewältigung von Klimaschäden zum Gegenstand der Evaluierung zu machen.
Zusammen mit zahlreichen Partnerorganisationen und der Zivilgesellschaft insgesamt sowie im Schulterschluss mit den ärmsten und verletzlichsten Staaten fordert Brot für die Welt, dass im Juni in Bonn die Industrieländer die klar erkennbare Bereitschaft zeigen, ernsthaft über Finanzierungslösungen für klimabedingte Schäden und Verluste zu verhandeln. Weitere Verzögerungen verschärfen die Armut in den vom Klimawandel betroffenen armen Ländern und sind daher nicht zu akzeptieren.
Dieser Blogbeitrag wurde zusammen mit Lisa Binder, Projektbearbeitung Klimapolitik, erstellt. Lisa hat für Brot für die Welt am 9. Exekutiv-Komitee Treffen des Internationalen Warschau Mechanismus für klimabedingte Schäden und Verluste in Bonn teilgenommen.